Hamburg. 28 und 22 Jahre nach Ermordung zweier Frauen in Hamburg hat Prozess gegen heute 69-Jährigen begonnen. Das sagt der Angeklagte
Die eine Frau lag neun Tage lang tot in ihrer Wohnung. Erst dann wurde ihr Leichnam entdeckt. Das andere Opfer wurde von deren Lebensgefährten bei seiner Rückkehr aus einem Kurzurlaub gefunden. „Wie aufgebahrt“ habe seine Freundin damals dagelegen, erzählt der Mann.
Es sind zwei Todesfälle aus den 90er Jahren, die beide seitdem die Polizei beschäftigen. Immer wieder haben sich die Ermittler die Akten vorgenommen. Ist jetzt, mehr als zwanzig Jahre später, der Mann gefunden, der für die Morde verantwortlich ist? Können die Cold Cases endlich aufgeklärt werden?
Cold Cases: Heute 69-Jähriger soll Morde begangen haben
Für die Verbrechen muss sich seit Dienstag vor dem Schwurgericht Willi S. verantworten. Die Staatsanwaltschaft wirft dem 69-Jährigen vor, im Juni 1993 eine 28-Jährige in deren Wohnung an der Berzeliusstraße aufgesucht, sich sexuell an ihr vergangen und sie im Laufe des Geschehens mit einem Handtuch erwürgt haben, um ihren Widerstand zu brechen. Nach der Tat habe er zwei Handtaschen und einen Wohnungsschlüssel entwendet, heißt es in der Anklage.
Die zweite Tat ereignete sich im Oktober 1999. Damals, so die Vorwürfe, suchte Willi S. eine 79-Jährige in deren Wohnung an der Steinbeker Hauptstraße auf. Dort habe er die gehbehinderte Rentnerin auf ihr Bett gedrückt und sie mit einer über ihren Kopf gezogenen Plastiktüte und einem Seidenschal erstickt sowie sexuelle Handlungen an ihr vorgenommen. Auch hier wird ihm darüber hinaus Diebstahl vorgeworfen.
Angeklagter Willi S. soll beide Opfer gekannt haben
Willi S., ein schmaler Typ mit zerfurchtem Gesicht, verbirgt vor Prozessbeginn seinen Kopf unter einer schwarzen Kapuze. Sein Verteidiger erklärt in seinem Namen, dass ihn das Strafverfahren „außerordentlich belastet“. Der Angeklagte habe beide Opfer gekannt und „bedauert deshalb deren Schicksal“. Aber mit den Verbrechen habe er nichts zu tun, beteuere der 69-Jährige.
Übergriffe auf Frauen scheinen Willi S. allerdings nicht fremd zu sein. Der Angeklagte mit Spitznamen Feino ist ein Mann mit bewegter, wenig erfreulicher Geschichte. Er wurde bereits wegen diverser Sexualdelikte an Frauen unterschiedlichen Alters vorbestraft. Zuletzt erhielt er 2011 wegen eines Übergriffs sowie versuchten Mordes an seiner Nichte neun Jahre Freiheitsstrafe mit anschließender Sicherungsverwahrung.
DNA-Spuren in der Wohnung des zweiten Opfers
Diese Vorstrafen sind einige der Bausteine, aus denen sich der Verdacht gegen den in Neumünster geborenen Mann zusammensetzt. Ferner war Willi S. mit beiden Opfern zumindest bekannt. Vor allem aber gibt es DNA-Spuren, die darauf hinweisen, dass der Angeklagte jedenfalls beim zweiten Opfer Ilse H. in der Wohnung war. Ermittler hatten in einem der Zimmer der Rentnerin eine Zigarettenkippe gefunden — eine auffällige Hinterlassenschaft in dem sonst so penibel aufgeräumten Zuhause der 79-jährigen.
Mord verjährt nie. Und so hatte sich die Cold Case-Unit der Polizei immer wieder in die Fälle vertieft, schließlich DNA nach neuesten Methoden analysiert und Willi S. so als denjenigen identifiziert, der mit jener Zigarette zumindest in Berührung gekommen sein muss. Zudem wurden beide Verbrechen, das an Ilse H. sowie die Tötung der 28 Jahre alten Roswitha N., als mögliche Taten desselben Mörders gewertet. In diesem Lichte betrachtet geriet Willi S. soweit in den Fokus der Ermittlungen, dass schließlich Anklage erhoben und der Verdächtige jetzt vor Gericht gestellt wurde.
Mordfall Ilse H.: Angklagter beschuldigt zwei Männer aus Rumänien
In der von seinem Verteidiger verlesenen Aussage schildert Willi S. das erste Mordopfer Roswitha N. als Frau, die trotz einer festen Beziehung Sex mit anderen Männern gehabt habe. Über das Verbrechen an ihr könne er indes keine Angaben machen. Anders verhalte es sich bei Ilse H. Die auf Hilfe angewiesene 79-Jährige habe öfters Besuch in ihrer Wohnung gehabt, unter anderem von zwei Männern aus Rumänien, die es wohl auf die Ersparnisse der Rentnerin abgesehen hätten. Dabei nennt der Angeklagte auch zwei Namen. Offenbar seien es diese beiden, die das Tötungsdelikt begangen haben, ist der Tenor der Aussage von Willi S. Er habe das Duo bisher noch nie belastet, weil er Angst vor deren Großfamilien habe. Nun aber müsse er sein Schweigen brechen.
Auf 13 Verhandlungstage ist der Prozess gegen Willi S. terminiert. Es werden unter anderem Zeugen aus dem Umfeld der damaligen Mordopfer gehört, die sich möglichst präzise an Ereignisse zurückerinnern sollen, die weit mehr als zwanzig Jahre zurückliegen. Wie gut kann das gelingen?
Angeklagter soll Mordopfer Roswitha N. gedroht haben
Der erste Zeuge ist der frühere Lebensgefährte von Roswitha N., der sich in Details seiner Aussage immer wieder selber widerspricht. An eine Szene will er sich jedoch genau erinnern, erzählt der 54-Jährige. Einige Wochen nach dem Mord an Roswitha N. habe er den jetzigen Angeklagten Willi S. zufällig getroffen. Dieser sei sofort aufgesprungen und habe gerufen: „Ich war das nicht!“ Andererseits berichtet der Zeuge von einer angeblichen Drohung von Willi S. gegen die 28-Jährige. Der Mann habe zu Roswitha N. gesagt: „Ich bring dich nochmal um.“