Hamburg. Abendblatt-Umfrage: Lauterbachs Onlineportal voller Fehler und „irreführend“. UKE, Asklepios & Co. sagen, worauf Patienten achten sollen.

Wer eine Operation oder Behandlung in einem Krankenhaus braucht, sucht bei Google und schaut sich im digitalen Zeitalter ein Ranking im Internet an. Genau dieses Bedürfnis will Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) mit dem gerade online gestellten Klinikatlas bedienen. 1700 Häuser können darin gefunden werden, zahllose Operationen von Meniskusriss bis Behandlung bei Brust- oder Prostatakrebs und Angaben zu Fallzahlen und zur Pflege. Lauterbach nannte den Klinikatlas einen „übersichtlichen Wegweiser durch den Klinik-Dschungel“. Doch nach einer großen Umfrage des Abendblatts in Hamburger Krankenhäusern sei dieses neue Internetportal für Patientinnen und Patienten „irreführend“, es enthalte falsche oder veraltete Daten und bilde überhaupt nicht Qualität oder Zufriedenheit mit den Eingriffen ab.

Asklepios erklärte, der Klinikatlas sei nutzlos für die Patienten. Wie Hamburgs größter Krankenhausbetreiber sowie das Albertinen- oder das Marienkrankenhaus befand auch das UKE, man brauche sicherlich Transparenz über Behandlungen und Qualität. Beim derzeitigen Atlas gebe es aber „offensichtlich Verbesserungsbedarf“. Von „verzerrenden Darstellungen“ der neuen Internetseite des Gesundheitsministeriums sprach das Albertinen.

Klinikatlas sorgt für scharfe Kritik aus Hamburger Krankenhäusern

Zwei Beispiele zeigen, wo es beim Klinikatlas besonders hakt. Brustkrebs ist die häufigste Krebsart bei Frauen. Nach der Idee von Lauterbachs Krankenhausreform, zu der der Klinikatlas gehört, sollen Patientinnen vor allem an „Zentren“ behandelt werden, die Eingriffe besonders häufig und mit nachgewiesen hoher Qualität machen. Solch eine Institution ist das Hamburger Jerusalem-Krankenhaus. Am dortigen Mammazentrum arbeitet Dr. Kay Friedrichs. In Eimsbüttel werden jedes Jahr 4000 Patientinnen behandelt und 1300 neu an einem Karzinom Erkrankte operiert.

Rechne man die Zahlen zusammen, seien das mehr als an der Berliner Charité und der Uniklinik in Heidelberg zusammen, so Friedrichs. Das wird im Klinikatlas aber verschleiert. Der Klinikatlas, so Friedrichs, werfe Zahlen von ambulanten und stationären Behandlungen durcheinander. „Keine Nennung finden im Atlas die Zufriedenheit der Patientinnen oder standardisierte qualitätsgesicherte Abläufe – in unseren Augen sind auch das wichtige Parameter.“

Leistenbruch: Die Hamburger Hernien-Spezialisten Dr. Halil Dag, Prof. Henning Niebuhr und Dr. Wolfgang Reinpold sind internationale Spezialisten.
Leistenbruch: Die Hamburger Hernien-Spezialisten Dr. Halil Dag, Prof. Henning Niebuhr und Dr. Wolfgang Reinpold sind internationale Spezialisten. © Michael Rauhe | Michael Rauhe

Ähnlich durcheinander ist der Klinikatlas bei Leistenbrüchen. „Patienten mit Leisten- und Bauchwandbrüchen haben in Hamburg die Möglichkeit, sich von international führenden Spezialisten behandeln zu lassen. Doch wer diese im neuen Bundes-Klinik-Atlas sucht, wird nicht fündig. Denn hier geht es nur um die reinen Zahlen der Krankenhäuser, nicht um die entscheidende Erfahrung der operierenden Ärzte“, beklagt das Hernien Centrum. Die Hernien-Experten Prof. Henning Niebuhr und Dr. Wolfgang Reinpold operieren mit ihren Teams in verschiedenen Kliniken.

