Hamburg. Im Sommer 2017 griff ein Mann in Barmbek mehrere Menschen an. Er habe „so viele ‚Ungläubige‘ wie möglich töten wollen“. Wie das Urteil lautete.
Die Attacken dauerten nur jeweils wenige Sekunden. Sie wurden entschlossen ausgeführt und haben bei den Opfern schwerstes Leid ausgelöst. Ein Mann starb, mehrere weitere Personen wurden schwer verletzt, als ein 27-Jähriger im Umfeld eines Supermarktes in Hamburg plötzlich mit einem Messer auf die ahnungslosen Opfer losging. Der Angriff traf Menschen, die dem Messer-Mann absolut nichts getan hatten. Sie waren schlicht zur falschen Zeit am falschen Ort.
„Die erste Attacke dauerte nur wenige Sekunden“, sagt Rechtsmediziner Klaus Püschel über die Tat vom Sommer 2017 in „Dem Tod auf der Spur“, dem True-Crime-Podcast des Hamburger Abendblattes mit Gerichtsreporterin Bettina Mittelacher. „Der 27-jährige Täter holte in dem Supermarkt ein Messer aus dem Regal, zog die Schutzhülle des Schneidwerkzeugs ab, dann stach er viermal auf sein erstes Opfer ein.“
True Crime Hamburg: Ein Todesopfer und mehrere Schwerverletzte
Und damit war an diesem 28. Juli 2017 in Hamburg-Barmbek der Gewaltakt des Täters noch lange nicht beendet. Ahmad A. griff auch vor dem Laden mehrere weitere Menschen an, verursachte bei sechs Opfern teils lebensgefährliche Verletzungen. „Und wer weiß, was passiert wäre, wenn er nicht von mutigen Leuten gestoppt worden wäre“, meint Mittelacher. „Sieben Männer schnappten sich, als sie damals den Messerstecher auf der Straße sahen, Steine, Metallstangen und Stühle, kreisten den Attentäter ein und setzten ihn außer Gefecht.“
Diese Männer wurden dann als „Helden von Barmbek“ gefeiert, bekamen später auch den „Ian-Karan-Preis“ für Zivilcourage. „Absolut verdient, wie ich finde“, meint Püschel. „Ich habe die Verletzungen gesehen, die der Täter verursacht hat, und konnte nachweisen, mit welcher Wucht er zugestochen hat. Dass sich die Männer ihm entgegengestellt und ihn außer Gefecht gesetzt haben, war großartig.“
Männer stoppten den Attentäter und erhielten dafür den „Ian-Karan-Preis“ für Zivilcourage
Die Absicht des Messerstechers war, so hat es später zumindest die Bundesanwaltschaft in ihrer Anklage formuliert, so viele deutsche Staatsangehörige christlichen Glaubens wie möglich zu ermorden. Ahmad A. habe aus einer islamistischen Gesinnung heraus gehandelt, hieß es.
Es war am Nachmittag in der Filiale eines Supermarktes an der Fuhlsbüttler Straße in Hamburg. Laut Anklage, die später im Prozess gegen Ahmad A. vor dem Hanseatischen Oberlandesgericht verlesen wurde, geschah folgendes: Der Täter nahm ein Kochmesser aus einer Auslage des Supermarktes und stach damit wuchtig auf einen völlig arglosen Kunden ein. Das 50-jährige Opfer verblutete noch am Tatort. Auch ein zweites Opfer wurde von dem Angreifer noch im Laden attackiert. Sodann stürmte der Messerstecher nach draußen, griff fünf weitere Menschen mit dem Messer an und verletzte sie schwer. Eins der Opfer war eine vorbeifahrende Radfahrerin.
Anklage wegen Mordes aus Heimtücke und niedrigen Beweggründen
Wie aus der Anklage hervorging, hatte sich in dem jungen Palästinenser, der über mehrere weitere Stationen nach Deutschland gekommen war und von hier hätte ausreisen sollen, eine diffuse Wut aufgestaut – unter anderem darüber, dass Muslime weltweit unterdrückt würden. Die Vorwürfe im Prozess gegen den Messerstecher lauteten auf Mord aus Heimtücke und niedrigen Beweggründung sowie sechsfacher versuchter Mord und sechsfache gefährliche Körperverletzung.
Und der Angeklagte räumte die Taten ein, beziehungsweise tat das sein Verteidiger in seinem Namen. In der Erklärung hieß es, dass Ahmad A. „sich in allen Anklagepunkten ausdrücklich schuldig bekennt. Die Taten hatten aus seiner Sicht einen religiösen Hintergrund“, sagte der Anwalt. Der Angeklagte habe unter einer sehr großen Anspannung gestanden, aus der heraus er die Taten begangen habe. Es scheint aber mindestens ebenso wahrscheinlich, dass Ahmad A. zumindest erstmal stolz auf seine Tat war. Ein LKA-Beamter erzählte als Zeuge vor Gericht, dass der 27-Jährige sich zwei Tage nach dem Attentat regelrecht damit gebrüstet habe. Als der Messerstecher erfahren habe, wieviel Opfer es gab, sei Ahmad A. „erfreut“ gewesen. Während der Vernehmung habe der gebürtige Palästinenser „Gott gedankt“, habe „süffisant gelächelt“ und eine „stolze Körperhaltung“ eingenommen.
