Hamburg. 21.000 Euro für zehn Monate in Kanada – lohnt sich das? Eine Hamburger Schülerin erzählt. Und worauf Eltern und Kinder achten sollten.

Von Antonia David

Als Lina vor zwei Jahren aus Hamburg nach Vancouver Island flog, um dort in der Stadt Victoria zehn Monate lang zur Schule zu gehen, wollte sie vor Allem eines: ihr Englisch verbessern. Bei ihrer Rückkehr aus Kanada hatte sie auch Freundinnen in ihrem Gastland und aus anderen Ländern gewonnen. Sie spielte in einer kanadischen Schulband, erkundete die Straßen der Metropole Vancouver auf dem Festland.

Was Lina, Schülerin des Gymnasiums Heidberg in Langenhorn, erlebt hat, klingt verlockend, aber es war teuer: Rund 21.000 Euro musste sie für ihr Schuljahr im Ausland bezahlen. Diese Kosten liegen im oberen Preissegment der Angebote; die „günstigeren“ starten bei etwa 5.500 Euro. Je nach Region und Angebot variieren die Kosten erheblich.

Schule Hamburg: Der teure Traum vom Jahr im Ausland – Tipps vom Experten

Beim Klicken durch die zahllosen Anbieter für Auslandsaufenthalte kann Schülern und ihren Eltern schummrig werden: Tausende Websites mit unterschiedlichen Angeboten locken und werben mit einmaligen Erfahrungen. Fragen drängen sich auf: Gastfamilie oder Internat? Privatschule oder staatliche Schule? Thailand oder Schweden? Und da war ja noch die Nachbarstochter, die von ihrer Gastschule und dem selbst organisierten Aufenthalt geschwärmt hatte – vielleicht doch lieber selbst das Heft in die Hand nehmen und die Traumschule in Neuseeland direkt anschreiben?

Für Lina, damals begeisterte Fußballspielerin, war die Wahl des Gastlandes allerdings unkompliziert, weil sie klare Vorstellungen von ihrem Auslandsjahr hatte. „Ich wollte in ein englischsprachiges Gastland und außerdem nach Übersee. Meine Austauschorganisation hat mir dann eine Schule in Victoria vorgeschlagen – diese hat eine Fußballakademie und dort konnte ich auch mein Latinum absolvieren“, erzählt die 18-Jährige. Englischsprachige Gastländer sind beliebt. Beim American Field Service (AFS), einer der größten gemeinnützigen Jugendaustauschorganisationen, sind die USA, Kanada und Irland am stärksten gefragt.

In Hamburg bietet etwa das Europa Jugend Büro ein kostenlose Beratung

Orientierung bietet zum Beispiel das Europa Jugend Büro in Hamburg. Es gehört zu Eurodesk, einem staatlichen Jugendinformationsnetzwerk mit Agenturen in 25 Ländern und über 600 regionalen Servicestellen. In der Palmaille 102 bietet das Europa JUGEND Büro eine persönliche, unabhängige und kostenlose Beratung rund ums Thema Auslandsaufenthalte. Gefördert wird das Büro von der Freien und Hansestadt Hamburg und der Europäischen Union.

„Wir sind da, um Licht ins Dickicht zu bringen“ sagt Remo Küchler, der dort seit 2005 als Bildungsreferent arbeitet. Beratungstermine können über die Website www.europajugendbuero.hamburg vereinbart werden. Für kurze Nachfragen reicht auch der Griff zum Telefon: Unter der Rufnummer 040-43319 liefert das Jugendbüro schnelle Antworten.