Krankenhaus-Vergleich: Patienten kennen Fachchinesisch nicht

Bei einem Test des neuen Klinikatlas fanden sie heraus, dass Patienten schon sehr genau die Diagnosen eingeben müssen („Verschluss einer Narbenhernie: Mit alloplastischem, allogenem oder xenogenem Material: Endoskopisch (assistiert), total extraperitoneal mit Sublay-Technik“) oder im Fachchinesisch den Dokumentationscode dafür, wenn sie die geeigneten Krankenhäuser finden wollen. „Lebensfremd“, urteilen die Experten.

Der Bundesminister für Gesundheit, Karl Lauterbach, mit Hamburgs Sozialsenatorin Melanie Schlotzhauer (beide SPD) bei einem Besuch des Marienkrankenhauses in Hamburg mit Dr. Michael Wünning
Der Bundesminister für Gesundheit, Karl Lauterbach, mit Hamburgs Sozialsenatorin Melanie Schlotzhauer (beide SPD) bei einem Besuch des Marienkrankenhauses in Hamburg mit Dr. Michael Wünning © FUNKE Foto Services | Marcelo Hernandez / FUNKE Foto Services

Das bestätigt Matthias Gerwien von Agaplesion: „Dass wichtige Darstellungen wie Zertifizierungen unvollständig sind oder Komplikationsraten gänzlich fehlen, ist ärgerlich. So entstehen falsche Eindrücke; das Gegenteil von Transparenz. Hier wird vom Bundesgesundheitsminister mehr versprochen, als derzeit gehalten wird. Das ist schade, denn die Idee an sich ist ja lobenswert.“ Er glaubt, dass es noch Jahre dauern werde, bis der Klinikatlas richtig nutzbar sei.

Lauterbachs Klinikatlas von Hamburger Experten abgelehnt

Das Israelitische Krankenhaus forderte schnelle Korrekturen an offensichtlichen Fehlern. Bei dem Haus an der Alsterkrugchaussee mit der großen Expertise für Magen- und Darmerkrankungen stimmte nicht einmal die Bettenzahl. Dennoch sei positiv, dass der Klinikatlas die Pflege in den Vordergrund setze, hieß es. Dr. Torsten Hemker, Ärztlicher Geschäftsführer der Facharztklinik, wollte sich einen Überblick verschaffen – doch zwischenzeitlich war der Klinikatlas online nicht erreichbar. Aus dem Gesundheitsministerium hieß es, eine Woche nach dem Start sei ein Update aufgespielt worden. Mit Anlaufschwierigkeiten sei zu rechnen. Helios erklärte für seine Hamburger Häuser Mariahilf und die Endo-Klinik: Die Suchfunktion beim Klinikatlas und die Darstellung der Ergebnisse seien „ausbaufähig“.

Dr. Torsten Hemker ist Ärztlicher Geschäftsführer der Facharztklinik.
Dr. Torsten Hemker ist Ärztlicher Geschäftsführer der Facharztklinik. © FUNKE Foto Services | Roland Magunia

Orthopäde Hemker vermisst, dass keine Beurteilungen von Patienten einfließen, ob sie sich gut aufgehoben fühlen, mit dem „Drumherum“ zufrieden seien. Die Facharztklinik, in der unter anderem Hamburgs niedergelassene Praxisärzte operieren, ist für ihren guten Service bekannt. Im Klinikatlas gehen solche Angebote inmitten eines Datenwusts unter.

Weisse Liste, Krankenhausspiegel: Warum noch ein Klinikatlas?

