Hamburg. Eigentlich war es nur eine Notlösung, nun wohnt Rüdiger Steinke seit zwei Jahren in dem Wohncontainer. Barrierefrei sieht anders aus.
- Der Hamburger Rentner im Rollstuhl teilt sich Bad, WC und Küche mit anderen Bewohnern.
- Schicksalsschlag: Ein Brand zerstörte all seine Hoffnungen.
- Nahezu sein gesamtes Hab und Gut – Kleidung, Papiere, Ausweis – wurden zerstört.
Ein schmaler Schrank, ein Bett, ein kleiner Tisch, zwei Stühle und ein Kühlschrank. Mehr steht normalerweise nicht in dem kleinen Zimmer in dem Containerwohnheim in Hamburg-Bahrenfeld. Rüdiger Steinke hat versucht, es sich gemütlich zu machen in dem Zimmer mit den weißen Plastikwänden.
Mit dem Rücken sitzt er zu einem alten Fernseher, auf dem im Hintergrund eine Kriminalserie läuft. Auf einem Holzschränkchen liegen Magazine, daneben ein Aschenbecher. Ein etwas abgewetztes Lammfell liegt als Teppichersatz auf dem Boden, auf dem voll gestellten Tisch stehen ein paar Plastikblumen, die ihm seine Freundin mal geschenkt hat. Auch der Kuscheltieraffe, der auf dem Bett liegt, ist von ihr.
Hamburger Rentner im Rollstuhl lebt seit Jahren in Wohncontainer
Eigentlich war das Zimmer nur vorübergehend als Unterkunft gedacht. Nun lebt er schon seit fast zwei Jahren in dem kleinen Zimmer, in einer geteilten Wohnung, mit vier anderen Männern zusammen. Bad, WC und Küche teilen sich alle gemeinsam. Quasi wie eine klassische Studi-WG – allerdings für einen Rentner im Rollstuhl.
Das Wohnheim in Bahrenfeld, in dem der 59-jährige Steinke lebt, gehört zu Fördern & Wohnen, dem Hamburger Sozialunternehmen. Zwar handelt es sich offiziell um eine Wohnunterkunft, für Herrn Steinke fühlt es sich aber in vielerlei Hinsicht notdürftig an. Für ihn ist klar: Das hier ist keine dauerhafte Bleibe. Die Wohnungen bestehen aus Containern, die zwölf bis 14 Quadratmeter großen Zimmer sind eher spartanisch eingerichtet.
Fördern & Wohnen: Barrierefreie Wohnungen gibt es nur wenige
Die Wohnunterkünfte von Fördern & Wohnen werden in Zusammenarbeit mit den Hamburger Behörden zugeteilt, die die Kosten für eine solche Wohnung übernehmen. Wer obdachlos ist oder aufgrund der Lebenssituation keine andere Bleibe hat, findet hier eine notdürftige Unterkunft. Manche leben hier nur übergangsweise für ein paar Monate, andere bleiben mehrere Jahre.
So wie Herr Steinke: Eine Möglichkeit auf eine bessere Bleibe hat der mittlerweile Berentete seit zwei Jahren nicht. Er lebt von Bürgergeld, das Amt übernimmt die Gebühren für das Wohnheim. Da er auf einen Rollstuhl angewiesen ist – nach einem Unfall kann er kaum noch laufen – braucht er außerdem eine barrierefreie Wohnung. Solche bietet Fördern & Wohnen zwar theoretisch an, allerdings hauptsächlich für Personen mit schweren körperlichen Behinderungen oder chronischen Erkrankungen.
Das Sozialunternehmen Fördern & Wohnen ist nach eigenen Angaben mit über 200 Standorten im Raum Hamburg vertreten. Dort bietet es neben solchen Wohnunterkünften unter anderem auch feste Wohnungen für Personen an, „die es auf dem Wohnungsmarkt besonders schwer haben“. Der Wohnungsmarkt in Hamburg ist ohnehin angespannt und wohnungslose Menschen haben noch weniger Chancen.
Schicksalsschlag: Ein lauter Knall und alles ist anders
Das Wohnheim, in dem Steinke aktuell lebt, war eigentlich nur als Notlösung gedacht. Davor war er mit seiner Wohnsituation sehr zufrieden: Vor zwei Jahren wohnte er in einem Männerwohnheim, das ebenfalls zu Fördern & Wohnen gehörte. Regelmäßig kam eine Putzkraft vorbei und die Küche war gut nutzbar. Aber besonders wichtig für ihn: Die Wohnung war barrierefrei.
