Hamburg. „Wer hilft dir beim Lernen?“ Bei vielen Kindern sind das nicht mehr Eltern und Geschwister. Wer ganz oben im Ranking steht und warum.
Simon Görlich, David Walter und Miriam Opresnik
- Eltern und Geschwister sind out! Mit wem Schüler und Schülerinnen lieber lernen.
- Wo es eine günstige Alternative zum Nachhilfe-Unterricht gibt.
- Auch Eltern nutzen das Angebot.
Mathe lernen mit Daniel Jung, sich von Mr Kay Englisch erklären lassen und mit dem Simpleclub für das Abitur pauken. Fast jeder zweite Schüler nutzt regelmäßig Lernvideos auf YouTube. Auf die Frage: „Wer hilft dir beim Lernen?“ rangieren die Nachhilfelehrer aus dem Netz bereits vor Eltern und Geschwistern, so das Ergebnis der Studie JIM (Jugend, Information, Medien) vom Medienpädagogischen Forschungsverbund Südwest. Die Auswahl an Social-Media-Lehrern ist groß.
Für viele Eltern sind Lernvideos eine gute Alternative zum Nachhilfeunterricht: „Ohne diese Hilfe müssten wir uns ziemlich sicher einen Nachhilfe-Lehrer suchen. Schließlich steckt man als Eltern ja nicht mehr in jedem Thema drin und kann es den Kindern erklären. Daher ist es eine große Erleichterung, wenn man sich den Stoff noch mal gemeinsam auf YouTube erklären lassen kann oder die Kinder damit alleine wiederholen lässt“, sagt eine Mutter von zwei Gymnasial-Schülern.
Schule Hamburg: Youtube statt Nachhilfe-Unterricht
Mathematik hat den Ruf, ein besonders trockenes Fach zu sein. Daniel Jung aber hat es sich zur Mission gemacht, Freude an Zahlen und Formeln zu verbreiten. „Ich helfe Menschen, dass sie Mathematik gut finden“, sagt der Mathe-YouTuber. Er wolle die Komplexität der Mathematik auf eine zugängliche und unterhaltsame Weise vermitteln. Seine Videos decken sowohl die Grundlagen der Mathematik als auch fortgeschrittene Inhalte wie den „Satz von Bayes“ aus der Wahrscheinlichkeitstheorie ab.
„Ein Großteil ist abgedreht“, sagt Jung auf die Frage, ob ihm nicht langsam die Themen ausgehen würden. Er investiere nun vermehrt Zeit in Anwendungsvideos und teile Einblicke aus seinem Bildungsalltag als „Podcaster“ und Redner. Seit 2011 veröffentlicht Daniel Jung Videos auf YouTube. Mittlerweile hat er eine Anhängerschaft von mehr als 917.000 Abonnenten aufgebaut. Seine Videos wurden fast 400 Millionen Mal geklickt
Hilfe aus dem Internet: Mathe-Videos sind am beliebtesten
Auch ungewöhnliche Nachhilfefächer wie Sport finden auf YouTube ein breites Publikum. Martin Villwock lädt auf seinem Kanal „Mr V Englisch und Sport“ Videos zu Themen rund um die beiden Schulfächer hoch. Wie schaffe ich meinen ersten Klimmzug? Was sind die Modelle der Bewegungslehre? Und worauf muss ich bei einer mündlichen Englischprüfung achten? All diese Fragen beantwortet er auf seinem Kanal.
Der 40-Jährige unterrichtet in Bonn-Beuel. Im März 2020 fing er an, Lernvideos zu veröffentlichen, nachdem er gemerkt hatte, dass seine Schüler während der Corona-Pandemie besser mit Videos lernten als durch Texte. Seitdem hat Villwock 160 Lernvideos veröffentlicht und rund 24.000 Abonnenten erreicht. Inspiration für die Themenfindung ziehe er aus seinem Unterricht. Inhalte, bei denen er merkt, „dass Schüler häufig unsicher sind“, behandele er vornehmlich. Auch Kollegen würden sich seine Videos ansehen. „Mich freut der Gedanke, in diesem Sinne auch Unterrichtsmaterial für die Kolleginnen und Kollegen bieten zu können.“
Diese Anbieter wollen „Bildung demokratisieren“
Wie aus einem YouTube-Kanal für Lernvideos ein Unternehmen mit 100 Mitarbeitern werden kann, zeigen die Gründer von Simpleclub. Nicolai Schork und Alexander Giesecke haben 2012 die ersten Mathe-Nachhilfevideos auf YouTube hochgeladen. Heute verzeichnen Sie mehr als zwei Millionen Nutzer im Monat, die ihre Lernvideos gucken oder ihre eigens entwickelte App verwenden. „Ich glaube, wir würden uns nicht als Onlinenachhilfe bezeichnen“, sagt Nicolai Schork. „Traditionelle Lehrmaterialien werden durch uns komplett ersetzt.“
Die App decke alle wesentlichen Fächer der Klassen 5 bis 13 ab und bereite auch auf das Abitur vor. Die meisten Inhalte wie die Lernvideos seien kostenlos, wer darüber hinaus noch weitere Funktionen nutzen möchte, wie Übungsaufgaben und Lernpläne, kann ein kostenpflichtiges Abo abschließen. „Wir wollen Bildung demokratisieren und versuchen deshalb, unser Abo so günstig wie möglich zu halten“, sagt Alexander Giesecke. Neben Schulthemen biete die App auch Inhalte für Ausbildungsberufe.
