Hamburg. 49-Jähriger muss sich wegen versuchten Mordes vor Gericht verantworten. In seiner Wohnung fanden sich Nazi-Devotionalien.
Sie musste raus aus ihrer Wohnung. Schnell. Für Uma R. (alle Namen geändert) fühlte sich dieser Ort nicht mehr sicher an; er war verbunden mit Ängsten und Leid. Die 25-Jährige hat erlebt, wie jemand durch die Wohnungstür schoss. Die Kugel durchdrang ein Möbelstück und schlug dann in die Wand. Es hätte wohl auch anders ausgehen können. Sie hätte tot sein können.
Wenn Uma R. jetzt im Prozess vor dem Landgericht Hamburg von diesem Erlebnis am 27. Mai dieses Jahres erzählt, erinnert sie den Schock, den sie verspürte. Sie erzählt, wie sie damals, zu Beginn ihrer Schwangerschaft, nach dem Schuss durch den Spion in der Tür schaute – und wie sie dort eine Person mit einer Waffe sah.
Prozess Hamburg: Angeklagter muss sich wegen versuchten Mordes verantworten
Diese Person war der damalige Nachbar von Uma R., ein 49 Jahre alter Mann, der sie schon öfter bei der Polizei angezeigt hatte. Und der diesmal zum Gewehr gegriffen hatte und auf die Tür schoss.
Im Prozess vor dem Landgericht, wo sich Frank G. für diese Ereignisse wegen versuchten Mordes verantworten muss, räumt der Hamburger ein, tatsächlich eine Kugel abgefeuert zu haben. Er habe aber „die Nachbarin nur erschrecken und niemanden treffen“ wollen. Er habe geglaubt, es befinde sich niemand in der Wohnung, lässt der Angeklagte über seine Verteidigerin erklären.
Die Staatsanwaltschaft wirft dem 49-Jährigen indes vor, er habe durch die Tür seiner pakistanischstämmigen Nachbarin in dem Mehrfamilienhaus in Hamburg-Niendorf geschossen, um die junge Frau zu töten. Sein Motiv war laut Anklage eine rechtsradikale und fremdenfeindliche Gesinnung. Er habe aus niedrigen Beweggründen und heimtückisch gehandelt, als er eine Kugel aus einem Repetiergewehr abfeuerte.
Nazi-Devotionalien in der Wohnung des 49-Jährigen
Neben dieser Waffe soll Frank G. auch eine Schrotflinte sowie 20 Patronen ohne waffenrechtliche Erlaubnis aufbewahrt haben. Bei einer Wohnungsdurchsuchung fand die Polizei darüber hinaus Nazi-Devotionalien sowie Unterlagen mit Bezügen zum Ku-Klux-Klan und der NPD.
Dem Angeklagten droht eine langjährige Freiheitsstrafe, theoretisch kommt auch eine lebenslange Haftstrafe in Betracht. Neben dem Vorwurf des versuchten Mordes muss er sich zudem wegen Verstößen gegen das Waffengesetz verantworten. Der Prozess ist auf bislang auf neun Verhandlungstage terminiert. Ein Urteil könnte Ende Januar gesprochen werden.
Angeklagter: Nach dem Schuss erst mal „komisch gefühlt“
Was Frank G. zu den damaligen Geschehnissen zu sagen hat, lässt der schmale Mann mit dem kurz geschorenen Haar von seiner Verteidigerin vortragen. Es sei „zutreffend“, dass er sich in jener Nacht vor der Tür seiner Nachbarin positioniert habe. Den Schuss habe er „quasi aus der Hüfte“ abgegeben. Der laute Knall, der dadurch ausgelöst wurde, habe ihn erschreckt.
Nach dem Schuss habe er sich erst mal „komisch gefühlt. Ich fragte mich, ob ich das geträumt oder wirklich gemacht habe“. Bei ihm müsse an jenem Abend „eine Sicherung durchgebrannt“ sein. Heute wolle er sich von dem Geschehen „deutlich distanzieren. Es tut mir sehr leid.“
Angeklagter: „Heißgeredet über Migrationspolitik“
In seiner Jugend und als junger Erwachsener habe er wohl eine rechtsradikale und ausländerfeindliche Gesinnung vertreten. „Man könnte sagen, dass ich eine Neonazi-Vergangenheit habe“, heißt es in der Erklärung von Frank G. Mittlerweile habe er sich weitgehend von ausländerfeindlichen Ansichten entfernt, sich allenfalls mal „unangemessen ausgedrückt“.
Nachdem er nach mehreren Schlaganfällen seinen Beruf auf dem Bau nicht mehr habe ausüben können, habe er sich in Diskussionen beispielsweise in der Kneipe „heißgeredet über Migrationspolitik – und da in etwas reingesteigert“. So sei er in die Ausländerfeindlichkeit „wieder reingerutscht“.
Aus Ärger über Lärm „mal einen Schrecken einjagen“
Als in dem Mehrfamilienhaus, in dem er wohnte, mehrere Flüchtlinge einzogen, sei es häufig sehr laut gewesen. Er und seine Lebensgefährtin hätten sich oft gestört gefühlt, weil insbesondere nachts viel Lärm geherrscht habe. Mehrere Beschwerden bei der Polizei und bei der Hausverwaltung hätten nichts gebracht.
Also habe er an jenem Abend, nach dem Genuss von reichlich Alkohol, entschieden, dass er „denen mal einen Schrecken einjagen“ müsse. Er habe aber niemanden gefährden wollen. „Ich habe in der Wohnung nichts gehört und dachte deshalb, es ist niemand da.“
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Insgesamt will Frank G. offenbar so verstanden werden, als sei alles ein Versehen. Seine fremdenfeindliche Gesinnung sei längst Vergangenheit, die Nazidevotionalien in seiner Wohnung habe er nur aus einer Laune heraus wieder „rausgekramt“. Und der Schuss sei nur eine Kurzschlusshandlung und nicht wirklich gefährlich. Also eigentlich alles nicht so schlimm?
Es gibt allerdings Hinweise, die darauf schließen lassen, dass Frank G. längst nicht so friedlich ist, wie er vorgibt. Gericht und Staatsanwaltschaft konfrontieren ihn mit Erkenntnissen, die sich aus den Ermittlungen ergeben haben.
49-Jähriger bedauerte, „keinen getroffen zu haben“
Der 49-Jährige hat sich offenbar an Chats beteiligt, die ganz eindeutig fremdenfeindlich sind. Er hatte über seinem Sofa ein großes Plakat mit dem Aufdruck „Refugees not welcome“ (Flüchtlinge nicht willkommen) hängen. Neben den beiden Gewehren wurden in seiner Wohnung zahlreiche weitere Waffen wie Schlagringe und Schlagstöcke gefunden.
Und dann war da noch jener Moment, als die Polizei nach den Schüssen bei Frank G. anrückte. Wie er da reagiert habe, hat ein Beamter notiert. Demnach hat der 49-Jährige gesagt, er „bedauere, keinen getroffen zu haben“. Er soll ebenfalls geäußert haben, wenn er wieder aus dem Gefängnis rauskomme, werde er „es wieder versuchen“. Dann könne er „zum Massenmörder“ werden.