Dann schlug das Schicksal zu: In einer Donnerstagnacht, am 10. November 2022 gegen 22 Uhr, kam es vor zwei Jahren zu der Explosion mit anschließendem Brand in dem Stellinger Wohnheim, die Steinke hautnah miterlebte. Plötzlich hatte es einen lauten Knall gegeben, die Nacht wurde für ein paar Sekunden taghell, und die Zimmerdecke wölbte sich nach oben. „Ich dachte zuerst, dass vielleicht ein Flugzeug abgestürzt wäre“, erinnert sich Steinke an den Unglückstag.
Ein Sack „mit Zeug“: Was ihm danach noch bleibt
Die Bewohner der Fördern & Wohnen-Unterkunft wurden evakuiert und durften nicht zurück in ihre Wohnungen. „Wir haben damals einen Sack mit unserem Zeug bekommen und das war’s“, erzählt Steinke. ‚Zeug‘, das sind ein paar Klamotten, die allerdings größtenteils durch das Löschwasser nicht mehr brauchbar waren.
Nahezu sein gesamtes Hab und Gut, Kleidung, Papiere, Ausweis: alles zerstört. Immerhin der Fernseher konnte noch gerettet werden. Einige Zeit später wurde ihm dieser vorbeigebracht.
Übergangsweise lebt Rüdiger Steinke auf einem Feldbett in der Turnhalle
Nach dem Brand blieb er gemeinsam mit den anderen Bewohnern des Wohnheims für drei Monate in der Turnhalle einer Schule. Alle schliefen auf Feldbetten, das DRK brachte Kleidung vorbei, Essen wurde bereitgestellt. Ganz gerecht, findet er, ging es damals aber nicht zu: „Wir haben ein paar gespendete Klamotten bekommen, andere erhielten aber sogar neue Trainingsanzüge.“
Schließlich, nachdem Steinke drei Monate im Rollstuhl in einer Turnhalle auf einem Feldbett verbracht hatte, macht ihn ein Freund auf die Unterkunft aufmerksam, in der er seitdem lebt.
AOK stellt Duschhocker, aber Pflegegrad wird nicht anerkannt
Die Containerwohnung dort ist aber alles andere als barrierefrei: Eine hohe Türschwelle führt in die Erdgeschosswohnung, die Toilette und Dusche sind ebenfalls nicht auf eine Erreichbarkeit mit dem Rollstuhl ausgelegt. „In der Dusche kann man sich nirgends festhalten, das geht nur ganz notdürftig“, beschreibt Steinke die Situation.
Von der AOK hat er immerhin einen Duschhocker bekommen, sein Antrag auf eine Pflegestufe wurde aber abgelehnt. Eine Pflegestufe würde für ihn bedeuten, dass er Unterstützung im Alltag – etwa beim Putzen und Kochen – erhalten würde. Zudem bekäme er einen finanziellen Zuschuss.
Einen Zehner beiseitelegen? Das geht heute nicht mehr
Aber nicht nur Barrieren sind ein Problem: Denn auch sonderlich sauber sind Küche und Bad nicht. Eigentlich sind die Bewohner selbst dafür verantwortlich – aber die wenigsten achten wirklich darauf, sagt er. Vor allem beim Kochen stört ihn das sehr, weshalb er sich oft außerhalb etwas zu essen kauft. Aber eigentlich würde er sehr gerne mal wieder kochen: Leber mit Kartoffelmus zum Beispiel, das wäre toll.
Und vor allem könnte er Geld sparen, wenn er nicht auswärts essen müsste: „Ich fühle mich schon oft schlecht, wenn ich für einen Döner oder so Geld ausgebe“, sagt er. Geld gespart hat er schon ziemlich lange nicht mehr. „Früher konnte ich mal ab und an noch einen Zehner beiseitelegen. Das geht jetzt nicht mehr.“
Taschengeld aufbessern durch Gutscheine und Magazinverkauf
Die Kosten für die Wohnung werden durch das Bürgergeld, das er bezieht, gedeckt. Die Gebühren von etwa 800 Euro zahlt das Amt direkt an Fördern & Wohnen. Danach bleiben ihm durch Bürgergeld und Rente noch 500 Euro im Monat zum Essen, für Strom, Telefon und alles Weitere.
