Hamburg. Die Einrichtung an der Feuerbergstraße in Hamburg muss schwierige Mädchen und Jungen aufnehmen. Sie steht vor etlichen Problemen.
- „Systemsprenger“ oder „Drehtürkinder“ stellen Mitarbeiter der Jugendhilfe in Hamburg vor immense Herausforderungen.
- Die Kinder bleiben viel zu lange im Notdienst, weil weitergehende Einrichtungen in Hamburg fehlen.
- Die Stadt Hamburg hat genug finanzielle Mittel für die Kinder- und Jugendhilfe, es fehlt aber an Immobilien und Personal.
Der stark belastete Kinder- und Jugendnotdienst an der Feuerbergstraße in Hamburg-Nord muss immer mehr besondere Kinder und Jugendliche aufnehmen, für die es in Hamburg offenbar kaum geeignete Hilfseinrichtungen gibt. Wie die Sozialbehörde in dieser angespannten Lage mit solchen „Systemsprengern“ umgeht.
Kinder, die aus stark belasteten Familien kommen und bereits schlimme Erfahrungen gemacht haben, die keine Grenzen akzeptieren und sich nicht an Regeln halten, die kaum oder gar nicht für pädagogische Anleitungen und Ansprachen empfänglich sind, nehmen zu – insbesondere nach den Lockdowns der Corona-Pandemie. Zu den ohnehin stetig steigenden Zahlen von Mädchen und Jungen, die in den Kinder- und Jugendnotdienst (KJND) kommen, sind es außerdem diese „Systemsprenger“ oder „Drehtürkinder“, wie sie in Fachkreisen genannt werden, die die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Jugendhilfe in Hamburg vor immense Herausforderungen stellen.
Kinder- und Jugendnotdienst: „Drehtürkinder“ finden kaum passende Gruppen
„Diese Kinder kommen in den KJND, werden dann in andere Einrichtungen der Träger der freien Jugendhilfe weitergeleitet und kommen doch vielfach wieder zurück“, sagt Petra Lotzkat, Staatsrätin in der Sozialbehörde. Der Grund: Diese Kinder passen häufig nicht in die bestehenden Gruppen oder Konzepte; die Einrichtungen kommen nicht mit ihnen zurecht und schicken sie zurück.
„Das ist ein großes Problem, es sind keine Einzelfälle“, so Lotzkat. Genaue Zahlen werden nicht erfasst. Aber es sind beispielsweise 13-Jährige oder auch jüngere Kinder, die bereits eine Einrichtung nach der anderen durchlaufen haben, ohne dauerhaft ein stabiles Umfeld zu finden. „Das sind traurige Biografien“, sagt die Staatsrätin.
Es waren die brutalen Überfälle auf wartende Patienten am Altonaer Kinderkrankenhaus (AKK), die in den vergangenen Tagen wieder einmal die Aufmerksamkeit auf den Kinder- und Jugendnotdienst lenken. Die drei aggressiven Angreiferinnen (12 und 13 Jahre alt) leben nach Abendblatt-Informationen in der Einrichtung.
Feuerbergstraße Hamburg: Zahl der Inobhutnahmen deutlich gestiegen
Die Zahl der sogenannten Inobhutnahmen wegen Krankheit der Eltern, Gewalt oder Vernachlässigung steigt deutlich. Im vergangenen Jahr sind rund 1500 Kinder und Jugendliche in Obhut genommen worden, rund ein Drittel mehr als vor der Pandemie. „Das ist eine erschreckend hohe Zahl“, so Lotzkat. „Familien tun sich zunehmend mit ihrer Erziehungskompetenz schwer, das merken wir in der Jugendhilfe, in der Schule und den Kitas.“ Momentan sind 121 Plätze im KJND belegt, damit hat sich die Lage im Vergleich zum vergangenen Herbst etwas entspannt.
Aber die Zahlen der Inobhutnahmen steigen stetig an. Auch kleine Kinder zwischen null und sechs Jahren kommen vermehrt in den KJND und in die sieben Kinderschutzhäuser der Stadt. Diese Kinder sind u.a. vernachlässigt, wurden sexuell misshandelt, haben teils gewalttätige oder drogenabhängige und psychisch kranke Eltern.
Kinder- und Jugendnotdienst soll nur Übergangslösung sein – aber es fehlt an Alternativen
Das Dilemma, vor dem die Stadt Hamburg steht: Sie muss Kinder und Jugendliche in Notlagen aufnehmen, egal, wie viele, egal zu welcher Tag- und Nachtzeit. Das ist die Aufgabe des Staates. „Wir gewähren den Kinderschutz in unserer Stadt rund um die Uhr. Der Kinder- und Jugendnotdienst soll dabei immer nur eine Übergangslösung für wenige Tage sein“, so Lotzkat.
