Kiel. Kerstin von der Decken greift Karl Lauterbach scharf an und fordert Änderungen im Klinikgesetz. Am Mittwoch Krisengipfel in Berlin.
Das Wort „Trickserei“ gehört nicht zu ihrem politischen Wortschatz. Aber vermutlich dürfte es in etwa das sein, was Kerstin von der Decken meint, wenn sie die Zusammenarbeit mit Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach beschreibt. Frau von der Decken ist Wissenschaftlerin – und als politische Quereinsteigerin seit zwei Jahren schleswig-holsteinische Gesundheitsministerin.
Krankenhausreform: Schleswig-Holsteins Ministerin – „Verheerend für Patienten“
Die CDU-Politikerin hat als amtierende Vorsitzende der Konferenz der 16 Länder-Gesundheitsminister federführend die Verhandlungen mit dem SPD-Politiker um die Krankenhausreform geführt – und ist dabei ein ums andere Mal enttäuscht worden. Vor einem neuerlichen Krisengespräch an diesem Mittwoch warnt von der Decken denn auch vor einem „schlecht gemachten Gesetz mit verheerenden Folgen für die Kliniken und die Patienten“.
Die Lage der Kliniken ist angespannt, nicht selten fällt das Wort „katastrophal“ als Beschreibung der finanziellen Situation. Etlichen Krankenhäusern droht die Insolvenz, wenn sich die Einnahmen nicht bald verbessern. Und so fordern die Bundesländer eine Art rasche Zwischenfinanzierung von der Bundesregierung, um Klinikpleiten noch zu verhindern. Nur: Bislang verweigere sich Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach.
Krankenhausreform: Kliniken droht die Insolvenz
„Wir haben als Länder Vorschläge gemacht, der Bund hat aber nur kleine Teile aufgegriffen wie die Verkürzung von Zahlungsfristen. Die großen Punkte wie der Ausgleich für die Folgen der Inflation oder der höheren Tarifabschlüsse wurden nicht berücksichtigt“, sagt Kerstin von der Decken. Die Folge: Mit Klinikinsolvenzen drohen den Patienten weitere Wege und möglicherweise eine schlechtere Behandlung.
Seit Monaten verhandeln der Bund und die für die Krankenhausplanung zuständigen Bundesländer über eine große Klinikreform. Kernstück ist, dass nicht mehr jede Klinik alles machen soll. Gerade bei komplizierten Operationen sollen künftig nur noch die Häuser ran, die das am besten können. Daneben soll es Kliniken zur Akutversorgung geben. Das kann dazu führen, dass große Kliniken gestärkt werden und kleinere verschwinden.
Was die Länder an Karl Lauterbach kritisieren
Das Problem: Je länger der Beratungsprozess von Bund und Ländern dauerte, umso stärker setzte sich Lauterbach über die Einwände der Länder hinweg, sagen die Länder. „Die Zusammenarbeit mit Karl Lauterbach ist im Ton und im Umgang freundlich. Das Hauptproblem liegt darin, dass das, was Herr Lauterbach vorlegt, nicht dem entspricht, was er angekündigt hat und was vereinbart worden ist. Es gibt eine Diskrepanz zwischen Wort und Tat“, kritisiert die Vorsitzende der Gesundheitsministerkonferenz.
So habe keine der elf Forderungen, auf die sich die 16 Bundesländer einstimmig geeinigt hatten, Eingang gefunden in den Gesetzesentwurf, den das Bundeskabinett Mitte Mai gebilligt hat. „Das ist ein Unding“, kritisiert von der Decken. Im Gespräch mit dem „Spiegel“ begründete Lauterbach die Missachtung der Länder damit, dass er die Reform nicht vorab habe verwässern wollen. Die Reform sei sehr stark angelehnt an dem, was sein Haus für richtig halte. Wichtig sei dabei, dass es keine Abstriche bei der Qualität der Versorgung gebe. Darauf liefen aber Vorschläge der Länder hinaus. „Damit sind wir nicht einverstanden“, sagte Lauterbach. Im „Spiegel“ machte er deutlich, weiter mit den Ländern verhandeln zu wollen.
