Hamburg. Herzbeschwerden, chronische Erschöpfung: Wie es Betroffenen ergeht und welche Regeln für Impfschäden und Entschädigungen gelten.

Die Folgen der Corona-Pandemie beschäftigten in immer größerem Umfang Krankenhäuser, Arztpraxen, therapeutische Einrichtungen – und Gerichte. Zuletzt rückten die Impfungen wieder in den Fokus. Bundesweit gibt es mehrere Hundert Klagen von Menschen, die mutmaßlich einen Impfschaden durch die Immunisierung gegen das Coronavirus erlitten haben. Wie viele Betroffene einen offiziellen Antrag auf die Anerkennung als Impfgeschädigte gestellt haben, ist bislang unbekannt.

In Hamburg hat die Sozialbehörde jetzt erstmals auf eine Abendblatt-Anfrage erklärt, dass beim Versorgungsamt 158 Anträge auf eine Entschädigung nach dem Infektionsschutzgesetz eingegangen seien. Vier habe man anerkannt, 55 abgelehnt. Dutzende Widerspruchsverfahren laufen, dazu wenige Klagen gegen die Behördenentscheidungen. Offenbar sind viele dieser Verfahren und Widersprüche noch nicht abgearbeitet. Der frühere Sprecher der medizinischen Leiter im Impfzentrum in den Messehallen, Dr. Dirk Heinrich, sagte dem Abendblatt: „Vier anerkannte Impfschäden erscheinen mir Gott sei Dank recht wenig bei der großen Zahl an Corona-Impfungen.“ Jedem sei klar gewesen, dass es Impfschäden geben könne. „Alle Impfstrategien sind eine Abwägung über den erwarteten Nutzen.“

Impfschäden nach dem Infektionsschutzgesetz: Keine Corona-Leugner

Betroffene versammeln sich bereits in kleinen Gruppen: Menschen, die im Anschluss an eine Corona-Impfung mutmaßlich eine gesundheitliche Beeinträchtigung davongetragen haben, finden bei den Kontakt- und Informationsstellen für Selbsthilfegruppen (KISS) in Hamburg erste Hilfe. Hier wurde aufgrund der Nachfrage bereits eine zweite Post-Vac-Gruppe eingerichtet. Das Thema „Impfschäden“ ist in vielerlei Hinsicht heikel. Im Internet, vor allem bei Twitter, grassieren Fake News und gezielte Desinformationskampagnen von Corona-Leugnern. Sie wollen glauben machen, dass die Zahl der Impfschäden höher ist als von Experten eingeschätzt oder amtlich bestätigt.

Das Paul-Ehrlich-Institut ging zuletzt von rund 55.000 Verdachtsfällen schwerwiegender Nebenwirkung einer Corona-Impfung aus. Bei 192 Millionen gespritzten Impfdosen wären selbst diese unbewiesenen Fälle sehr wenig. Doch für die tatsächlichen Patienten kann sich der Impfschaden zu einem Martyrium entwickeln.

Betroffene, die mit dem Abendblatt sprachen und darauf hinwiesen, dass sie keine Corona-Leugner seien und generell eine Impfung befürworten, berichten von plötzlich aufgetretenen Herzerkrankungen, die anhalten, von chronischem Erschöpfungssyndrom, das ähnlich wie Long Covid oder Post Covid daherkomme, also einem Phänomen, das durch die Corona-Pandemie bekannt wurde.

Symptome wie bei Long Covid

Dabei verlängert sich die Covid-19-Erkrankung quasi mit ihren Symptomen, ohne dass man noch akut mit dem Coronavirus infiziert ist. Oft geht das einher mit der Diagnose eines Chronischen Fatigue Syndroms ME/CFS. Diese Patienten können ihre Erkrankungen mithilfe ärztlicher Diagnosen belegen. Ob das allerdings zur Anerkennung eines Impfschadens reicht, ist fraglich. Der direkte Zusammenhang zur Impfung muss belegt werden, um bei einem Versorgungsamt einen Anspruch auf Versorgungszahlungen geltend zu machen.

Betroffene können zum Teil nachweisen, dass sie mehr als ein Jahr auf eine Entscheidung warten. Andere reichten bereits Widerspruch ein, wenn ihr Antrag vom Versorgungsamt abgelehnt wurde. Dem Abendblatt liegen mehrere Hilfeersuchen von mutmaßlich Impfgeschädigten an Hamburger Politiker sowie Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) vor. Sie beklagen unter anderem die lange Verfahrensdauer.

Impfschaden? Klagen gegen Biontech

Ein Impfschaden ist laut Infektionsschutzgesetz „die gesundheitliche und wirtschaftliche Folge einer über das übliche Ausmaß einer Impfreaktion hinausgehenden gesundheitlichen Schädigung durch die Schutzimpfung“. Das gilt für öffentlich empfohlene Impfungen wie bei Corona. Wie viele Todesfälle in direktem Zusammenhang mit Corona-Impfungen stehen, ist nicht genau bezifferbar. Bei vielen Verdachtsfällen wie bei einem Jungen, der von Rechtsmedizinern im UKE obduziert wurde, stellte sich heraus, dass es Vorerkrankungen gab, die zum Tod führten. Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) hatte versichert, mögliche Impfschäden genauer untersuchen zu wollen. Den Betroffenen müsse geholfen werden.

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Impfzentrum im Hauptbahnhof- Ermittlungen eingestellt

Unterdessen gibt es Klagen gegen die Impfstoffhersteller Biontech und Moderna, wie eine Düsseldorfer Anwaltskanzlei berichtete und das Landgericht Frankfurt in einem Fall bestätigte. Die Kanzlei vertritt nach eigenen Angaben mehr als 600 mutmaßlich „Impfgeschädigte“. Das Gericht will sich am 7. Juli mit dem Fall einer Frau befassen, die einen Herzschaden durch die Corona-Impfung geltend macht. Sie leide an Leistungseinbußen und Konzentrationsstörungen.

Impfarzt Dirk Heinrich: Forschung zu Impfstoffen wird entscheidend sein

Die – zumeist arbeitsunfähigen – Patienten, die sich ans Abendblatt wandten, suchen zum Teil medizinische Hilfe bei Prof. Bernhard Schieffer vom Uniklinikum Marburg in dessen Spezialambulanz für Long Covid und Post-Vac-Syndrome. Schieffer sagte dem SWR, er schätze, dass der Anteil der Menschen mit diesen gravierenden Impffolgen bei 0,02 Prozent liege oder ein wenig höher. Er habe beobachtet, dass es besonders oft junge Frauen treffe oder sportliche Menschen. Vom Nutzen der Corona-Impfung zeigte sich Prof. Schieffer absolut überzeugt. Rückblickend jedoch würde er sie „ganz anders aufziehen“.

Impfarzt Heinrich betonte, dass jede Impfung ein Risiko berge. „Das war einer der Gründe, warum wir im Impfzentrum in Hamburg gesagt haben: Wir halten uns streng an die Zulassung der Impfstoffe und die Empfehlungen der Ständigen Impfkommission.“ Mit Blick auf die wenigen, aber ernst zu nehmenden Impfschäden und eine denkbare neue Pandemie sagte er: „Jetzt wird die Forschung zu den Impfstoffen entscheidend sein, um herauszufinden, was genau für eine negative Wirkung gesorgt haben könnte und welche Zielgruppen besonders betroffen sind.“