Die Realität ist eine andere: Weil es zu wenig Plätze in den Einrichtungen der freien Träger gibt, stockt der „Abfluss“, also der Umzug in dauerhafte Wohngruppen und spezialisierte Einrichtungen oder auch zurück zu den sorgeberechtigten Eltern – das ist das große Problem. Die Kinder und Jugendlichen bleiben stattdessen häufig wochenlang in der Feuerbergstraße. Mitarbeiter und Betroffene kritisieren, dass sich dann um diese Mädchen und Jungen im Kinder- und Notdienst nicht ausreichend gekümmert werden kann.
Die Zahl an Einrichtungen für diese belasteten Kinder und Jugendlichen in Hamburg reicht einfach nicht. Zwar hat gerade ein weiteres Kinderschutzhaus in Bergedorf eröffnet, und die spezialisierte Jugendhilfe-Einrichtung Casa Luna wird voraussichtlich Ende 2026/Anfang 2027 an den Start gehen. Dort sollen die Kinder und Jugendlichen Hilfen vor Ort bekommen und auch beschult werden; dort können auch Kinder nach entsprechendem Gerichtsbeschluss geschlossen untergebracht werden. Doch die insgesamt 16 Plätze können den Bedarf nicht decken.
Sozialstaatsrätin: Es fehlen geeignete Immobilien und Personal
Geld, um selbst Einrichtungen zu schaffen, hat die Stadt Hamburg zwar, „aber es fehlen geeignete Immobilien und Personal“, so die Sozialstaatsrätin. Ebenso geht es den freien Jugendhilfe-Trägern. Sie finden oftmals nicht die Räumlichkeiten und die Fachkräfte, um ihr Angebot ausweiten zu können. Die Sozialbehörde versucht, den Trägern mit bürokratischen Erleichterungen und finanziellen Anreizen entgegenzukommen, damit sie doch neue Plätze schaffen. Und sie denkt darüber nach, weitere eigene Einrichtungen zu schaffen.
Besonders schwierige Fälle werden vorübergehend, bis ein passendes Jugendhilfesetting gefunden ist, bereits einzeln untergebracht, zum Beispiel in einer angemieteten Wohnung, in der sechs Erzieher sich um ein Kind oder einen Jugendlichen kümmern. Die Schaffung einer geschlossenen Unterbringung, wie sie bis 2008 in der Feuerbergstraße existierte und die die CDU erneut fordert, ist aus Sicht von Petra Lotzkat keine Lösung. Denn darüber hat in jedem Einzelfall ein Gericht zu entscheiden, wenn eine Eigen- oder Fremdgefährdung vorliegt und keine andere Maßnahme wirkt – und das sei nur bei vier oder fünf Betroffenen im Jahr der Fall.
Feuerbergstraße Hamburg: „Wir müssen mit der angespannten Situation leben“
Zusätzlich zu den Mädchen und Jungen, die aus Hamburg und anderen Bundesländern in den KJND kommen, werden auch unbegleitete minderjährige Flüchtlinge dort untergebracht. Zuletzt im Herbst wegen mangelnder Kapazitäten auch in der Turnhalle. Für den Herbst erwartet Petra Lotzkat wieder sehr viele dieser jungen Flüchtlinge.
Die Bedingungen im Kinder- und Jugendnotdienst werden sich nicht ändern, so scheint es. Der Andrang ist zu groß. „Wir tun alles, um den Abfluss der Kinder und Jugendlichen in geeignete Einrichtungen zu fördern“, sagt Petra Lotzkat.
- Hamburg: Als Kind im KJND – „Erlebnisse haben sich in die Psyche gebrannt“
- Problemkinder in Hamburg: „Kinder- und Jugendnotdienst in dramatischer Situation“
- Viel mehr Polizeieinsätze im Kinder- und Jugendnotdienst
Aber: „Es gibt hier keine schnellen und kurzfristigen Lösungen. Wir werden mit der angespannten Situation im KJND weiter leben müssen, unternehmen aber parallel vieles, um die gute und so wichtige Arbeit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vor Ort zu unterstützen und den Kindern und Jugendlichen, die Hilfe zukommen zu lassen, die sie benötigen. Beispielsweise haben wir den Landesbetrieb Erziehung und Beratung (LEB) ermächtigt Personalnachbesetzungen schnell und unkompliziert vorzunehmen und Immobilien anzumieten.“