Hamburg. Provokationen und Beleidigungen über Whatsapp & Co.: Ein Hamburger Experte gibt Tipps zur Gegenwehr. Wovon er Eltern dringend abrät.
Wenn Mädchen und Jungen sich in der Schule Hänseleien ausgesetzt sehen, wenn sie von Mitschülern provoziert, beleidigt oder diffamiert werden und miterleben müssen, wie Gerüchte über sie die Runde machen, kann das sehr belastend sein. Wird ein solches Mobbing im Internet ausgetragen, bekommt es unter Umständen eine noch viel größere Tragweite. Weil die meisten Jugendlichen ein Handy haben und sich über Whatsapp & Co. täglich mit Freundinnen und Freunden austauschen, hilft es bei Online-Schikanen nicht, die Zimmertür hinter sich zu schließen: Cybermobbing kann sie prinzipiell immer und überall erreichen – und im Internet ist die Gruppe der Drangsalierer und Zuschauer womöglich viel größer.
Allerdings hat längst nicht jeder Konflikt zwischen Kindern und Jugendlichen mit Mobbing zu tun. Diskutieren oder streiten etwa zwei Klassenkameradinnen online über ein Thema, letztlich mit dem Ziel, eine Lösung zu finden, dann sei das natürlich legitim, sagt Helge Tiedemann, Leiter des Referats Medienpädagogik im Landesinstitut für Lehrerbildung und Schulentwicklung (LI). Wächst sich eine Hänselei allerdings aus, werden etwa Fotos von einer Schülerin gemacht und mit Beschriftungen wie „Sarah ist doof“ in Chats geteilt oder richten Mitschüler eine Chatgruppe ein, die sich gegen einen Schüler richtet, dann sei das ein Beispiel für Cybermobbing, sagt Tiedemann.
Cybermobbing: Eltern sollten Lehrer ansprechen, nicht das Problem alleine regeln wollen
Ihm zufolge denken Eltern von betroffenen Kindern bei Cybermobbing oft zuerst an technische Herausforderungen und fühlen sich dann teils überfordert oder gar ohnmächtig, weil sie sich mit den Details von Online-Plattformen und sozialen Netzwerken nicht auskennen. „Dabei ist es relevanter, zu erkennen, dass es sich um ein soziales Problem handelt, um Machtmissbrauch, den eine Gruppe betreibt, um eine Person auszugrenzen“, sagt Tiedemann. