Hamburg. In der Corona-Pandemie hocken viele Familien aufeinander. Stefanie Häberlein und Frank Untiedt haben Rat für die belastende Zeit.
Die nicht enden wollende Corona-Pandemie bedeutet für Familien eine große Belastung. In einer Umfrage von Toluna für SOS Kinderdorf gab jedes zweite befragte Elternteil an, mit der Erziehung der Kinder überfordert zu sein (52 Prozent). Anstrengend fanden sie vor allem den Umgang mit dem Medienkonsum ihrer Kinder (45 Prozent), das Thema Schule (43 Prozent) und das Sozialverhalten ihres Nachwuchses (38 Prozent). Was diese Probleme in der Praxis bedeuten, erleben die beiden Elterncoaches Stefanie Häberlein, Heilpädagogin, und Frank Untiedt, Diplom-Sozialpädagoge und Familientherapeut, in ihrer täglichen Arbeit ganz hautnah. Beide bieten ambulante Hilfen bei SOS Kinderdorf an.
„Wir merken, dass Eltern hilflos sind und unfähig werden zu handeln, sie verlieren den Kontakt zu ihren Kindern“, sagt Stefanie Häberlein im Abendblatt-Podcast „Morgens Zirkus, abends Theater“. Die verschiedenen Anforderungen unter einen Hut zu bekommen, stelle gerade in Corona-Zeiten eine große Herausforderung dar, ergänzt ihr Kollege Frank Untiedt.
Tipps zur Erziehung: So lösen Eltern Konflikte mit ihren Kindern
„So fällt es ihnen beispielsweise schwer, die richtige Balance zu finden zwischen der Freiheit, die wir in der Erziehung gewähren wollen, und dem Setzen von Grenzen.“ Im schlechtesten Fall entwickeln sich daraus regelrechte Machtkämpfe – etwa um die Zeiten am Handy, die Höhe des Taschengeldes, die Frage, wann das Kind zu Hause sein muss, oder dass es seine Hausaufgaben erledigt und vieles mehr.
„Die Eltern, die zu uns kommen, fühlen sich ohnmächtig, sie wissen nicht, wie sie es schaffen können, dass ihr Kind wieder auf sie hört“, sagt Häberlein. Gerade während der Corona-Lockdowns waren viele Familien isoliert. Kinder, die über Monate nur wenige Stunden am Tag Homeschooling hatten, mussten sich erst wieder ans regelmäßige Arbeiten gewöhnen, als der Präsenzunterricht dann begann. Die beiden Elterncoaches haben aber wichtige Tipps für Eltern im Umgang mit ihren Kindern, wenn es zum Konflikt kommt.
Konflikte zwischen Eltern und Kindern lösen: So geht's
Erstens: Machtkämpfe vermeiden. „Autorität ist ein wichtiges Thema – also die Frage, wie man als Eltern Präsenz, Stärke und Führung zeigen kann, ohne aber autoritär zu sein und in Rollenmuster der 1950er-Jahre zu verfallen“, sagt Untiedt. Das heißt: Position beziehen und standhaft bleiben.
Zweitens: Nicht jeden Konflikt, der zu eskalieren droht, sofort zu lösen versuchen. „Manchmal ist es hilfreich, zurückzutreten und zu sagen: ,Ich bin damit nicht einverstanden, spreche mich erst mal mit Mama oder Papa ab und komme dann noch mal auf dich zu‘“, sagt Häberlein. In ihrer Arbeit habe sich oftmals das Sprichwort bewährt: „Ich schmiede das Eisen, wenn es kalt ist.“ Das bedeutet, in Ruhe auf ein Problem zurückzukommen und nicht unbedingt in dem Moment eine Lösung zu suchen, wenn der Konflikt hochkocht.
