Hamburg. Unmittelbar nach Corona-Impfungen geht es für Anja Kleiert bergab. Eine Geschichte über Vorurteile und den Kampf um ein bisschen Mitgefühl.
- Hamburgerin lässt sich gegen Corona impfen, dann wird sie krank
- Ärzte nehmen Symptome nicht ernst
- Als sie ihr Leiden öffentlich macht, folgt Hasswelle
Anja Kleiert ist keine Impfgegnerin und schon gar keine „Schwurblerin“. Das möchte die Hamburgerin gleich am Anfang deutlich machen. Sie habe sich auch vor Corona gegen alles impfen lassen, was empfohlen wird. Doch dann passierte etwas, das in der Statistik als nahezu ausgeschlossen gilt: Nach der Covid-Impfung erkrankt Kleiert schwer, ist bis heute nahezu arbeitsunfähig und kann an vielen Tagen das Haus nicht verlassen.
Drei Jahre ist es her, dass sie die Impfung bekommen hat. Da war sie 28 Jahre alt. Menschen, die wie sie nach einer Impfung erkranken, leiden unter dem sogenannten Post-Vac-Syndrom. Und unter vielen Vorurteilen: „Wir werden als Schwurbler bezeichnet, als Impfgegner oder was auch immer“, sagt Kleiert. Weil sie bereits heftig beschimpft wurde, möchte sie ihren echten Namen nicht in der Zeitung lesen.
Krank nach Impfung: Post-Vac-Syndrom – einen Schaden nachzuweisen ist sehr schwer
Das Thema Post-Vac polarisiert. Das liegt unter anderem daran, dass ein Impfschaden extrem schwer nachzuweisen ist. In Hamburg haben seit der Corona-Pandemie 247 Menschen einen Antrag auf Anerkennung eines Impfschadens eingereicht. Nur sieben Fälle wurden anerkannt. In 77 Fällen läuft nach Angaben der Sozialbehörde noch ein Widerspruchsverfahren.
Für die Anerkennung eines Impfschadens muss über ärztliche Dokumentationen deutlich werden, dass es einen zeitlichen und kausalen Zusammenhang der dauerhaften und möglicherweise irreparablen Beschwerden mit der Impfung gibt. Und dass es vorher keine gesundheitlichen Probleme gab. Das ist allerdings selten möglich. Wird der Schaden aber doch attestiert, haben die Betroffenen unter anderem Anspruch auf Rentenzahlungen und einen Berufsschadensausgleich.
Das Robert Koch-Institut weist darauf hin, dass diese schweren Impffolgen sehr selten sind – laut Statistik ist weniger als ein Impfling von 100.000 davon betroffen. Kleiert kennt diese Zahlen. Aber sie fragt: „Was soll man damit anfangen, wenn man trotzdem betroffen ist?“
Hamburger Post-Vac-Betroffene bemerkt erste Symptome direkt nach der Impfung
Bevor sie die Impfung bekommt, führt Kleiert gemeinsam mit ihrem Partner ein aktives Leben, arbeitet im Hamburger Norden als Grafikdesignerin, ist sportlich, hat viele Freunde und kümmert sich mit viel Liebe um ihr eigenes Pferd. Dann kam Corona. Wie Millionen andere lässt sie sich impfen. Weil sie glaubt, dass es notwendig ist. Weil sie ihre Großeltern weiter treffen möchte. Und weil ohne den Piks sowieso irgendwann nichts mehr geht.
Nach der ersten Impfung 2021 fühlt sie sich schnell grippig und schlapp. Und schon wenige Stunden später geht es ihr dann „so schlecht wie nie zuvor“ in ihrem Leben, erinnert sie sich. „Mein ganzer Körper zitterte, mir war übel, ich hatte Herzrhythmusstörungen, einen Puls von bis zu 180 im Liegen und so schwere Schmerzen, dass ich Arme und Beine nur mit Mühe bewegen konnte.“ Ihr Hausarzt habe gesagt: „Das ist noch alles im normalen Bereich.“
Hamburgerin erlebt nach dritter Corona-Impfung eine Odyssee
Dann kommt die zweite Impfung, die ihr trotz der Symptome empfohlen wird. Was dann folgt, bezeichnet sie heute als einen kompletten Zusammenbruch. „Starker Schwindel und Atemnot kamen hinzu. Außerdem immer wieder heftige Konzentrationsprobleme.“ Und trotz allem rät ihr Hausarzt ihr zur dritten Impfung. Ihre Probleme seien nur temporär, das würde von allein wieder weggehen. Nach der dritten Impfung kommt schließlich ein Ausschlag dazu, der sich über Monate im ganzen Gesicht ausbreitet.
