Hamburg. Psychosen, Schulabbruch, Rückzug: Erfahrene Hamburger KinderDocs schildern bedrückende Fälle. „Zulässige Mengen viel zu hoch“

Auch der Bundesrat hat das Gesetz nicht gestoppt: Vom 1. April an ist Cannabis in bestimmten Mengen für über 18-Jährige freigegeben. Auswirkungen wird das Gesetz aber auch für Kinder und Jugendliche haben. Davon sind die beiden Hamburger Kinderärztinnen Dr. Claudia Haupt und Dr. Charlotte Schulz überzeugt. Sie kritisieren die Neuregelung: Die erlaubte Menge sei zu groß und die Altersgrenze viel zu niedrig angesetzt, Aspekte des Jugendschutzes würden zu wenig beachtet.

In ihren Kinderarztpraxen haben die beiden Medizinerinnen häufiger mit dem Thema Drogen zu tun. Manchmal kommen Jugendliche zu ihnen, viel häufiger aber besorgte Eltern mit ihren Kindern im Schlepptau. „Die Eltern sind ratlos, weil sie sehen, dass der Cannabiskonsum bei ihren Kindern körperliche, aber auch psychische und soziale Folgen hat“, sagt Claudia Haupt, Vorsitzende des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzte Hamburg. Die Jugendlichen haben keinen Antrieb mehr, interessieren sich überhaupt nicht mehr für die Schule und fallen zurück.

KinderDcs warnen: Welche Gefahren Jugendlichen durch Cannabis drohen

Im schlimmsten Fall löse der Cannabiskonsum bei den Jugendlichen eine Psychose aus – und zwar nicht nur, wenn sie dauerhaft konsumieren, sondern mit Pech auch beim ersten oder zweiten Mal. „Da gab es einige Fälle, an die ich mich erinnere, die zu sehr großem Leid, zu Ängsten und einer monatelang desolaten Befindlichkeit geführt haben“, sagt Charlotte Schulz, Sprecherin des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzte Hamburg. „Wir müssen ganz deutlich sagen, dass regelmäßiger Konsum im Jugendalter wirklich psychische und kognitive Störungen nach sich ziehen kann.“

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Die KinderDocs erinnern sich an einen 15-Jährigen, der wegen anderer Beschwerden in die Praxis kam, aber dann psychisch fast zusammenbrach, weil er nach seinem zweiten Cannabiskonsum eine schwere psychotische Reaktion hatte mit sogenannten dissoziativen Zuständen. Er kam aus diesem psychotischen Schub nicht wieder heraus und musste in die Psychiatrie.

Zwei Fälle haben Kinderärztinnen erschüttert

Oder an einen anderen Jungen im ähnlichen Alter, der eine Depression und dann eine schwere Psychose entwickelte. Er war über Jahre hinweg stark beeinträchtigt. „Als er lernte, dass sein sehr ausgeprägter Cannabiskonsum beigetragen hat zu dieser schweren Erkrankung, hat er das zutiefst bereut.“ Cannabis ist zwar nicht der Grund für die Psychose, kann aber Auslöser dafür sein, dass sie ausbricht.

Das von den Ampelparteien verabschiedete Gesetz sieht vor, dass Erwachsene ab 18 Jahren ab 1. April 25 Gramm Cannabis zum Eigenkonsum mit sich führen und zu Hause bis zu 50 Gramm Cannabis haben dürfen. An 18- bis 21-Jährige dürfen 30 Gramm pro Monat abgegeben werden. Der Verkauf bleibt verboten, allerdings ist die Gründung der Cannabis-Clubs, in denen Cannabis angebaut wird und deren Mitglieder hier die Droge bekommen, erst ab 1. Juli möglich.

KinderDocs Hamburg: Gehirn erst mit 25 Jahren voll ausgereift

„Unser Gehirn ist mit 18 Jahren überhaupt noch nicht ausgereift, sondern erst mit ungefähr 25 Jahren. In dieser Phase der Entwicklung ist das Gehirn extrem vulnerabel, also verletzlich“, sagt Kinderärztin Charlotte Schulz. „Wir befürchten, dass Cannabiskonsum durch das neue Gesetz zur Normalität wird und die Jugendlichen es als Signal verstehen, es sei harmlos und okay.“

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Dabei beobachten die Kinderärztinnen, dass Jugendliche, die regelmäßig Cannabis konsumieren, oftmals in der Schule abstürzen, ähnlich wie bei einem problematischen oder suchtartigen Medienkonsum. „Sie versacken, bleiben auf der Strecke, können ihre Aufgaben im Übergang zum Erwachsenenleben allgemein nicht mehr wahrnehmen, das betrifft den Schulabschluss, die Kontakte mit Altersgenossen, das Darüber-klarwerden, wer sie sind und was sie mit ihrem Leben machen wollen“, sagt Claudia Haupt. Sie spricht von „verpassten Chancen“, weil sich später vieles - darunter auch Schulabschlüsse – nicht so einfach nachholen lassen, wenn man mit Anfang oder Mitte 20 „aus dem Nebel wieder erwacht“.

Studien zeigen: Cannabiskonsum unter Jugendlichen steigt an

Die KinderDocs befürchten, dass sich unter 18-Jährige, die ja kein Cannabis kaufen oder besitzen dürfen, weiterhin auf dem Schwarzmarkt eindecken werden – und zwar günstiger als bisher, da der Preis angesichts des legalen Anbaus sinken dürfte. Sie kritisieren, dass Daten aus Kanada von den Befürwortern der Legalisierung in Deutschland zumeist nur unvollständig zitiert werden: Zwar hat die Freigabe dort bei Erwachsenen tatsächlich zu einer Verringerung des Konsums und zu mehr Sicherheit und weniger Kriminalisierung geführt. „Die Daten belegen aber auch, dass der Konsum unter den Jugendlichen sehr stark gestiegen ist.“

Die 30 Gramm, die Heranwachsende zwischen 18 und 21 Jahren besitzen dürfen, reichen für rund 90 Joints; sie könnten also drei am Tag rauchen. „Diese Menge hat das Potenzial, Abhängigkeiten zu schaffen.“ Daraus folgt für die KinderDocs: „Für die Altersgruppe, die wir im Blick haben, die 15- bis 25-Jährigen, ist dieses Gesetz überhaupt nicht zu Ende gedacht, weil es suggeriert, dass Cannabiskonsum okay ist und weil die Mengen, die legal besessen und konsumiert werden dürfen, viel zu hoch sind, und die minderjährigen Jugendlichen die Drogen weiterhin auf dem Schwarzmarkt kaufen werden. Auch Bannmeilen 100 Meter um Schulen und Jugendeinrichtungen herum helfen kaum, da gehen die Schülerinnen und Schüler in der großen Pause einmal um die Ecke und rauchen dort einen Joint.“