Hamburg. Probleme in der Schule oder Träume von Harry Potter? Was für und gegen einen Wechsel auf ein Internat spricht. Und wie viel es kostet.
- „Leben in der Blase“: Politiker aus Hamburg kritisiert die Abgeschiedenheit
- Jährlich müssen Eltern mit Kosten bis 51.000 Euro rechnen, exklusive Heimfahrten und ähnliches
- Konzepte der Privatschulen punkten durch besondere Schwerpunkte wie Unterricht auf hoher See
Freundschaften, stark wie fest geknüpfte Taue, unerlaubtes Rausschleichen zum Mitternachtspicknick, die warme Schulter der Köchin zum Anlehnen – die Literatur über das Leben im Internat, nicht zuletzt geschürt durch Harry Potter, Hanni und Nanni und Erich Kästners „Das fliegende Klassenzimmer“, romantisiert die Vorstellung dieser ganz besonderen Schulform. Um das zumeist etwas abgeschiedene Leben hinter dicken Mauern ranken sich Mythen. Auch machte zuletzt Louisenlund, das Internat, in welches viele Hamburger Kinder geschickt werden, Negativschlagzeilen.
Rasch wurde sich um die Aufarbeitung des Vorfalls bemüht, der Ruf von „Lund“, wie die eindrucksvolle und traditionsreiche Bildungseinrichtung genannt wird, stand auf dem Spiel. 300 Internatsschüler gehen im schleswig-holsteinischen Güby auf die Schule, dazu kommen 60 externe Kinder. Ein Großteil der Schüler stammt aus Hamburg: Neben der Möglichkeit, an den freien Wochenenden zu Hause zu sein, spielt auch der Geldbeutel der Eltern eine Rolle: Im Mittel sind es 51.000 Euro Schulgeld, die – abhängig von der jeweiligen Klassenstufe – im Jahr zu zahlen sind.
Doch für wen eignet sich ein Internat? Wer entscheidet für oder mit seinem Kind und aus welchem Grund, die Regelschule zu verlassen und mit dem Wechsel auf eine Internatsschule auch das familiäre Umfeld, zumindest auf Zeit? Janka Zöller, Geschäftsführerin und Beraterin bei Töchter und Söhne, berät Familien in Schul- und Ausbildungsfragen. Ihre Erfahrung ist, dass Eltern auf ihre Agentur zukommen, wenn das Zeugnis nicht so ausgefallen ist wie erhofft und erwartet. Dann beginnt die Suche nach anderen Bindungsmöglichkeiten.
Internate nahe Hamburg: kleine Klassen, intensiver Kontakt, Förderunterricht und Mentoring-Programme
Ihr Ansatz: Kinder und Jugendliche mit individuellen Lernbedürfnissen und speziellen Interessen finden an Regelschulen manchmal nicht die passende Förderung. Das Resultat: Leistungsdruck und schlechte Noten. Ein Internat könne der Ausweg sein, so die Expertin. „Im Internat erhalten Kinder und Jugendliche eine enge Ganztagsbetreuung, bei der Lehrkräfte und Erzieher deutlich stärker auf die individuellen Bedürfnisse der Schülerinnen und Schüler eingehen können. Möglich wird dies durch kleine Klassen und intensiven Kontakt. So können Lehrpläne an die persönlichen Stärken angepasst werden, während zusätzlicher Förderunterricht und Mentoring-Programme sich mit den Schwächen der Schüler auseinandersetzen“, sagt Zöller.
Im Vergleich zu öffentlichen Schulen in Deutschland, wo durchschnittlich 26 Schüler in einer Klasse (in Hamburg teils deutlich weniger) sind, bieten Internatsklassen Platz für etwa 17 Schüler oder weniger. Das Schüler-Lehrer-Verhältnis im Internat ist ebenfalls besser, so Zöllner, mit einer Lehrkraft für etwa acht Schüler im Gegensatz zu 15 an öffentlichen Schulen. Die intensive Betreuung und gezielte Förderung spiegelten sich in den Abiturnoten wider: Internate erzielen im Schnitt eine Abiturnote von 2,0, im Vergleich zu 2,4 an öffentlichen Schulen und Gymnasien, wie das Statistische Bundesamt ermittelte.