Außerdem bekommt er manchmal Gutscheine für Hygieneartikel und Kleidung vom ehrenamtlichen Verein „Der Norden hilft e.V.“. Die Vorsitzende des Vereins, Elke Franke, hat er in Altona beim Verkauf des Straßenmagazins „Hinz&Kunzt“ kennengelernt.
Dadurch verdient er sein Geld: Zwei- bis dreimal die Woche verkauft er das Magazin, um sich sein Taschengeld aufzubessern. Je nachdem, wie gut es läuft, von 12 bis 17 Uhr, manchmal auch bis 20 Uhr. Im Schnitt verdient er etwa 8 Euro am Tag. Morgens, wenn er sich einen Kaffee in der Bäckerei holt, bekommt er den auf Pump. Sobald er ein Magazin verkauft hat, bezahlt er.
Steinke: „Sind alle nicht mehr so zufrieden“
Vor ein paar Jahren lief das mit dem Verkauf besser: „Da haben mehr Leute das Magazin gekauft und oft auch einfach noch was dagelassen. Ich glaube, es ist für alle knapper geworden.“ Seit mehr als 20 Jahren verkauft er „Hinz & Kunzt“. Das Magazin hat ihm schon öfter aus der Patsche geholfen. Als er etwa nach dem Brand nichts mehr hatte, streckte ihm das Straßenmagazin einige Zeitungen vor.
Früher hat er ein ganz normales Leben geführt. Nach einer Ausbildung als Maler war er lange Zeit in einem Hamburger Hotel als Portier angestellt und lebte in einer Wohnung an der Reeperbahn.
Zarte Hoffnung: Aber auch der Hausmeisterjob ist nicht von Dauer
2007 kam dann ein Problem zum anderen: Beim Arbeiten mit Paletten verletzte er sich beide Beine stark, verbrachte ein Dreivierteljahr im Krankenhaus. „Ne schlimme Zeit war das“, sagt er. Fast zeitgleich wurde dann auch noch das Haus, in dem sich seine damalige Wohnung befand, abgerissen. Und auch das Hotel, in dem er gearbeitet hatte, ging pleite.
Er zog in das Männerwohnheim – das später durch den Brand zerstört wurde – und machte einen Hausmeisterlehrgang als Ein-Euro-Job. Damals ging das mit dem Laufen noch. Aber Lebensumstände und Drogen hinterließen ihre Spuren und bald war er auf den Rollstuhl angewiesen. Eine Aussicht auf Besserung sieht er nicht. Eher das Gegenteil: Die Wunden an den Beinen werden immer schlimmer.
Einziger Luxus: Steinke hat im Container ein Einzelzimmer
Da hilft auch die Gesundheitsmatratze nicht wirklich, die er von der Krankenkasse bekommen hat. Die Matratze und der Duschhocker sind die einzigen Dinge in seinem Zimmer in der Notunterkunft, die einigermaßen auf seinen Gesundheitszustand schließen lassen.
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Wegen des Rollstuhles muss Steinke sich immerhin kein Zimmer teilen, so wie es in der Unterkunft eigentlich Standard ist. „Man will das ja auch keinem antun, dass ich da vor jemand anderem die Verbände wechseln muss“, meint er mitfühlend. Ob die andere Person tatsächlich mehr Nachteile aus einem geteilten Zimmer ziehen würde als er, ist eher fraglich. Denn ganz ehrlich: Zu zweit würde es in dem kleinen Zimmer mit dem Rollstuhl gar nicht gehen.
Das sagt Fördern & Wohnen
Nach Angaben von Fördern & Wohnen sind die barrierearmen Plätze, über das Unternehmen verfügt, vollständig belegt. „Die Bedingungen eines Pflegeheims oder einer Einrichtung der Eingliederungshilfe können wir in öffentlicher Unterbringung leider nicht bieten“, heißt es auf Nachfrage des Abendblatts.
Es bleibt also offen, wie es für Herrn Steinke weitergeht. Sein größter Wunsch wäre es, mit seiner Freundin in eine gemeinsame barrierefreie Wohnung zu ziehen: „Am liebsten irgendwo in Wandsbek oder einem anderen Randgebiet.“ Bis dahin wird er weitere Anträge auf einen Pflegegrad stellen und versuchen, mit dem Duschhocker klarzukommen.