Hamburg. Die Hamburger Kinderärztinnen räumen mit einem Missverständnis auf und erklären, welchen Zeitpunkt Eltern nicht verpassen sollten.

Wer Kinder hat, weiß: Erziehung ist keine einfache Sache. Wohl niemand macht hier jederzeit einen perfekten Job. Die beiden Hamburger Kinderärztinnen Claudia Haupt und Charlotte Schulz haben dennoch einige entscheidende Tipps. „Wir wollen nicht einen bestimmten Erziehungsstil als den richtigen propagieren“, sagt Haupt, die Vorsitzende des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzte Hamburg ist. „Aber es gibt Erziehungsstile, die aus Sicht der allermeisten Fachleute nicht günstig sind.“

Gemeint sind die beiden Extreme: an einem Ende der sogenannte autokratische Erziehungsstil, wo Eltern eigentlich alles vorgeben, dies mit Regeln und Strafen durchsetzen und nur wenig schauen, was die Kinder wollen oder wie es ihnen geht. Am anderen Ende steht das totale Laisser-faire, bei dem Eltern so gut wie gar nicht steuern. „Eltern dürfen den Mut haben, ihre Kinder zu erziehen, und sollten nicht erwarten, dass sie sich selber erziehen, weil das zu einer starken Verunsicherung des Kindes führen kann“, sagt Haupt.

KinderDocs: Das große Missverständnis bei „bedürfnisorientierter Erziehung“

Ein guter Ansatz und sehr verbreitet ist derzeit die sogenannte bedürfnisorientierte Erziehung, aber hier räumen Haupt und Schulz, Sprecherin des Berufsverbandes der Hamburger Kinder- und Jugendärzte, mit einem Missverständnis auf: „Gemeint ist das Bedürfnis aller in der Familie. ,Bedürfnisorientiert´ heißt nicht: Es geht nur darum, was das Kind braucht, das ist das Einzige, was zählt.“

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Was ist gut und was schlecht an "bedürfnisorientierter Erziehung"?

Die KinderDocs - der Eltern-Ratgeber-Podcast

Einen entscheidenden Zeitpunkt sollten Eltern nicht verpassen: wenn neben die Bedürfnisse nämlich Wünsche des Kindes treten. Neugeborene wollen trinken, schlafen, sich geborgen fühlen, ohne Schmerzen sein. Diese Bedürfnisse müssen Eltern selbstverständlich erfüllen. Aber dann kommt der Moment, in dem Wünsche dazukommen. In ihren Praxen erleben die Kinderärztinnen manchmal Eltern, sie sagen: Diesen Zeitpunkt habe ich verpasst. Den Unterschied erklären die Medizinerinnen so: Wenn ich hungrig bin, habe ich das Bedürfnis zu essen, wenn ich drei Schokoriegel möchte, dann sind das meine Wünsche.

Diesen Zeitpunkt sollten Eltern in der Erziehung nicht verpassen

„Im Laufe des ersten Lebensjahrs sollten Eltern beginnen, den Kindern Orientierung zu geben“, so Claudia Haupt. „Das hilft den Kindern dabei, Urvertrauen aufzubauen. Sie brauchen das Gefühl, dass ihre Eltern wissen, wo es langgeht und ein sicherer Hafen sind. Wenn Eltern immer nur spiegeln: mal sehen, was du so möchtest, und nichts vorgeben, verunsichert dies die Kinder stark.“

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Im Ziel dürften sich ja die meisten Eltern einig sein: Sie wollen ihre Kinder zu verantwortungsvollen, selbstbewussten Menschen mit gutem Selbstwertgefühl erziehen, die Vertrauen in ihre eigenen Fähigkeiten haben, ihre Stärken kennen und mit ihren Schwächen klarkommen, die sich mit guter Sozialkompetenz in Gruppen einbringen können, empathisch auf andere einwirken, rücksichtsvoll sind, aber auch für ihre Meinung einstehen können. Dafür brauchen Kinder Orientierung und Eltern als Vorbilder. Wichtig ist auch, dass Eltern gemeinsame Erziehungsstile und gemeinsame Ziele verfolgen und sich nicht von den Kindern gegeneinander ausspielen lassen.

„Magst du mal kommen?“ – Schluss mit solchen Elternfragen

Manchmal erleben die Kinderärztinnen, dass Kinder ein extrem herausforderndes Verhalten zeigen, nur um die Eltern dazu zu reizen, endlich mal irgendeine Vorgabe zu machen. „Es gibt Familien, in denen die Kinder unfassbar laut brüllen, wenn sie etwas wollen, weil die Eltern erst reagieren, wenn sie so extreme Signale senden – der Rest wird einfach nicht wahrgenommen“, hat Charlotte Schulz beobachtet. Auch verpackten nicht wenige Mütter und Väter ihre Aufforderungen an die Kinder in Fragen. „Lia, magst du mal herkommen“, heißt es dann. Und Lia denkt sich: Nee, mag ich nicht, möchte grad was anderes machen.

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Der Rat der Medizinerinnen: Das Kind kann entscheiden, ob es die grüne oder blaue Hose anzieht, die Puppe oder den Bagger in die Kita mitnimmt oder dieses oder jenes Spiel spielen möchte. „Aber die Eltern entscheiden, dass Zähne geputzt werden oder wann es Zeit fürs Bett ist. Es für Kinder viel leichter, wenn sie sicher vorhersehen können, dass es Fragen gibt, in die sie mit einbezogen werden, und Entscheidungen, die die Eltern treffen. Denn manches können Kinder eben noch nicht überblicken.“

KinderDocs: Wie Kinder an Situationen wachsen können

Wenn Kinder sich unangenehmen Dingen stellen müssen und ihre Eltern sagen, komm, wir ziehen das jetzt gemeinsam durch, dann sendet ihnen das auch das Signal: Ich traue dir das zu. Kindern immer möglichst viel abzunehmen, sei nicht gut für das Selbstwertgefühl. „Wir wollen ja gerne, dass die Kinder Situationen haben, an denen sie wachsen können.“

Im Abendblatt-Podcast „Die KinderDocs“ verraten die beiden Kinderärztinnen auch, wie man richtig lobt und warum zu pauschales Dauerlob eher kontraproduktiv ist, wie man mit der Trotzphase umgeht, die eigentlich eine Autonomiephase ist, und wie man eine Umgebung für das Kind schafft, in der Eltern nciht immerzu „Nein“ sagen müssen.