Es folgt eine Odyssee. Kleiert geht von Arzt zu Arzt, wird immer schwächer. Als sie ein Belastungs-EKG abbrechen muss, sagt ihr ein Kardiologe: „Sie müssen akzeptieren, dass sie langsam in einem Alter sind, wo die Ausdauer nicht mehr von allein kommt. Sie sollten mehr Sport machen.“ Kleiert kann es nicht glauben. Nach Monaten findet ein Arzt schließlich heraus, dass ihr Blut 15 verschiedene Auto-Antikörper aufweist. Eine solche Auto-Immunreaktion ist auch bei der Gruppe der Post-Covid-Patienten bekannt.
Erstmals äußert Kleiert nun auch mit Nachdruck ihren Verdacht, dass die Impfungen der Grund für ihren Zustand sein könnten. Doch daran glauben ihre Ärzte nicht. Gleichzeitig werden die Geldsorgen immer größer. „Ich war auf eine dauerhafte Krankschreibung angewiesen, um zumindest Krankengeld zu bekommen.“
Krank nach Covid-Impfung: Hamburgerin weint vor Erleichterung, als ihr jemand glaubt
Irgendwann sieht Kleiert dann erste Berichte im Fernsehen über Menschen, die Ähnliches berichten. Auch über das Internet findet sie weitere Betroffene. Sie ist sich inzwischen sicher, dass sie unter Post-Vac leidet.
Schließlich findet sie einen Privatarzt, der sofort erkennt, was los ist. Er stellt die Diagnose ME/CFS (Myalgische Enzephalomyelitis/Chronisches Fatigue Syndrom), entwickelt „durch unerwünschte Nebenwirkung der Impfung“, notiert er. Kleiert weint vor Erleichterung, auch wenn sie weiß, dass diese Erkrankung eine Rückkehr ins alte Leben unmöglich machen wird.
Was versteht man unter Long Covid, Post Covid, Post-Vac und ME/CFS?
Treten länger als vier Wochen nach einer Corona-Infektion Beschwerden auf, spricht man von Long Covid. Halten Sie länger als zwölf Wochen an, ist von Post Covid die Rede. Gemeinsam ist den meisten vom Long/Post-Covid-Syndrom Betroffenen, dass Symptome oder Beschwerden bestehen, die eine behandlungswürdige Einschränkung der Alltagsfunktion und Lebensqualität bewirken und einen negativen Einfluss auf das Sozial- und/oder Arbeitsleben haben.
Die Symptome können vielseitig sein: von Beschwerden der Lunge, des Kreislaufsystems und der Muskulatur, über Probleme bei der kognitiven Leistung (Konzentration, Merkfähigkeit) und Erschöpfungszustände bis hin zu Angstzuständen und Depressionen. Zudem gibt es auch Betroffene, die nach einer Corona-Impfung erkranken – hier spricht man von Post-Vac.
Myalgische Enzephalomyelitis/Chronisches Fatigue Syndrom – kurz ME/CFS – ist eine nach Virusinfekten auftretende schwere neuroimmunologische Erkrankung, welche die schwerste Ausprägung von Long Covid darstellt und oft zu einem hohen Grad körperlicher und kognitiver Behinderungen führt. Mit ME/CFS geht einher, dass sich die Symptome schon nach geringer körperlicher oder kognitiver Anstrengung verstärken.
