Hamburg. Sie stellen Rap-Videos nach und posten sie bei TikTok. Spielt eine Stigmatisierung der „Talahons“ Ausländerfeinden in die Karten?

Der Hamburger Jungfernstieg wurde vor wenigen Tagen per Blechschild in „Talahon-Promenade“ umbenannt – natürlich inoffiziell. Das Bezirksamt Mitte hat das von Unbekannten angebrachte Schild binnen kurzer Zeit wieder entfernt. Was es damit auf sich hat? Die Aufschrift spielte auf die Jugendgruppen an, die meistens rund um den Platz abhängen.

Der „Talahon“-Trend ist auf der Plattform TikTok entstanden. Als „Talahons“ gelten oder bezeichnen sich Jugendliche, die sich in Gruppen auf öffentlichen Plätzen aufhalten und typische Merkmale aufweisen. Das Klischee: Sie sind männlich und migrantischer Herkunft, tragen (gefälschte) Markenkleidung wie Gucci-Kappen, Umhängetaschen und Trainingshosen, rauchen E-Zigaretten und filmen sich beim Schattenboxen oder stellen Rapvideos nach. Kurzum: Sie tun das, was mancher „einen auf dicke Hose machen“ nennen würde.

Für Jugendliche nicht weiter ungewöhnlich. Trotzdem löst die Debatte um die Jugendgruppen bei vielen Menschen Sorgen aus. Auch weil Videos und Berichterstattungen kursieren, die den Jugendlichen ein Gefährdungspotenzial zuschreiben und vor ihnen warnen. Doch ist da was dran?

„Talahons“ am Hamburger Jungfernstieg: Ist die Debatte das eigentliche Problem?

Der virale Trend dürfte im Frühsommer dieses Jahres entstanden sein. Grundlage für den Begriff ist der Song „TA3AL LAHON“ des Rappers Hassan. Das Wort leitet sich vom arabischen „Ta‘al La‘hon“ ab und bedeutet so viel wie „Komm her“. Mittlerweile ist der „Talahon“ sogar einer der Kandidaten für das Jugendwort des Jahres 2024. „Weil der TikTok-Trend in Anlehnung an einen Rapsong entstanden ist, hat das Ganze einen konfrontativen Ton. Manchmal ist die ,Talahon‘-Inszenierung mit bedrohlichen Gesten begleitet“, sagt Jannik Veenhuis. Er ist Experte für antimuslimischen Rassismus und hält unter anderem Vorträge an der Universität Hamburg.

Am Jungfernsteig ist ein Schild mit der Aufschrift "Talahon-Promenade" angebracht worden. Mitten am Touristen-Hot-Spot liest man einen umstrittenen Begriff, der vor allem bei jungen Menschen auf Social Media aktuell sehr relevant ist. © Irina Finke | Irina Finke

Viele der Videos, die sich unter dem Stichwort „Talahon“ bei TikTok abrufen lassen, sind offensichtlich ironisch gemeint. Die Jugendlichen spielen mit dem Klischee, mit dem sie abgestempelt werden. Andere Clips wirken ernsthafter, in manchen artikulieren die Jugendlichen auch frauenverachtende oder gewaltverherrlichende Meinungen. Genau diese Videos verbreiten sich über das Netz weitaus schneller als die harmlosen. So funktioniert die Aufmerksamkeitsökonomie im Internet, das ist die Logik der Algorithmen von TikTok und Co.

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Hamburger Rassismus-Experte: „Talahon ist ein gefundenes Fressen für rechte Agitatoren“

Ein männlicher Jugendlicher mit migrantischem Aussehen, der sexistische Parolen von sich gibt– das bleibt in ausländerfeindlichen Kreisen nicht unbeachtet. „Das ist ein gefundenes Fressen für rechte Agitatoren“, sagt Veenhuis. Die Instrumentalisierung des TikTok-Trends in der rechten Szene überrascht ihn kaum, auch weil nicht zu unterschätzen sei, wie verbreitet Rassismus und Islamfeindlichkeit in Deutschland sind.

Natürlich finde er es trotzdem wichtig hinzuschauen, welche Inhalte in den „Talahon“-Videos propagiert werden. „Frauenfeindlichkeit und Gewaltverherrlichung muss man benennen und darüber reden“, so Veenhuis, „aber wir dürfen uns nicht der Illusion hingeben, dass wir hier eine Diskussion auf neutralem Boden führen“, warnt er. Dafür würden zu viele Stereotype in den Köpfen der Menschen existieren.

