Hamburg. 1992 wurde ein 60-Jähriger aus Hamburg getötet: Angeklagter muss sich jetzt für Tat verantworten. Wie man ihm auf die Spur kam und was er sagt.

  • Nach 32 Jahren kommt ein Cold Case in Hamburg vor Gericht.
  • Einem Mann wird vorgeworfen, 1992 einen Blumenhändler vom Hauptbahnhof getötet zu haben.
  • Was der Angeklagte dazu sagt.

32 Jahre: Es liegt ein halbes Menschenleben zurück, dass Karl-Heinz R. getötet wurde. Lange gab es keine Hinweise, wer für das Verbrechen an dem Blumenhändler mit einem Stand am Hauptbahnhof verantwortlich sein könnte. Doch jetzt wird der Fall aus dem Jahr 1992 vor Gericht verhandelt. DNA-Spuren haben zu einem Verdächtigen geführt, der sich seit Montag vor dem Landgericht wegen Mordes verantworten muss. Doch der Angeklagte bestreitet die Vorwürfe.

Mord verjährt nie. Und nur deshalb ist es möglich, dass die Tat, die über viele Jahre ein Cold Case war, auch jetzt noch verfolgt wird. Mit Marian B. (Name geändert) sitzt ein Mann auf der Anklagebank im Prozess vor dem Schwurgericht, der lange Zeit von der Justiz unbehelligt geblieben ist und zuletzt in England gelebt hat – bis er im vergangenen Oktober verhaftet und nach Deutschland überstellt wurde. Seitdem befindet sich der Mann in Hamburg in Untersuchungshaft. Ins Visier der Ermittler kam der 53-Jährige, weil in Spuren vom damaligen Tatort durch neuere wissenschaftliche Analysen eine männliche DNA festgestellt und schließlich im Mai vergangenen Jahres tatsächlich jemanden zugeordnet werden konnte. In Italien hatte es einen Treffer gegeben: Es war die DNA von Marian B.

Prozess Hamburg: Dem Angeklagten wird Mord vorgeworfen

Mehr als eine schwarze Silhouette ist vor Prozessbeginn vom Angeklagten nicht zu sehen. Der 53-Jährige hat sich unter einer Robe verhüllt, damit auf Fotos sein Gesicht nicht zu erkennen ist. Und auch nachdem die Verhandlung begonnen hat, ist wenig über den Mann zu erfahren. Name, Geburtstag, Geburtsort: Marian B. bestätigt seine Personalien, dann macht er von seinem Recht zu schweigen Gebrauch. Der Anklage zufolge soll er das damalige Verbrechen aus Habgier begangen haben sowie um eine andere Straftat, nämlich einen Raub, zu ermöglichen.

Laut Ermittlungen hat sich die Tat, die dem 53-Jährigen jetzt im Prozess vorgeworfen wird, so abgespielt: Marian B. und Blumenhändler Karl-Heinz R. sitzen gemeinsam in der Wohnung des 60-Jährigen in Hamburg-Horn und trinken Alkohol. Plötzlich kommt es zu einer Auseinandersetzung, in deren Verlauf der damals 21-Jährige dem Wohnungsmieter mehrfach mit einer Flasche Rum auf den Kopf schlägt. Das Opfer erleidet schwerste Schädelverletzungen.

Dann fesselt der Täter den Blumenhändler mit einem zerrissenen Bettlaken, knebelt ihn mit einem weiteren Stoffstück. Und schließlich, so die Anklage weiter, habe Marian B. den 60-Jährigen mit einem Bettlaken erdrosselt. Dann soll der gebürtige Rumäne die Tageseinnahmen des Opfers in Höhe von rund 1500 bis 2000 D-Mark an sich genommen und aus der Wohnung geflüchtet sein.

