Hamburg. Aber die Hürden für die Teilnahme am Hamburger Schulversuch „alles>>könner“ sind sehr hoch. Ein Gymnasium macht bislang mit.
In der Schule lernen ohne die lästigen Noten – für viele Schülerinnen und Schüler ist das eine verlockende Vorstellung. In Hamburg läuft seit 2008 der Schulversuch „alles>>könner“, der bis zum Ende der achten Klasse genau diesen Weg geht. Es wäre jedoch ein Irrtum anzunehmen, dass der Unterricht in den aktuell 45 teilnehmenden allgemeinbildenden staatlichen Schulen (von 350 insgesamt) ohne jede Leistungsmessung funktioniert. Vielmehr erfolgt die Lernkontrolle über Formen der Kompetenzmessung, -beschreibung und -rückmeldung, also in formellen und informellen Berichten statt mit knappen Schulnoten.
Zum Schuljahr 2022/23 wurde der Schulversuch „verstetigt“. Das heißt, die beteiligten Schulen können nun dauerhaft nach den von ihnen entwickelten Prinzipien kompetenzorientierter Unterrichtsgestaltung sowie einer inklusiven Lernkultur arbeiten. Laut der Senatsantwort auf eine Kleine Anfrage der Linken-Bürgschaftsfraktionschefin Sabine Boeddinghaus kommt die Schulbehörde zu der Einschätzung, „dass die Arbeit an und innerhalb des Schulversuchs ganz wesentliche Prozesse angestoßen hat, deren positive Auswirkungen auch über die eigentliche Entwicklung hinaus bewahrt werden sollten“.
Schule Hamburg: Ein Satz von Senatorin Ksenija Bekeris (SPD) sorgte für einigen Wirbel
Wenn die Erkenntnisse und Ergebnisse des Schulversuchs derart positiv sind, stellt sich die Frage, ob sich nicht weitere Schulen daran beteiligen können. „Wer mitmachen möchte, kann mitmachen. Wir sind in Hamburg sehr offen dafür“, hat Schulsenatorin Ksenija Bekeris (SPD) kürzlich in einem Interview mit der „taz“ gesagt und damit einigen Wirbel ausgelöst. Konservative Bildungspolitiker sehen Hamburg schon auf dem Weg, Noten bis Klasse neun generell abzuschaffen.
Nicht Kritik, sondern geradezu Begeisterung löste der Satz der Senatorin bei Linken-Schulpolitikerin Boeddinghaus aus. „Die klare Haltung der Schulbehörde begrüße ich ausdrücklich. Endlich setzt sich die Erkenntnis durch, dass inklusive, individuelle Unterrichtsentwicklung zwingend den Verzicht von Noten zugunsten von kompetenzorientierten Rückmeldungen bedeutet“, sagt Boeddinghaus. „Dass nun klipp und klar festgestellt ist, dass alle Schulen das Konzept von alles>>könner übernehmen können, legt einen Grundstein für eine wirkliche Verbesserung unseres Bildungssystems. Noten, Angst und Prüfungsstress sind schlechte Lehrmeister und Lehrmeisterinnen.“
Schule ohne Noten: Voraussetzung für die Teilnahme an dem Programm ist ein mehrjähriger Entwicklungsprozess
Doch dazu wird es kaum kommen, denn die Hürden für die Aufnahme in das Projekt sind für die Schulen ausgesprochen hoch. Zwar können interessierte Lehrkräfte von Schulen, die nicht an dem Schulversuch teilnehmen, im Prinzip von den Anregungen für die Unterrichts- und Schulentwicklung in Form einer Handreichung für ihre eigene Schule partizipieren, wie der Senat in seiner Antwort auf eine Boeddinghaus-Anfrage schreibt. „Allerdings muss die Übertragbarkeit einzelner im Schulversuch entwickelter Instrumente auf andere Schulen mit Blick auf die zugrunde liegenden, langjährigen Entwicklungsprozesse in den beteiligten Schulen und vor dem Hintergrund gewachsener Überzeugungen bei Sorgeberechtigten und anderen Beteiligten mit Sorgfalt betrachtet werden“, schränkt der Senat stark ein.
- Kostenlose Nachhilfe in Hamburg: Fast jeder siebte Schüler nimmt teil
- Neue Schulsenatorin Ksenija Bekeris nimmt Lehrgesundheit in den Fokus
- Startchancen-Programm – 90 Hamburger Schulen erhalten Geldregen
Damit sich eine Schule an dem „alles>>könner“-Projekt beteiligen kann, muss sie einen langfristigen Entwicklungsprozess durchlaufen. „Interessierte Schulen können eine Ziel- und Leistungsvereinbarung schließen mit den Schwerpunkten Unterrichtsentwicklung in Bezug auf Kernelemente des kompetenzorientierten Unterrichts, Weiterentwicklung schulinterner Kooperationsstrukturen zur Planung und Entwicklung von Schule und Unterricht sowie Implementation eines kompetenzorientierten Rückmeldesystems“, schreibt der Senat weiter.
Die Schulen „durchlaufen sodann einen in der Regel mindestens zweijährigen Schul- und Unterrichtsentwicklungsprozess mit Begleitung durch die Schulaufsicht, hospitieren an alles>>könner-Schulen, nutzen Fortbildungen und kooperieren ggf. mit einem Tandempartner aus dem Schulversuch.“ Am Ende des Prozesses stehe „die Gestattung der längerfristigen notenfreien Bewertung“.
Für Sabine Boeddinghaus (Linke) sind „Noten, Angst und Prüfungsstress schlechte Lehrmeister“
Nicht zuletzt angesichts der Auflagen haben die „alles>>könner“-Schulen nicht allzu viele Nachahmer gefunden. Zuletzt kamen die Schule An der Burgweide (Wilhelmsburg) und die Stadtteilschule Helmut Hübener (Barmbek-Nord) hinzu, die seit dem Schuljahr 2022/23 an dem Programm teilnehmen. Im Schuljahr 2023/24 hat das Gymnasium Altona den mehrjährigen Schulentwicklungsprozess begonnen. Es wäre der erste „alles>>könner“-Standort dieser Schulform. Derzeit nehmen an dem Schulversuch 31 Grundschulen, zwölf Stadtteilschulen und zwei Regionale Bildungs- und Beratungszentren (ReBBZ) teil.
„Im Einzelfall ist die Aufnahme weiterer Schulen möglich. Wir erwarten aktuell keine weiteren Aufnahmeanträge, da die Regelung nicht neu und der Schulversuch bestens bekannt ist“, sagt Peter Albrecht, Sprecher der Schulbehörde.