Hamburg. Der Bestsellerautor Jan-Uwe Rogge erklärt in der ersten Folge des neuen Podcasts, warum es so wichtig ist, Kindern Grenzen zu setzen.

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Sein Buch machte vor 30 Jahren Furore: „Kinder brauchen Grenzen“ heißt es – und es wurde zum Bestseller. Die meisten Eltern dürften diesen Erziehungs-Klassiker kennen. Sein Autor Jan-Uwe Rogge ist also der ideale Gast für die Premiere des neuen Abendblatt-Podcasts rund um Familien und Erziehung mit dem schönen Titel „Morgens Zirkus, abends Theater“.

Jan Uwe-Rogge räumt erst einmal mit einem Missverständnis auf. Sein Buch, das 1991 erstmals erschien, in 23 Sprachen übersetzt wurde und sich bis heute rund zwei Millionen Mal verkauft hat, sei immer als gegen antiautoritäre Erziehung gerichtet verstanden worden. „Das ist völliger Quatsch“, sagt der Bargteheider,  selbst Vater eines Sohnes ist. „Ich habe versucht, Grenzen vielfältig zu sehen – also auch einzubeziehen, dass Mütter und Väter sich auch selbst Grenzen setzen sollten.“

Jan Uwe-Rogge zieht als „Grenzensetzer“ durch die Republik

Seit sein Buch erschien, zieht Rogge, wie er selbst sagt, „als Grenzensetzer durch die Republik“. Aber warum brauchen Kinder Grenzen? „Sie benötigen sie, um eigenen Raum und Zeit zu haben“, sagt er. Vor 50 oder 60 Jahren hätten Kinder hinter Büschen gespielt, außerhalb der Sicht von Eltern. „Da galten eigene Regeln, das war kein Ort von Basisdemokratie.

Aber die Kinder wussten untereinander, woran sie waren. Sie hatten ihre eigenen Regeln. Heute steckt hinter jedem Busch eine Mutter oder ein Vater. Die Kinder werden ununterbrochen kontrolliert.“ Im Lied heiße es „Hänschen klein geht allein“ – aber, so Rogge: „Hänschen geht eben, heute werden die Kinder gefahren.“

Kindern Vertrauen schenken

Und wenn sie aus der Kita kämen, ließen sich die Eltern genau erzählen, wie es war. „Grenzen zu setzen, soll also auch Raum bieten für eine autonome Entwicklung der Kinder“, sagt Rogge.„Kinder brauchen Halt und Orientierung – die müssen die Eltern geben, neben den Erzieherinnen und Lehrern.“ Jedes Kind brauche Behütung, und behütende Sprüche lauteten nicht „Sei vorsichtig, pass auf“, sondern „Du schaffst das“.

 Den Kindern Vertrauen zu schenken, das ist für Rogge ein zentrales Element, um Halt und Orientierung zu geben. „Eltern haben eine Erziehungsverantwortung und die kann ihnen niemand abnehmen. Wenn sich Eltern aus dieser Erziehungsverantwortung zurückziehen, ziehen sie sich aus der Beziehung zum Kind zurück – und dieses Kind ist halt- und orientierungslos“, sagt der Erziehungsberater.

Kinder wollen Orientierung

 Manchmal überträten Kinder Grenzen ganz bewusst, eben weil sie Orientierung wollten und auf diese Weise die Eltern aufforderten: „Nehmt Euch doch mal ernst als Erziehungsverantwortliche. Wir vertrauen Euch, dass Ihr uns ins Leben begleitet.“ Kinder respektierten Erfahrungsvorsprünge von Eltern, so lange sie nicht als Besserwisserei daherkämen.

Auch jugendliche Kinder wollten, dass sich ihre Eltern als Erwachsene zeigten. „Ich finde es grässlich, wenn sich Väter als die Kumpel ihrer Söhne oder Mütter als Freundin ihrer Töchter verstehen“, sagt Rogge. „Kinder suchen sich ihre Freunde selbst aus. Ich muss als Elternteil in der Verantwortung stehen und bleiben.“

Rituale sind wichtig

Es sei normal, dass Kinder sich an den gesetzten Grenzen reiben – Eltern sollten keine böse Absicht unterstellen, sondern ihre Regeln erklären und sich darüber hinaus fragen, was das Kind mit dieser Grenzerweiterung aussagen will. Kinder brauchten auch Rituale wie beispielsweise gemeinsame Mittag- oder Abendessen, da sollte man gemeinsam feste Absprachen treffen und die dann auch einhalten, gern auch in einem Familienrat.