Nachhilfe anders: Metal-Musikerin Susanne Scherer hilft Schülern mit Mathe-Lernvideos
Metal-Musik und Mathematik: Diese Kombination ist so wohl nur bei Susanne Scherer zu finden. Auf ihrem Kanal „MathemaTrick“ führt die 33-Jährige ihre Zuschauer durch die Welt der Mathematik – von grundlegenden Konzepten bis hin zu anspruchsvollen Problemen. Geschnitten werden die Videos von ihrem Partner Tobias Kolbin, mit dem sie zusammen die Metal-Band „Moonsun“ betreibt. „Viele Themenvorschläge kommen aus meiner Community, von Schülern oder Rentnern, die mir Aufgaben schicken, die ich lösen soll“, sagt Susanne Scherer.
Die Idee, Mathevideos zu erstellen, stammt von ihrem Freund. Anfangs sei die Produktion der Videos wenig profitabel gewesen. Während der Covid-19-Pandemie entschied sich das Paar, den Kanal neu zu beleben und täglich Inhalte zu veröffentlichen, um Einkommensverluste durch fehlende Bandauftritte auszugleichen. Diese Entscheidung erwies sich als äußerst erfolgreich: Der Kanal hat mittlerweile mehr als 500.000 Abonnenten.
Mehr als die Hälfte der 16- und 17-Jährigen nutzt Lernvideos
Der Rat für kulturelle Bildung hat eine repräsentative Umfrage unter 12- bis 19-Jährigen zur Nutzung kultureller Bildungsangebote im Netz durchgeführt. Das Ergebnis: 73 Prozent verwenden YouTube-Videos vor allem zur Wiederholung von Inhalten aus dem Unterricht, die nicht verstanden wurden, sowie für Hausaufgaben und Hausarbeiten (70 Prozent). Hohe Bedeutung haben die Videos auch für die Vertiefung des Wissens und für die Vorbereitung auf Prüfungen.
Je älter die Schüler sind, umso häufiger nutzen sie Lernvideos, so das Ergebnis der Jim-Studie. Während der Anteil bei den 12- und 13-Jährigen bei 43 Prozent liegt, steigt er bei den 14- bis 15-Jährigen auf 55 Prozent und bei den 16- und 17-Jährigen auf 56 Prozent. Bei 18 und 19 Jahre alten Schülern greifen noch 50 Prozent auf die Videos zurück.
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Mr Kay: Tätigkeit als Lehrer hat oberste Priorität
Unter dem Motto „Schule first, Youtube ist Bonus“, lädt Thomas Kowalczyk seit 2021 Englisch-Lernvideos auf YouTube hoch. Auf seinem YouTube-Kanal „Mr Kay erklärt Englisch“ bietet der 36-jährige Realschullehrer aus Gifhorn Schülern zusätzliche Ressourcen, damit sie auch jenseits der klassischen Unterrichtsmethoden Englisch lernen können. Seine Tätigkeit als Lehrer in der Schule habe jedoch oberste Priorität, denn er schätze vor allem die soziale Interaktion, die der Beruf mit sich bringe, sagt er.
Ursprünglich begann Kowalczyk Videos zu produzieren mit dem Ziel, seinen Schülern während der Corona-Lockdowns Hilfestellungen zu bieten. Seine YouTube-Videos, die er zunächst mit dem Handy aufnahm, sollten seinen Schülern helfen, die gestellten Englisch-Aufgaben besser zu verstehen. Doch was als Hilfe für die eigenen Schüler begann, entwickelte sich schnell zu einem größeren Projekt. Mittlerweile lernen fast 8000 Abonnenten Englisch mit seinen Videos.
Der Grund für die Beliebtheit von Daniel Jung & Co.: „Wenn ich etwas nicht verstehe, kann ich mir die Erklärung immer und immer wieder angucken oder mir einen YouTuber suchen, der es so verständlich rüberbringt, dass ich es kapiere“, sagt ein Sechstklässler. „Hier denkt niemand, dass ich doof bin, wenn ich etwas nicht sofort verstehe.“ Ein weiterer Vorteil: Viele Videos dauern nur ein paar Minuten.
Der Vorteil von Lernvideos: Sie sind meist kostenlos und für alle zugänglich
Und noch einen Pluspunkt bietet der Nachhilfe-Unterricht aus dem Netz: Er ist meist kostenlos und für alle zugänglich. Während Nachhilfe-Unterricht schnell 30 oder gar 40 Euro pro Stunde kostet und für Geringverdiener schwer zu finanzieren ist, stehen die Tutorials auf YouTube allen offen zur Verfügung.
Jugendliche sind sich der Vorteile und Grenzen von Webvideos im Vergleich zum Unterricht überraschend bewusst, so der Rat für kulturelle Bildung. Neben den Vorteilen der Web-Videos bestehe für sie der größte Vorteil der Schule in dem persönlichen Kontakt und Austausch mit Lehrern und Schülern.
Alles, was Sie rund um Schule und Bildung in Hamburg wissen müssen, finden Sie auf Schule Hamburg – News zu Bildungspolitik und Schulbau.