Hamburg. Prozessbeginn in Hamburg: Ärztin verklagt Impfstoff-Hersteller Biontech. Warum die Verhandlung immer wieder verschoben werden musste.
- Klägerin fordert Schmerzensgeld in Höhe von mindestens 150.000 Euro.
- Bei der Hamburger Sozialbehörde sind 247 Anträge auf Anerkennung eines Impfschadens eingegangen.
- In bisherigen Verfahren wurden die Klagen gegen Biontech abgewiesen.
Immer wieder musste der Prozess verschoben werden. Jetzt ist es endlich so weit: Mehr als ein Jahr später als geplant startet an diesem Montag das Verfahren wegen eines mutmaßlichen Impfschadens nach einer Corona-Impfung vor dem Landgericht Hamburg. Eine Hamburger Ärztin verklagt den Corona-Impfstoffhersteller Biontech.
Es hätte der erste Prozess dieser Art in Deutschland sein können, wäre es nicht immer wieder zu Verzögerungen gekommen. Inzwischen liegen an anderen Orten bereits die ersten Urteile vor. Warum hat es in Hamburg so lange gedauert?
Prozess in Hamburg um Corona-Impfung: Klägerin fordert 150.000 Euro Schmerzensgeld
Rückblick: Im Juni 2023 ist der Saal A 289 im Ziviljustizgebäude gebucht für den ersten Verhandlungstag des wohl bundesweit ersten Verfahrens wegen eines mutmaßlichen Impfschadens nach einer Spritze mit Biontech. Die 30 Sitzplätze im Zuschauerraum gehen in der „Reihenfolge des Erscheinens“ an die Beobachter, erklärte das Gericht. Kamerateams werden erwartet, auf dem Flur darf gefilmt werden, aber man möge dessen „Passierbarkeit“ bitte nicht beeinträchtigen. Und dann passiert am terminlich fixierten 12. Juni 2023: nichts.
Keine Klägerin, kein beklagtes Unternehmen Biontech in Hamburg vertreten, keine Richter – bloß „Schriftsätze“, wie das immer heißt. Der Termin fiel aus. Es folgten Befangenheitsanträge, Erklärungen, Widersprüche. Andernorts in Deutschland wurde längst in Einzelfällen gegen Biontech oder Moderna verhandelt. Das Hamburger Verfahren zieht sich noch vor dem ersten öffentlichen Termin wie Kaugummi. Nun hat das Landgericht nach Abendblatt-Informationen das Aktenzeichen 335 O 17/22 für den 16. September 2024 neu aufgerufen. Das bestätigte die Gerichtspressestelle.
Nach Corona-Impfung: Hamburger Ärztin verklagt Biontech
Es ist ein kniffliges Verfahren, nicht nur wegen der juristischen Schachzüge. Die Ärztin – ihre Identität wurde nicht preisgegeben – macht geltend, dass sie nach einer Corona-Impfung mit Biontech gesundheitliche Beeinträchtigungen erlitt. Sie habe „Schmerzen im Oberkörper, Schwellungen der Extremitäten sowie Erschöpfung, Müdigkeit und Schlafstörungen“, teilte das Gericht mit. Von Biontech fordert sie Schmerzensgeld in Höhe von mindestens 150.000 Euro. Das Gericht solle außerdem feststellen, „dass die Beklagte zum Ersatz von materiellen Schäden verpflichtet ist“. Also Biontech.
Jeder, der sich gegen Corona hat impfen lassen, wurde über mögliche Nebenwirkungen oder gar „Risiken“ aufgeklärt. Ärzte und Experten unterscheiden zumeist zwischen Impfreaktionen (gerötete Haut, leichtes Fieber und anderes) und einem Post-Vac-Syndrom. Die Impfreaktionen verschwinden vergleichsweise schnell. Das medizinisch nicht näher eingegrenzte Post-Vac kann anhaltende Kopfschmerzen, Übelkeit, chronische Müdigkeit oder Herz-Kreislauf-Schwächen bedeuten, ähnlich wie bei Long- oder Post-Covid-Patienten. Das Robert-Koch-Institut weist darauf hin, dass diese Impffolgen sehr selten sind (weniger als ein Fall pro 100.000 Impfungen).
Prozess Hamburg: Klägerin fordert Schmerzensgeld in Höhe von mindestens 150.000 Euro
Dieses sehr unspezifische Post-Vac-Syndrom muss nicht zu einem anerkannten Impfschaden führen. In Spezialambulanzen finden Betroffene Therapien. Eine spezifisch auf Post-Vac ausgerichtete Behandlung gebe es jedoch nicht, sagt Dr. Andreas Gonschorek vom Hamburger BG Klinikum. Sie müsse sich immer an den jeweiligen Symptomen ausrichten.
Tatsächlich dauerhafte Impfschäden sind sehr selten. Für Corona müssen sie beim Versorgungsamt der Stadt Hamburg beantragt werden. Dort sind nach Zahlen der Sozialbehörde 247 Anträge auf die Anerkennung eines Impfschadens nach einer Corona-Spritze eingegangen. Nur sieben Fälle wurden anerkannt. In 77 Fällen läuft nach Angaben der Sozialbehörde noch ein Widerspruchsverfahren. Zum Vergleich: In Niedersachsen sind 51 Impfschäden bei insgesamt 827 Anträgen bewilligt worden. 437 wurden abgelehnt, bei dem Rest ist die Entscheidung noch nicht gefallen. Bei den abgelehnten Fällen ist zumeist der Zusammenhang zwischen der Impfung und den Beschwerden nicht belegt.
Biontech: Mutmaßliche Impfschäden vor Gericht – die meisten Klagen abgewiesen
In bisherigen Verfahren, wie zuletzt am Landgericht in Frankfurt am Main, wurden die Klagen gegen Biontech abgewiesen. Da die Europäische Arzneimittelagentur das Serum zugelassen habe und das Nutzen-Risiko-Verhältnis vertretbar sei, habe die Klägerin keinen Anspruch auf Schadenersatz gegen das Unternehmen, so die Richter. Von Post-Vac oder mutmaßlichen Impfschäden Betroffene veröffentlichen in Foren im Internet ihre Leidensgeschichten. Dabei fällt es oft schwer zu unterscheiden, wo sich tatsächliche Erkrankungen mit unbelegten Ansichten über die Corona-Pandemie und die Impfungen vermischen. Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) hat eine offene Aufarbeitung der Pandemie versprochen, inklusive einer Analyse politischer Maßnahmen.
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Vor dem Stuttgarter Oberlandesgericht ist gerade auch in zweiter Instanz eine Pflegerin gescheitert, die ihre Impfärztin auf Schadenersatz verklagte. Sie hatte als Pflege-Azubi nach der zweiten Impfung mit Biontech eine „geringgradige halbseitige Lähmung“ erlitten. Sie spricht von einem „Impfschaden“. Die Frau machte geltend, sie sei nicht ausreichend über Nebenwirkungen aufgeklärt worden. Das Gericht wies die Klage ab. Wenn es Schadenersatzansprüche gebe, richteten sich diese gegen den Staat.