Länder setzen auf Zusammenarbeit mit den Bundestagsfraktionen
Nur: Offiziell ist Lauterbach gar nicht mehr Herr des Verfahrens, rein formell haben Bundestag und Bundesrat jetzt das Sagen. „Ich gehe aber davon aus, dass er weiterhin mitwirken wird“, sagt von der Decken. „Meine Erwartungen an das Gespräch am heutigen Mittwoch sind eher gering. Zu oft schon hat Herr Lauterbach Zusagen nicht eingehalten.“
Die Länder setzen auf die Bundestagsfraktionen und hoffen, mit ihnen das Gesetz im parlamentarischen Verfahren in Bundestag und Bundesrat ändern und retten zu können, sagt die Kieler Ministerin. Sie steht damit nicht allein. So fordert CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt, auf die Länder zuzugehen, statt Politik gegen sie zu machen. „Ein auf Konfrontation angelegtes Vorgehen der Bundesregierung schadet der medizinischen Versorgung.“ Die Union erwartet zudem, dass die Krankenkassenbeiträge mit der Reform steigen werden.
Was Lauterbach schuldig geblieben sein soll
Neben der fehlenden Übergangsfinanzierung kritisieren die Länder vor allem, dass Lauterbach die versprochene Auswirkungsanalyse schuldig geblieben sei. „Wir wissen nicht, was mit dem Gesetz auf die Bundesländer, die Kliniken und die Krankenhauslandschaft zukommt. Das heißt: Wir wissen nicht, ob die Finanzierung auskömmlich ist. Wir wissen auch nicht, welche Kliniken – darunter auch große und bedarfsnotwendige – durch die Reform in gravierende Schwierigkeiten geraten werden. Es könnte auch ganz große Krankenhäuser treffen, wenn deren Finanzierung nicht auskömmlich ist“, sagt Kerstin von der Decken. Statt eine Auswirkungsanalyse vorzulegen, habe Lauterbach jetzt eine nachträgliche Evaluation zugesagt. „Das kann man bei einem so großen Reformprojekt nicht machen. Ich verstehe nicht, dass das Bundeskabinett das mitgemacht hat“, sagt die Kieler Expertin.
Sie kritisiert auch, dass Lauterbach eine Fallzahl-unabhängige Vergütung zur Sicherung der Grund- und Notfallversorgung schuldig geblieben sei, also eine echte Vorhaltevergütung. Lauterbach erwecke in jedem Gespräch und Interview den Eindruck, dass 60 Prozent der Klinikkosten unabhängig von den Fallzahlen erstattet würden, allein weil die Krankenhäuser ihr Angebot vorhielten. „Darauf hatten wir uns geeinigt. Nur: Herr Lauterbach hält sich nicht daran. Der Gesetzentwurf zur Klinikreform sieht vor, dass die Höhe der Pauschale jetzt doch abhängig ist von der Zahl der Operationen und jedes Jahr neu berechnet wird“, greift die Kieler Ministerin Lauterbach an.
Landet das Klinikgesetz vor dem Bundesverfassungsgericht?
Kiel hat neben drei weiteren Bundesländern ein Rechtsgutachten beauftragt. Danach sei das Gesetz eindeutig zustimmungspflichtig durch den Bundesrat. Lauterbach ist anderer Auffassung. Und so ist Kerstin von der Decken überzeugt, dass das Gesetz vor dem Bundesverfassungsgericht landen wird. „Entweder klagen einzelne Länder, oder es klagen Kliniken. Und sehr wahrscheinlich klagen Krankenkassen.“ Es wäre aber deutlich besser, das Gesetz im parlamentarischen Verfahren zu ändern, statt es zu beklagen, sagt sie. „Dafür setze ich mich ein. Denn eine Klage würde bedeuten, dass ein schlechtes Gesetz erst mal mehrere Jahre wirkt. Wir brauchen aber jetzt eine Reform, die die Probleme tatsächlich löst. Dafür muss sie aber gut gemacht sein.“
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Sollte das Gesetz im Bundestagsverfahren nicht substanziell geändert werden, dürfte es im Vermittlungsausschuss von Bundesrat und Bundestag landen. Nicht um es zu verzögern, sondern um einen Kompromiss in der Sache zu finden, sagt Kerstin von der Decken. Neben Schleswig-Holstein will unter anderen auch Bayern Änderungen im Bundesrat oder über den Vermittlungsausschuss durchsetzen. Dieses Procedere kann erfahrungsgemäß dauern, auch wenn es Kerstin von der Decken nie in den Sinn käme, mit einer Verschleppung des Verfahrens zu drohen. Das ist nicht ihr Politikstil.