Kritik: „Wie sollen die Jugendlichen andere kennenlernen, die außerhalb ihrer Neigung unterwegs sind?“
Weg von den Schulnoten, hin zum jungen Menschen richtet Nils Hansen, bildungspolitischer Sprecher der SPD-Fraktion in Hamburg, seinen Blick. Wer denn für ein Internat geeignet sei, das sei eher eine pädagogische, denn politische Frage, meint er. „Man muss fragen: Ist dieser Schüler als Mensch fürs Leben im Internat gemacht?“, so Hansen, der seit zehn Jahren als Lehrer an einer Stadtteilschule in Hamburg arbeitet und täglich Kontakt mit Kindern hat. „,Passt das für mein Kind?‘, das müssen Eltern für sich herausfinden.“
Ausschlaggebend für einen Wechsel aus dem Hamburger Schulsystem raus ins Internat könnten seiner Meinung nach ohnehin nur sehr persönliche und individuelle Gründe sein: etwa, wenn ein Internat einen Sportschwerpunkt hat oder auf Musik spezialisiert ist. Auch familiäre Gründe, etwa wenn Eltern beruflich ins Ausland müssten und die Kinder lieber in Deutschland bleiben wollten, seinen nachvollziehbar.
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Unter dem Stichwort der Persönlichkeitsentwicklung sieht Dreifachvater Hansen es jedoch kritisch: „Wenn ich an meine Jugend zurückdenke, nahm die Schule nicht den größten Teil meines Alltags ein, vielmehr habe ich es genossen, in meiner Freizeit in einem Verein Fußball zu spielen und Freunde auch von außerhalb der Schule zu treffen. Das stelle ich mir schwierig vor, wenn man in einer eher homogenen Gruppe als Internatsschüler auch die Zeit nach dem Unterricht mit denselben Menschen verbringt. Wie sollen die Kinder und Jugendlichen andere kennenlernen, die außerhalb ihrer Neigung unterwegs sind?“
„Leben in der Blase“: Hamburger Politiker sieht Internatsleben gerade am Nachmittag als schwierig an
Die zumeist eh abgelegene geografische Lage der Internate in Norddeutschland unterstrichen den Eindruck, dass sich hier ein „Leben in einer bestimmten Blase“ abspiele. Eine Blase, die zumeist viele Angebote habe, um die Attraktivität zu steigern und Langeweile in den Stunden nach dem Unterricht zu vermeiden. Bildungsberaterin Zöller steht mit vielen deutschen Internaten seit Jahren in gutem Kontakt und weiß um die Möglichkeiten der Freizeitgestaltung für die Internatsschüler: „Nach dem Unterricht nehmen sie an einer Vielzahl von AGs, Sportteams oder ehrenamtlichen Aktivitäten teil. Typische Aktivitäten sind das Musizieren im Orchester, Teilnahme an Tanz- und Theatergruppen sowie sportliche Betätigungen wie Feldhockey, Leichtathletik, Rudern oder Reiten.“
Sieben namhafte Internate gibt es in Norddeutschland neben der Stiftung Louisenlund: Die Hermann-Lietz-Schule auf Spiekeroog in Niedersachsen, hier lernen 100 Kinder, 80 von ihnen als Internatsschüler. Die Kosten liegen im Mittel bei 42.000 Euro, das Alleinstellungsmerkmal bei dieser Traditionsschule ist sicher High Seas High School, das segelnde Klassenzimmer. Hier lernen Schülerinnen und Schüler sieben Monate auf dem Meer.
Unterricht auf dem Schiff oder mit Sportfokus: Internate kosten gut 40.000 Euro im Jahr
Weiter gibt es die Schule Marienau im niedersächsischen Dahlem, das jährlich 42.000 Euro kostende Gymnasium ist Unesco-Projektschule. In Holzminden im selben Bundesland ist das Internat am Solling, hier lernen 200 Internatsschüler für im Jahr durchschnittlich 41.000 Euro in kleinen Klassen mit Sportfokus auf Rugby, Reitsport, Leichtathletik und Tennis.
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In Mecklenburg-Vorpommern liegt das Internat Schloss Torgelow, hier leben 220 Internatsschüler, maximal zwölf Schüler gehen in eine Klasse: Es gibt für 40.500 Euro jährlich ein Auslandssemester in England (Klasse 9) und den MINT-Fokus (Exzellenz-Netzwerk mathematisch-naturwissenschaftlicher Schulen). Ebenfalls im niedersächsischen Osnabrück beheimatet ist das Krüger-Internat mit 250 Schülern. Die Wirtschafts- und Gesamtschule kostet im Schnitt 24.000 Euro jährlich und bietet alle Abschlüsse an sowie die
wirtschaftliche Grundbildung für Studium und Beruf.
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In knapp zwei Stunden erreicht man von Hamburg aus das Nordsee-Internat St. Peter-Ording in Schleswig-Holstein. Direkt am Wasser gelegen, bietet die Gemeinschaftsschule und Gymnasium sowie Zukunfts- und Europaschule bilingualen Unterricht für die 105 Internatsschüler (insgesamt 200) auf Englisch an. Die Schwerpunkte können auf Gesellschaft, Naturwissenschaft oder Sprachen gelegt werden, und es besteht für im Durchschnitt 24.000 Euro jährlich das Angebot für Chinesischunterricht.