Hamburg. Abwasser-Monitoring zeigt: Viruslast steigt deutlich. Warum Testen sinnvoll ist und was ein Hamburger Experte über Post Covid sagt.
In den Hamburger Arztpraxen sind vermehrt Patientinnen und Patienten mit FFP2-Maske zu sehen. Zur Erinnerung: Das sind die filternden Mund-Nasen-Schutzbedeckungen mit Kordel hinter den Ohren, die uns in der Corona-Pandemie bestmöglich vor einer Infektion mit Sars-CoV-2 schützen sollten. In den Infektsprechstunden vor allem bei Hausärzten wird aktuell wieder getestet. Covid-19 ist wie die Grippe (Influenza) nach wie vor eine meldepflichtige Infektion. Auch wenn es in vielen Fällen im Ergebnis „nur“ eine Sommer-Erkältung ist, so kann man doch von einer kleinen Corona-Welle in Hamburg sprechen.
Und die schwappt bundesweit über Schulen, Unternehmen, Kitas und Sportvereine. In Hamburger Bussen und Bahnen wird man längst nicht mehr spöttisch beäugt, wenn man die FFP2-Maske beim Einstieg aufsetzt. Das Robert-Koch-Institut (RKI) zeigt in seinem Abwasser-Monitoring eine doppelt so hohe Viruslast wie noch vor zwei Wochen. Seit mehreren Wochen stehen die Hamburger Infektionsbalken auf „steigend“. Vor allem die FLiRT-Variante des Corona-Typs Omikron wird von den Messexperten herausgefiltert.
Corona in Hamburg: Abwasser-Monitoring zeigt steigende Tendenz – Testen ist sinnvoll
In den Drogeriemärkten wie bei Budnikowsky sieht man leergekaufte Regale, in denen Corona-Test-Packungen liegen sollten. Der führende Virologe Prof. Jonas Schmidt-Chanasit (Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin) hält das individuelle Testen aktuell für geboten: „Selbsttests machen Sinn, vor allem, wenn man alte oder vorerkrankte Menschen besuchen will. Auch wenn die Symptome schon wieder am Abklingen sind, helfen Schnelltests zu entscheiden, ob man schon wieder zur Arbeit gehen kann“, sagte Schmidt-Chanasit dem Abendblatt.
Gleichwohl hält er die aktuelle Corona-Welle für überschau- und vor allem: beherrschbar: „Covid-19 gehört jetzt zu einer der vielen Virus-Erkrankungen, die bei uns regelhaft zirkulieren und gegen die wir eine gute Immunität aufgebaut haben. Deshalb sollte sie üblicherweise nur leichte oder zumindest erträgliche Symptome verursachen.“ Unsere Lehren aus der Corona-Pandemie hießen unter anderem: Abstand halten, Alltagsmaske aufsetzen (AHA). Der Virologe erinnert noch einmal daran: „Bei jeder Erkältung ist es gut, Rücksicht auf andere Menschen zu nehmen und sie nicht offen anzuniesen oder anzuhusten – vor allem in Arztpraxen oder Kliniken.“
Neue Corona-Welle treibt Sorgen um Long Covid
Während das jahreszeitenwidrige Husten allerorten anschwillt, wächst mit einer möglichen Infektion die Sorge vor Corona-Folgen oder gar Long Covid, dem Horror der Pandemie. Tragische Einzelschicksale oder auch Menschen mit einem Post-Vac-Syndrom, das Long Covid ähneln kann, tauchen plötzlich aus der Sicherheit einer überwunden geglaubten Corona-Krise auf. Patienteninitiativen wie NichtGenesen zeigen ihren Protest wie erst zuletzt bei der Gesundheitsministerkonferenz in Travemünde. Sie fordern koordinierte Hilfen für Long-Covid-Erkrankte.
In Hamburg zählt das BG Klinikum und dort Dr. Andreas Gonschorek zu den Experten des vergleichsweise jungen medizinischen Feldes. Und er stellt zunächst klar, dass Long Covid zumeist die Periode bis zu drei Monate nach der akuten Phase der Covid-Erkrankung meint. Danach spreche man von Post Covid. Gonschorek macht gleich Hoffnung: „Es gibt die Annahme, dass die Covid-Impfung dazu beigetragen hat, dass es weniger oder weniger schwere Post-Covid-Fälle gibt.“
Long Covid und Post Covid in Hamburger Krankenhaus behandelt
Und doch: In Deutschland habe es mehr als 500.000 Fälle einer Berufserkrankung Post Covid gegeben. Das sind Menschen, die sich wie die Patienten im BG Klinikum im beruflichen Zusammenhang infiziert haben. Ärztinnen und Ärzte waren darunter, Krankenpfleger, Erzieherinnen. „Es gab Patienten, die Muskelschmerzen haben, andere konnten sich nicht mehr an Namen erinnern, die meisten klagten über Fatigue. Es ist ein breites Spektrum an Beschwerden.“ Viele hätten ein Ärzte-Hopping hinter sich, bevor ihnen geholfen worden sei.
Gonschorek sieht in der Entwicklung der Pandemie auch eine in der Art der Erkrankungen. Von den 30, 40 Patienten pro Woche im BG Klinikum zu Beginn im Jahr 2020, die an Langzeitfolgen litten, sei man heute weit entfernt. Beim Corona-Wildtyp hätten oft Atembeschwerden im Vordergrund gestanden, bei der Delta-Variante hätten sich eher Gedächtnisstörungen gezeigt oder das Fatigue-Syndrom. Der Verlauf einer Post-Covid-Erkrankung nach der Infektion mit der Omikron-Variante sei insgesamt milder gewesen. Und wie erwähnt: Das Impfen trug offenbar seinen Teil dazu bei. Dennoch sagt Gonschorek: „Auf die hohe Zahl an Patienten und die Komplexität der Fälle ist das Gesundheitssystem nicht vorbereitet gewesen.“
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Spezialambulanz: Hamburger Arzt macht Patientinnen und Patienten Hoffnung
Im Mai hat der Haushaltsausschuss des Bundestages 52 Millionen Euro bewilligt, um Kindern und Jugendlichen mit Post Covid speziell zu helfen. In jedem Bundesland soll eine Spezialambulanz eingerichtet werden. Auch Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) hatte den Bedarf gesehen und sich für die Patientinnen und Patienten starkgemacht. An diesem Donnerstag übergibt Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) die Förderbescheide für die Post-Covid-Ambulanz am Uni-Klinikum Schleswig-Holstein am Campus Kiel. Für die Patienteninitiative NichtGenesen ist das nicht genug. Sie hält die Versorgungssituation noch immer für „prekär“.
Der Hamburger Arzt Gonschorek sagt, im BG Klinikum habe man für die Patienten neben einer ambulanten Sprechstunde einen umfassenden Post-Covid-Check, der auch mal zehn Tage stationären Aufenthalt bedeuten könne. Je nach Ergebnis der Untersuchungen könne sich eine gezielte Post-Covid-Reha anschließen. „Bei einer strukturierten Behandlung haben die Patienten gute Chancen einer deutlichen Besserung im Verlauf.“ Und er sagt: „Nicht alle Post-Covid-Diagnosen haben sich am Ende als das herausgestellt.“