ME/CFS ist eine schwere neuroimmunologische Erkrankung, die die schwerste Ausprägung von Long Covid darstellt und oft zu einem hohen Grad körperlicher und kognitiver Behinderungen führt. Mit ME/CFS geht einher, dass sich die Symptome schon nach geringer körperlicher oder kognitiver Anstrengung verstärken.
Hamburgerin erfährt Hass im Netz: Betroffene sollten „einfach sterben gehen“
Trotz zunehmender Forschung gibt es bis heute keine Heilung und keine zugelassenen Medikamente. Das einzige, womit Kleiert gegensteuern kann, sind Off-Label-Medikamente, Nahrungsergänzungsmittel, eine histaminfreie Ernährung und konsequentes Pacing – was bedeutet, Anstrengungen so gut es geht zu vermeiden, um keine Verschlimmerung („Crashs“) zu riskieren.
Kleiert setzt nach der Diagnose all ihre Hoffnungen auf Therapieansätze, die Besserung versprechen, etwa ein spezielles Sauerstoff-Training (IHHT). Weil ihr das Geld dafür fehlt, macht sie irgendwann auf Instagram ihre Situation öffentlich und versucht, Spenden zu generieren. Doch neben Zuspruch erfährt sie vor allem dies: Hass. „Wer so dumm ist, sich impfen zu lassen, sollte einfach sterben gehen“, schreibt eine Person.
Kleiert fühlt sich davon tief getroffen. „Wir Post-Vac-Betroffenen haben das gemacht, was quasi staatlich verordnet war. Und jetzt gibt es uns, die alles richtig machen wollten, und die nun ihr Leben verloren haben. Aber mit uns auseinandersetzen will sich niemand.“ Was sie sich wünscht: „Eine sachliche Debatte. Und dass das Thema in der Gesellschaft ankommt. Nebenwirkungen gibt es doch bei fast jedem Medikament. Wieso gibt es bei Impfgeschädigten keine Solidarität?“
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Corona-Impfung: Hamburgerin konnte auf eigener Hochzeit nicht tanzen
Heute ist Kleiert 31 Jahre alt. Ihr geht es etwas besser. „Ich kann an guten Tagen bis zu zwei Stunden am Tag arbeiten, und ich weiß, dass es mir damit vergleichsweise gut geht.“ Das Leben wird aber wohl nicht mehr so zurückkommen, wie es einmal war. Freunde kann sie nicht treffen. Bei Spaziergängen muss sie alle 20 bis 30 Meter eine Pause machen.
Anlaufstellen für an Post-Covid-, Long-Covid- und Post-Vac-Betroffene
Hilfe und Unterstützung bieten unter anderem das Netzwerk #NichtGenesen. Unter www.nichtgenesen.org/kontakt sind Ansprechpartner für alle Bundesländer verzeichnet. Weitere Anlaufstellen sind das Professor-Stark-Institut in Hamburg-Eimsbüttel (kontakt@prof-stark.de), die Deutsche Gesellschaft für ME/CFS (info@dg.mecfs.de) und das Post-Vac-Netzwerk (kontakt@postvacnetzwerk.de)
„Ich muss mich damit abfinden, dass ich meinen Haushalt nicht mehr alleine führen kann und mich um mein Pferd nicht kümmern kann und vieles mehr“, sagt sie. Inzwischen hat sie Pflegestufe zwei, bekommt ein paar Hundert Euro im Monat Pflegegeld. Die Erwerbsminderungsrente ist noch nicht bewilligt. Und der Antrag auf Anerkennung des Impfschadens liegt unbearbeitet zu Hause. Auch, weil sie kaum Hoffnung hat, dass er bewilligt wird. „Ich kann nicht beweisen, dass ich vor der Impfung kerngesund war. Daran wird es scheitern.“
Glück findet Kleiert im Alltag heute in kleinen Momenten. Bei einem Kaffee in der Sonne oder durch den Blick auf eine schöne Landschaft. Ihr Partner ist bei ihr geblieben, unterstützt sie, so gut er kann. Sogar geheiratet haben sie kürzlich. „Es war ein schöner Tag“, sagt Kleiert. „Auch wenn ich auf meiner eigenen Hochzeit nicht tanzen konnte.“