 „Wir haben in der Corona-Pandemie gesehen, dass bestimmte Rituale nicht mehr möglich waren, und das hat für Kinder eine große Unsicherheit mit sich gebracht.“ Wohl in jeder Familie werden täglich kleine und mittelgroße Kämpfe ausgefochten – um das Aufräumen, um Schlafenszeiten, um Mithilfe im Haushalt, um Hausaufgaben und vieles mehr. Wichtig sei erst einmal, findet Rogge, dass Eltern auch in ihrer Sprache klar seien.

Bei Verstößen müssen Eltern konsequent handeln

 In seiner Beratungspraxis hört er Beispiele wie diese: Eltern planen einen gemeinsamen Besuch bei den Großeltern. Aber sie fragen ihre Kinder: „Wollen wir heute zu Oma fahren?“ Das Kind hört die Frage und sagt erstmal Nein. Auch zu einem zweijährigen Kind zu sagen: „Wir wollen jetzt die Windeln wechseln“ sei Unsinn. Rogge appelliert: „Verzichtet auf das harmonisierende Wir und sagt klar, was ihr wollt und meint.“ Ich-Botschaften seien wichtig, auch damit die Kinder wüssten, woran sie sind.

Die schönsten Regeln und Absprachen nützen allerdings nicht, wenn bei Verstößen keine Konsequenzen folgen – in vielen Familien ist das der wunde Punkt. „Konsequenzen sind wichtig. Sie müssen aber in einem inneren logischen Zusammenhang zur Handlung stehen“, sagt Rogge. Also nicht: „Wenn Ihr nicht sofort das Zimmer aufräumt, dann gibt es heute kein Fernsehen.“ Sondern lieber eine Frist setzen und danach alle danach noch herumliegenden Spielsachen im großen Sack verschwinden lassen, der einige Tage lang nicht geöffnet wird.

Bei älteren Kindern sind schriftliche Verträge hilfreich

Übrigens bräuchten kleine Kinder bis zum vierten oder fünften Lebensjahr Unterstützung beim Aufräumen. Ältere Kinder sollten für ihr eigenes Zimmer selbst entscheiden dürfen, wie viel Ordnung sie brauchen und wollen. Erst wenn die Unordnung in die übrigen Wohnräume überquelle, kommt der Sack ins Spiel. „Wichtig ist: Wenn ich diese Konsequenz vorher ankündige, dann muss ich sie auch durchziehen – selbst wenn es dann Gebrüll gibt“, sagt Rogge.

Bei älteren Kindern, frühestens ab sechs Jahren, seien auch  Verträge hilfreich, gern schriftlich – so etwas liebten Kinder. Ebenso wie Aufgaben im Haushalt zu übernehmen, wenn man es richtig anfange. „Die Kinder wollen mithelfen, man sollte sie dazu ermutigen – das macht sie stolz.“ Gut sei es, wenn diese Aufgaben ausgehandelt und dann sichtbar in einem Kalender eingetragen werden.

 Kinder lieben die Unterschiedlichkeit von Erziehung

Und wenn es Regeln gibt – zu Hause aber andere als in der Kita oder im Hort und wieder andere bei den Großeltern? Kein Problem, sagt Rogge. „Man muss in der Erziehung nicht an einem Strang ziehen, wie es früher gern hieß – Kinder lieben die Unterschiedlichkeit von Erziehung.“ Die Kinder könnten mit unterschiedlichen Grenzen sehr wohl umgehen – wenn sie wissen, woran sie sind.

 „Unterschiedlichkeit ist das eine, Uneinigkeit dagegen etwas anderes, wenn zum Beispiel der eine gegen den anderen ausgespielt wird“, sagt Rogge. Gerade in Patchwork-Familien sei es wichtig, dass die beteiligten Eltern mit den Kindern klare Absprachen treffen. In einem Familienrat kann einmal in der Woche besprochen werden, ob die Absprachen gehalten worden sind – und wenn nicht, woran das liegt. „Der Familienrat kommt ja oft nur zusammen, wenn es Probleme gibt. Ich finde es wichtig, auch miteinander zu reden, wenn es gut läuft.“