Anklage: 60-Jähriger wurde mit einem Bettlaken erdrosselt und beraubt

Dass der 60-Jährige tot war, wurde seinerzeit entdeckt, nachdem er nicht wie gewohnt an seinem Blumenstand am Hauptbahnhof erschien. Wenig später war in der Wohnung des Mannes sein Leichnam gefunden worden. Unter anderem wurde bei dem Toten ein Schädelbasisbruch festgestellt.

In einem sogenannten „Opening Statement“ zum Prozess kritisiert Verteidigerin Alexandra Elek, die Anklage weise deutliche Mängel auf. Die DNA-Spuren würden zwar nahelegen, dass der Angeklagte damals in der Wohnung war – aber nicht, dass er auch die Tat begangen habe. So habe es an der Flasche, mit der das Opfer niedergeschlagen wurde, keine Spuren des damals 21-Jährigen gegeben. Die Spurenlage spreche eher dafür, dass der Angeklagte seinerzeit Sex mit dem Blumenhändler hatte. Das spätere Opfer sei homosexuell gewesen und habe wiederholt junge Männer mit nach Hause genommen.

Verteidigung kritisiert: Das Mordmotiv sei „konstruiert“

Auch das Mordmotiv, nämlich dass die Tötung aus Habgier begangen worden sei, sei „konstruiert“, meint die Verteidigung. Allein die Tatsache, dass Ermittler in der Wohnung des Opfers einen leeren Stoffbeutel und Preisschilder gefunden hätten, reiche nicht aus, um daraus zu schließen, dass Geld geraubt worden sei. So sei denkbar, dass es sich damals um einen Totschlag gehandelt habe.

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Wäre am Ende des Prozesses zwar eine Tötung nachzuweisen, aber kein Mord, wäre die Tat verjährt. Totschlag ist in Deutschland ein Verbrechen, das nach 20 Jahren verjährt ist. Und dies ist nur eine der Besonderheiten dieses Prozesses. Eine weitere Schwierigkeit, mit der die Verfahrensbeteiligten sich auseinandersetzen müssen: Viele der damaligen möglichen Tatzeugen sind mittlerweile verstorben, weitere inzwischen dement, sodass sie als Zeugen nicht mehr infrage kommen. Und auch bei anderen sind die Erinnerungen an die Tat inzwischen verblasst – kein Wunder nach 32 Jahren. So erzählt beispielsweise ein damaliger Kriminalbeamter der Mordkommission, seit mehreren Jahren Pensionär, er könne nicht mehr Details dieses Verbrechens benennen.

Nach 32 Jahren: Alles außer Mord wäre bereits verjährt

Dagegen erinnert sich ein heute 56-Jähriger, dessen Eltern seinerzeit Nachbarn des Blumenhändlers waren, noch gut an den Tatabend. Er habe in jener Nacht mehrere Stunden in einer Diskothek verbracht und dann, als er die Tür zur Wohnung seiner Eltern aufschloss, gehört, dass es in der Wohnung des späteren Opfers „Poltern und Gestampfe“ gegeben habe. „Ich habe mir erst nichts dabei gedacht.“ Später allerdings, nachdem er erfahren hatte, dass es ein Tötungsverbrechen in dem Haus gegeben hatte, habe er die Geräusche einem „Kampfgeschehen“ zugeordnet, erzählt der 56-Jährige. „Ich habe aber keine Hilferufe oder Ähnliches gehört.“

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Das spätere Opfer sei im Haus als freundlicher Mensch bekannt gewesen. Karl-Heinz R. habe häufiger Besuch gehabt – und das ausschließlich von Männern, die um einiges jünger gewesen seien als der 60-Jährige. Auch habe der Blumenhändler mal mit einem Mann zusammengelebt. In seiner Wohnung sei es „auch mal lauter zugegangen“ und habe habe öfter „Remmidemmi“ gegeben, erzählt der Zeuge. Als bekannt wurde, dass Karl-Heinz R. getötet wurde, hätten die Nachbarn „mit einer gewissen Bestürzung reagiert. In unserem Haus gab es einen Mord!“ Der Prozess wird fortgesetzt.