Experte rät, Schüler mit Auslandserfahrung nach ihren Erlebnissen zu fragen

Um das Abenteuer Auslandsjahr zu beginnen, empfiehlt Küchler, sich erfahrene Ansprechpersonen zu suchen. Hierbei kann es sich um Beispiel um Schüler und Schülerinnen einer höheren Klassenstufe handeln, die bereits im Ausland waren oder engagiertes Lehrpersonal. Manchmal haben Schulen auch ausgewiesene Ansprechpersonen. Lina rät zu einer Art mentalen Vorbereitung: „Man sollte seine Erwartungen reflektieren und sich bewusst machen, dass harte Arbeit sein kann, zum Beispiel Anschluss zu finden.“

Die Hamburger Schulbehörde rät, mit der Planung des Schulbesuchs rund eineinhalb Jahre vor der Abreise zu beginnen. In einem ersten Schritt sollten Eltern und Kind sich mit den Lehrkräften beraten. Erst im Anschluss ist die Suche nach der richtigen Schule im Ausland sinnvoll. Wenn die Rahmenbedingungen klar sind, stellen die Eltern einen formlosen Antrag auf Beurlaubung an die Schule. Diesen müssen sie mindestens sechs Monate vor Antritt der Reise bei ihrer Schule einreichen.

In welchen Jahrgangsstufen ein Schuljahr im Ausland sinnvoll ist

Viele Austauschorganisationen setzen ein Mindestalter voraus. Die Schulbehörde empfiehlt ein Auslandsjahr ab der achten Klasse. Für Schüler und Schülerinnen des Gymnasiums sei die neunte oder zehnte Klasse besonders vorteilhaft; für Schüler und Schülerinnen der Stadtteilschule biete sich besonders die elfte Klasse an, weil diese Klassen nicht in der Studienstufe liegen. In Hamburg ist eine Unterbrechung der abiturrelevanten Stufen nämlich nicht erlaubt. Nach der Rückkehr wird der Schulbesuch in der Regel in derselben Klasse fortgesetzt.

Lina, die wegen Corona ihren Auslandsaufenthalt verschieben musste, wiederholte nach ihrer Rückkehr aus Kanada die elfte Klasse. „Das war am Anfang schon hart, und erst habe ich es bereut, ins Ausland gegangen zu sein. Aber jetzt bin ich rückblickend sehr glücklich über die Erfahrung, und würde es wieder tun“, sagt sie.

Vermittlung einer Agentur nutzen oder das Auslandsjahr alleine organisieren?

In den meisten Fällen vermitteln spezialisierte Austauschorganisationen eine Schule im Ausland und die Unterkunft vor Ort. Auslandsaufenthalte können aber auch individuell organisiert werden. Der Wunsch entsteht etwa, wenn es Verwandte im Ausland gibt. Remo Küchler vom Europa Jugend Büro gibt zu bedenken, dass viel Zeit kosten könne, ein Auslandsjahr selbst zu organisieren.

Und wer schon einmal auf eigene Faust nach Erfahrungen mit Austauschorganisationen gesucht hat, wird um die im Internet kursierenden Horrorgeschichten nicht herumgekommen sein. Unangenehme Gastfamilien, Probleme in der Schule und niemand, an den sich das Kind wenden kann – solche Berichte wirken womöglich abschreckend.

Austauschorganisation sollte Ansprechpartner vor Ort bieten, die bei Problemen helfen

Dass Schwierigkeiten auftreten können, hat auch Lina erlebt: „Viele internationale Schüler hatten Probleme mit ihren Gastfamilien“, erzählt sie. Aber in diesen Fällen habe die Vermittlungsagentur „schnell geholfen und einen Gastfamilienwechsel organisiert“ Lina selbst war mit ihrer Gastfamilie sehr glücklich. Vor allem mit ihrer „Gastschwester“, einer anderen Austauschschülerin aus Italien, kam sie gut zurecht. „Wir haben bis heute Kontakt. Ich vermisse sie sehr.“

Für wen eine Gastfamilie nicht infrage kommt, kann die Zeit im Ausland auch in einem Internat verbringen. Oft bietet die außerschulische Betreuung umfassende Freizeitaktivitäten an. Allerdings ist der Internatsbesuch auch teuer. Beim AFS kostet der Internatsaufenthalt für sechs Monate in Südkorea knapp 20.000 Euro, der kommerzielle Anbieter EF Academy vermittelt Internatsplätze in New York für 65.000 US-Dollar (etwa 60.000 Euro).