Drittens: Wichtig ist, dass Eltern dabei als Team auftreten und eine gemeinsame Haltung zeigen. „Manchmal haben Eltern – gerade im Spagat zwischen Arbeit und Kinderbetreuung – das Gefühl, zu wenig Zeit für ihre Kinder zu haben. Das kann sie dazu verleiten, ein bisschen zu gewährend zu sein und mehr zuzulassen“, sagt Untiedt. Aber wenn das Kind das Gefühl hat, es kann bei dem einen Elternteil immer mehr durchsetzen als bei dem anderen, macht das die Erziehung schwierig.
„Kommt nicht unbedingt auf die Quantität an, sondern auf die Qualität“
Viertens: „Zentral ist Präsenz: dass die Eltern anwesend sind, im Leben ihrer Kinder eine Rolle spielen und einen guten Kontakt zu ihnen haben“, sagt Häberlein. Vor allem berufstätige Eltern haben nicht grenzenlos Zeit. Doch Untiedt sagt: „Es kommt dabei nicht unbedingt auf die Quantität an, sondern auf die Qualität. Manchmal reicht es, sich drei Minuten Zeit zu nehmen, auch wenn ich gerade etwas anderes tue. Und dann ist es besser, zum Kind hinzugehen, als durch die Wohnung zu rufen: Mach mal dies oder das. Es ist wichtig, auch physisch wirklich da zu sein, und nicht alles aus der Entfernung regeln zu wollen.“
Fünftens: Gerade wenn die Lage eskaliert, sollten Eltern ruhig bleiben. „Viele berichten uns, dass sie dann mit einsteigen und lauter werden. Dann wird es zum Machtkampf“, sagt Stefanie Häberlein. Sie rät: Lieber auf den Streitpunkt zurückkommen, wenn die Situation wieder ruhiger ist. „Dann hat man Zeit, genau zu überlegen: Was will ich eigentlich erreichen? Im Machtkampf verliert man das Wesentliche oftmals aus dem Blick.“ Hilfreich ist es auch, wenn es den Eltern gelingt, in ihrer Rolle zu bleiben und sich nicht als Person herausgefordert zu fühlen, auch wenn einem der Streit nahegeht. „Da hilft – ungeachtet der emotionalen Bindung – eine gewisse Professionalität“, sagt Häberlein und ihr Kollege ergänzt: „Ein Stück Selbstreflexion ist wichtig. Jeder hat Knöpfe, auf die man nur drücken muss, damit man aus der Haut fährt. Sich das selbst bewusst zu machen und sich da weniger empfindlich zu machen, kann sehr helfen“, so Untiedt.
Kinder und Eltern: Immer im Gespräch bleiben
Sechstens: Wenn sich Eltern überfordert fühlen, sollten sie damit nicht allein bleiben, sondern das Gespräch suchen – mit Freunden, Verwandten oder auch Nachbarn. „Das Gespräch entlastet immens, das ist unsere Erfahrung“, sagt Häberlein. Aus dem Ich werde so ein Wir.
Siebtens: Beim ewigen Streitthema Medienkonsum sollten Eltern nicht zu lange zuschauen, sondern mit den Kindern ins Gespräch kommen. Und dann in einem ruhigen Moment – nicht in der Situation selbst – einen Kompromiss aushandeln, wie lange sich das Kind am Tag mit Medien beschäftigen darf, raten die beiden Elterncoaches. Natürlich muss dann auch überprüft werden, dass die Kinder das einhalten.
Untiedt empfiehlt, dass Mütter und Väter sich aktiv dafür interessieren sollten, womit genau sich die Kinder beispielsweise am Handy, dem Computer oder der X-Box beschäftigen. Für Häberlein ist ein Gleichgewicht im Alltag des Nachwuchses wichtig. „Wenn ein Kind nur noch am Handy oder am Computer ist und keine Zeit mehr mit Spielen, im Verein, beim Sport oder mit Freunden verbringt, dann ist das deutlich problematischer, als wenn es diesen Ausgleich hat.“
Hilfe gibt es beispielsweise bei telefonischen Hotlines wie der Nummer gegen Kummer unter 0800-111 05 50 (für Eltern) oder 11 61 11 (für Kinder und Jugendliche).