Messerstecher wirkte stolz auf seine Taten und habe „süffisant gelächelt“
Als Motiv für Attentat soll für den gebürtigen Palästinenser, der erst nach Norwegen und dann nach Deutschland ausgewandert war „eine Rolle gespielt haben, dass nach seiner Ansicht nach Muslime weltweit unterdrückt würden“, sagt Püschel. Außerdem beschäftigte sich der 27-Jährige gedanklich intensiv damit, dass israelische Sicherheitskräfte seinen Glaubensbrüdern den Zugang zur Al-Aqsa-Moschee auf dem Tempelberg in Jerusalem erschwerten. Aus Sicht von Ahmad A. trug Deutschland daran Mitverantwortung, deshalb hätten möglichst viele Deutsche sterben sollen. So wurde es in der Anklage dargelegt.
Über die Verletzungen, die der 27-Jährige bei Opfern verursacht hat, sagt Püschel, dass das erste Opfer keine Chance zu überleben gehabt habe. „Zwei der Stiche in die Brust- und in die Bauchhöhle sind absolut tödlich gewesen.“ Auch die Verletzungen weiterer Opfer seien lebensbedrohlich oder zumindest potentiell lebensgefährlich gewesen. Der Täter habe jeweils mit großer Wucht zugestochen.
„Ich dachte nur, wir müssen etwas unternehmen. Er wollte die Leute töten“
Ein Zeuge schilderte im Prozess, wie er den damaligen Täter erlebte. Er habe einen Mann „Allahu Akbar“ brüllen hören. „Ich hatte große Angst“, sagte der 21-Jährige. „Ich einen jungen Mann mit einem Messer in der Hand, die Hand war voller Blut. Ich dachte nur: Wir müssen etwas unternehmen. Er wollte die Leute töten.“ Draußen, so erzählte es der Supermarkt-Mitarbeiter, habe er sich mit einem Stuhl bewaffnet und so viele Menschen wie möglich gewarnt. Inzwischen hätten weitere Männer den Angreifer verfolgt. Ein 20-Jähriger berichtete, der Täter habe „Mordlust ausgestrahlt“. Und weitere Männer halfen mit, den Messerstecher unschädlich zu machen. In einer Nebenstraße kreisten sie ihn ein, bewarfen ihn unter anderem mit Stühlen. Mit einem Steinwurf gegen den Kopf habe einer der Verfolger den Attentäter außer Gefecht setzen können, ein anderer habe mit einer Metallstange auf ihn eingeschlagen, hieß es später im Prozess.
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Bei Ahmad A. sei „der phasenhafte Verlauf seiner Radikalisierung auffällig gewesen“, erläuterte ein Psychiatrischer Sachverständiger im Prozess. Nach der Gründung des Islamischen Staates (IS) im Jahr 2014 habe er sich Propagandavideos der Terrororganisation angesehen. Im März 2016 habe er nach eigenen Angaben den Koran plötzlich vollkommen verstanden und sei davon überwältigt gewesen. Er habe die Menschen nur noch in wahre Gläubige und Heuchler unterteilt.
Angeklagter sagte, er könne „die Zeit leider nicht zurückdrehen“
„In seinem letzten Wort vor der Urteilsverkündung entschuldigte sich Ahmad A. erstmals bei den Opfern und ihren Familien, die noch heute unter den Folgen der Tat leiden“, berichtet Mittelacher. „Er sagte, er wisse nun, dass er nicht das Recht habe, das Leben anderer zu beenden.“ „Ich kann die Zeit leider nicht zurückdrehen“, meinte er. In Richtung der Opfer beziehungsweise der Angehörigen des Getöteten sagte er weiter. „Ich kann Sie nur um Verzeihung bitten.“
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Das Urteil des Hanseatischen Oberlandesgerichts für Ahmad A. lautete schließlich: lebenslange Freiheitsstrafe unter anderem wegen Mordes. Zudem stellte das Gericht die besondere Schwere der Schuld fest. „Der Angeklagte wollte so viele ‚Ungläubige‘ wie möglich töten“, hieß es in der Urteilsbegründung. Immer wieder sei phasenweise religiöser Fanatismus in ihm aufgebrochen. Schließlich habe A. sich zum Töten entschlossen und habe dann unter lauten „Allahu Akbar“-Rufen Menschen angegriffen, so der Richter, die „nichts aber wirklich gar nichts, für seine persönliche Situation oder die Lage in seinem Land konnten“.
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