Hamburger Schülerin: Probleme ansprechen, nicht warten

Bevor Eltern und Kinder sich auf eine Organisation festlegen, sollten Sie genau klären, welche Maßnahmen zur Qualitätssicherung ergriffen werden. Eltern können vorab klären, wie die Organisation die Gastfamilien auswählt und welche Kriterien für die Aufnahme einer Schule in das Programm gelten. Einen komplett reibungslosen Ablauf kann allerdings keine Organisation garantieren – eine gute Organisation zeichnet sich durch ihren souveränen Umgang mit auftretenden Problemen aus. Wichtig ist, dass das Kind im Problemfall vor Ort einen Ansprechpartner hat.

„Bei Problemen muss man auch den Mut haben, sie anzusprechen. Man kann nicht einfach warten, bis es sich von selbst löst“, erzählt Lina. Die Kompetenz, Konflikte ansprechen und lösen zu können, sei einer ihrer größten Lernerfolge aus der Zeit in Victoria.

Internetseite „Raus von Zuhaus“ bietet viele Informationen zum Auslandsjahr

Remo Küchler bestätigt, dass ein Ansprechpartner vor Ort sehr wichtig ist und rät, vorher abzuklären, wie diese Person zu erreichen ist. Ein weiteres Gütemerkmal könne die Spezialisierung einer Organisation sein. Konzentriert sich eine Agentur etwa auf bestimmte Länder, vermittelt seit vielen Jahre Aufenthalte dort und unterhält eigene Büros in dem Gastland, so deutet das auf Erfahrung hin und womöglich auf Qualität.

Lina hat die Austauschorganisation „GIVE“ in Anspruch genommen, die sich auf High School Aufenthalte in den USA, Kanada, Australien, Neuseeland, England und Irland konzentriert. „Ich habe mich sehr aufgehoben gefühlt und kann diese Organisation auf jeden Fall empfehlen. Meine Ansprechperson vor Ort war immer lieb und hilfsbereit.“

Neben der Ansprechbarkeit gibt es formale Kriterien für Seriosität, etwa einen deutschen Firmensitz und die Rechtsgültigkeit des abgeschlossenen Vertrages. Einen umfassenden Überblick liefert die Website www.rausvonzuhaus.de. Dahinter steht das Eurodesk-Netzwerk, zu dem auch das Europa Jugend Büro in Hamburg gehört.

Messe „Auf in die Welt“ am 9. März in Hamburg

Bei den meisten Austauschorganisationen handelt es sich um kommerzielle Anbieter. In Hamburg gibt es zudem zwei gemeinnützige Vereine, die verschiedene Formen von Auslandsaufenthalten organisieren: der American Field Service und Youth for Understanding. Beide Vereine sind als Träger der freien Jugendhilfe anerkannt.

Bei den kommerziellen Anbietern gibt es eine weitaus größere Auswahl. Remo Küchler rät: „Der Besuch einer Messe kann sehr hilfreich sein, um sich einen Überblick zu verschaffen.“ Zum Beispiel findet in Hamburg am 9. März die Messe „Auf in die Welt“ statt und am 13. April die Jugendbildungsmesse.

Die Kosten für ein Schuljahr im Ausland varrieren erheblich

Bei den gemeinnützigen Organisationen ist der Vorteil vor allem finanzieller Natur. Die Organisationen arbeiten hauptsächlich ehrenamtlich, und da die Gesamtkosten der Organisation hauptsächlich über öffentliche Mittel und Spenden gedeckt werden, müssen nur die individuellen Kosten des Schüleraustausches privat aufgebracht werden. Kommerzielle Anbieter haben keine öffentliche Förderung und sind deswegen auf höhere Einnahmen durch die Austauschprogramme angewiesen.