Das UKE mahnte an, dass die Qualitätsdaten dort „patientengerecht“ aufbereitet werden müssten, wie eine Sprecherin sagte. Allerdings gebe es ja bereits mehrere Portale für Krankenhäuser: das der Deutschen Krankenhausgesellschaft, den Hamburger Krankenhausspiegel sowie die Qualitätsberichte einzelner Kliniken. Zudem gibt es die Weisse Liste. Das Marienkrankenhaus verweist noch auf die Internetangebote der AOK und den eigenen Qualitätsverbund Clinotel. „Dort gibt es neben den Daten des Klinikatlas weitere, für das Krankheitsbild relevante Informationen, wie zum Beispiel Komplikationen, Sterblichkeit, Weiterempfehlungen von Patientinnen sowie die Möglichkeit eines offiziellen Verfahrens zur Meldung und Korrektur fehlerhafter Daten.“

Mit Blick auf die bestehenden Angebote hieß es aus dem Albertinen: „Es ist für uns nicht nachvollziehbar, dass eine so wichtige Transparenzinstanz in einer ,Probefassung‘ freigeschaltet wurde, die auf allen Seiten jetzt zu mehr Verunsicherung führt.“

Qualität im Krankenhaus: „Debatte nützt den Patienten“

Allerdings sieht beispielsweise die Schön Klinik schon in der Debatte um die Krankenhäuser den positiven Effekt, dass „die Patienten besser verstehen, dass es Qualitätsunterschiede in unserem Gesundheitssystem und vor allem bei den Anbietern gibt und dass sie ihre Wahl des für sie richtigen Krankenhauses auf Basis von Qualitätskriterien treffen sollten“. Eine Sprecherin sagte jedoch außerdem: „Allein mit Blick auf die Schön Klinik Hamburg-Eilbek wird deutlich, dass einige der Daten, die sich aktuell im Bundes-Klinik-Atlas finden, nicht nachvollziehbar beziehungsweise sogar falsch sind.“ Falsche Fallzahlen, falsche Fachabteilungen und fehlende Zertifikate machten den Klinikatlas derzeit unbrauchbar.

Pflegekräftemangel: Eine Station des UKE in Hamburg
Klinikatlas: Das Urteil der Patientinnen und Patienten sollte nach Auskunft von Experten ebenfalls einfließen. © FUNKE Foto Services | Marcelo Hernandez / FUNKE Foto Services

Bei den Reaktionen auf das Portal fällt positiv auf, dass gerade Asklepios mit seinen großen Hamburger Häusern betont, wie gut die OP-Qualität in kleinen Kliniken sein kann. Ein Sprecher sagte dem Abendblatt: „Besonders problematisch ist der Fokus des Klinikatlas auf die Größe der Kliniken – sei es die Bettenzahl oder die Anzahl der Pflegekräfte. Diese Kennzahlen werden ohne Bezug zur Qualität präsentiert. Dabei ist es für Patienten und Angehörige viel wichtiger zu wissen, wie gut eine Klinik tatsächlich ist, anstatt nur auf die Quantität zu schauen.“ Nutzen des Lauterbachschen Schnellschusses: keiner.

Bei der Gesundheitsministerkonferenz (GMK) war der Klinikatlas ebenfalls Thema. Die Länder nahmen Lauterbach in die Pflicht, Fehler schnell zu beheben. Schleswig-Holsteins Gesundheitsministerin und GMK-Vorsitzende Kerstin von der Decken sagte: „Eine erste Umfrage unter den Ländern hat gezeigt, das sich zuvor geäußerte Befürchtungen leider bestätigt haben. Statt einer von allen befürworteten Transparenz gibt es übereinstimmende Rückmeldungen von allen Beteiligten, dass das bisherige Portal – trotz eines Updates – fehlerbehaftet ist“. 

Ignoriert der Klinikatlas die Diabetiker?

Von der Deutschen Diabetes Gesellschaft kam ebenfalls heftige Kritik. Ihr Präsident Prof. Andreas Fritsche sagte: „In Deutschland werden jährlich etwa drei Millionen Menschen mit einem Diabetes in Krankenhäusern behandelt. Das Bundesportal suggeriert, dass Diabetes in deutschen Kliniken quasi gar nicht stattfindet. Das ist nicht nur verkannte Realität, sondern trägt zu einer massiven Desinformation bei.“

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Das war sicher nicht in Lauterbachs Sinne. Mit branchenüblichem Spott sagte ein verantwortlicher Hamburger Arzt: „Der Klinikatlas ist Lauterbachs Rache, weil die Krankenhausreform nicht so geworden ist, wie er sich das vorgestellt hat.“