„Talahons“ am Jungfernstieg als Teil der Subkultur

„Wir müssen uns überlegen: Warum fragen wir zuallererst nach einer möglichen Gefahr? Warum akzeptieren wir es nicht einfach als Jugendkultur, Subkultur, Identitätsfindung oder Widerstand?“, so Veenhuis. Es handele sich um Jugendliche, „und Provokation ist ein Kern von Jugendkulturen“. Zumal gerade Plattformen wie TikTok Provokation mit Reichweite belohnen würden.

Die öffentliche Debatte macht Veenhuis skeptisch. „Derzeit wird dem Phänomen wesentlich mehr Aufmerksamkeit geschenkt, als es eigentlich wert ist“, auch weil rechtsextreme Rhetorik öffentlich reproduziert werde. Das verunsichere Menschen und verschärfe bestehende Vorurteile gegenüber jungen männlichen Migranten.

Auch der Zukunftswissenschaftler Ulrich Reinhardt, wissenschaftlicher Leiter der „Stiftung für Zukunftsfragen – eine Initiative von BAT“, sieht angesichts der „Talahons“ keine besondere Gefährdungslage. „Dass sich Jugendliche in ihren Peergruppen auf öffentlichen Plätzen aufhalten, ist nichts Ungewöhnliches“, sagt er, „ebenso, dass sich Bürger unwohl in der Gegenwart dieser Jugendgruppen fühlen.“

Polizei Hamburg: Lage am Jungfernstieg „vergleichsweise ruhig“

Ein Sprecher der Polizei Hamburg weist darauff hin, dass der Bereich um die Binnenalster seit Jahren Anziehungs- und Treffpunkt für Jugendliche und junge Erwachsene sei, mit Schwerpunkten „vor dem Eingang der Europa Passage als auch innerhalb der Passage und bei entsprechender Wetterlage unmittelbar an der Binnenalster, insbesondere im Bereich des Alsteranlegers“.

In der Vergangenheit war es dort auch zu Gewalttaten gekommen. In der Konsequenz nahm eine Sonderkommission der Hamburger Polizei ihre Arbeit auf, die Soko Alster, deren Beamte zu kriminellen Jugendgruppen ermitteln. Die Arbeit der Ermittlergruppe fruchtet: „Die getroffenen Maßnahmen waren erfolgreich. Zuletzt kam es dort nicht mehr zu Gewalttaten, die Lage ist aktuell als vergleichsweise ruhig einzustufen“, sagt der Polizeisprecher.

Der Begriff des „Talahon“ spielte bei der Gründung der Ermittlungsgruppe noch keine Rolle, so die Polizei. Dementsprechend lässt sich die Vermutung anstellen, dass es sich bei den Jugendlichen, die unter das Stichwort fallen, um ein altes Phänomen mit neuem Namen handelt. Die Polizei weist darauf hin, dass der Begriff bei den Beamten keine Anwendung findet.

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Jugendgruppen am Jungfernstieg: „Talahons“ suchen Gleichgesinnte

Das Wort „Talahon“ als solches findet Rassismus-Experte Veenhuis bislang nicht problematisch. „Ich denke, man kann es aussprechen, sollte aber niemanden ungefragt so bezeichnen“, sagt er. Erst wenn das Wort eine herabwürdigende Konnotation erhalte, sei es rassistisch. Während manche migrantischen Jugendliche den Begriff und das Phänomen ablehnen, nennen sich andere selbst „Talahon“. „Und als ironische Selbstbezeichnung ist es natürlich ganz klar kein Rassismus“, so Veenhuis.

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Der Begriff und die damit einhergehenden Eigenschaften seien für die Jugendlichen Identifikationsmerkmale, sagt Reinhardt. „Jugendgruppen entstehen in der Regel durch Gemeinsamkeiten – zum Beispiel Musik oder Kleidung, aber auch Werte und Normen“, so der Zukunftswissenschaftler. „Die Jugendlichen suchen Gleichgesinnte, erfahren Bestätigung in der Gruppe und identifizieren sich mit selbiger.“

Zugleich fungiere das „Talahon“-tum als Abgrenzung, was ausländerfeindlichen Diskursen in die Karten spiele: „Fremdes wird abgelehnt, negative Vorfälle verbreitet und eine ,Wir‘-gegen-‘die‘-Mentalität geschürt“, erklärt Reinhardt. „Von beiden Seiten würde zweifellos mehr Toleranz helfen.“