Die Preisspanne ist groß: beim YFU etwa schwanken die Kosten eines einjährigen Auslandsaufenthalts je nach Zielland stark. Preisdifferenzen ergeben sich zum Beispiel aus Entfernung, Programminhalt und Lebenshaltungskosten im Zielland. In osteuropäischen Ländern wie Bulgarien, Moldawien, Rumänien oder Ungarn kostet ein Auslandsjahr beim YFU 5.990 Euro, das Angebot „AustralienPLUS“ inklusive Wassersport, Meereskunde, Outdoor Education oder Agrarwirtschaft kostet 26.690 Euro. Die Kosten bei kommerziellen Anbietern können höher ausfallen. Dazu kommen häufig noch weitere Kosten, etwa für das Visum, die Anreise zu Vorbereitungsseminaren und für Taschengeld.

Welche Einrichtungen Stipendien für ein Schuljahr im Ausland bieten

Allerdings gibt es Möglichkeiten, die Kosten zu senken. Zum Beispiel vergibt YFU jährlich 300 Teilstipendien und der AFS fördert 30 Prozent seiner Auslandsaufenthalte mit Stipendien. Auch individuelle Ratenzahlungen sind beim YFU möglich. Stipendien bietet auch das Parlamentarische Partnerschaftsprogramm des Bundes (PPP). Stipendien sind allerdings oft an enge Bedingungen geknüpft. Das PPP beispielsweise beschränkt sich auf die USA und richtet sich an politisch interessierte Schülerinnen und Schüler.

Auch die Hamburger Schulbehörde fördert ein Schuljahr im Ausland, allerdings nur bei Kindern aus einkommensschwachen Familien. Die einkommensabhängige Förderung bezuschusst die Kosten des Auslandsaufenthaltes mit bis zu 6500 Euro. Der Antrag muss jeweils bis Mitte März des vorhergehenden Schuljahres gestellt werden.

Internationale Workcamps als Alternative zum Schuljahr im Ausland

Das Schuljahr im Ausland kann wie eine Mammutaufgabe erscheinen. Wer den Aufwand scheut oder aus anderen Gründen kein halbes oder ganzes Jahr in Ausland möchte, muss trotzdem nicht auf die bereichernde Erfahrung eines Auslandsaufenthaltes verzichten. “Alternativ können zum Beispiel internationale Workcamps besucht werden”, sagt Küchler. Dabei unterstützen die Teilnehmer und Teilnehmerinnen für ein paar Wochen ein Projekt.

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Die Projekte fallen bunt aus – von der Renovierung eines Bauwagens für einen Waldkindergarten in Frankreich bis zum Aufbau eines Nationalparks in Thailand ist alles dabei. Auch hierzu berät das Europa Jugendbüro. Außerdem vermittelt die Hamburger Schulbehörde jährlich mehrwöchige Austauschprogramme. Diese beruhen auf Gegenseitigkeit – das bedeutet, das Kind aus der Gastfamilie wird auch mehrere Wochen in Hamburg verbringen. Mehr Informationen hierzu gibt es unter hier.

Hamburger Schülerin plant Treffen mit neuen Freundinnen

Für Lina war die Auslandserfahrung sehr bereichernd – der kleine Kulturschock im eigenen Land nach der Rückkehr habe auch zu lustigen Situationen geführt: „In Kanada verabschiedet man sich vom Busfahrer beim Aussteigen. Am Anfang wurde ich in Victoria komisch angeschaut, weil ich wortlos ausgestiegen bin. In Hamburg wurde ich am Anfang komisch angeschaut, weil ich mich aus Gewohnheit laut vom Fahrer verabschiedete.“ Verabschieden musste sich Lina zwar auch von ihren neuen Freundinnen in Vancouver – aber nicht für immer: Die Mädchen planen bereits ein neues Treffen.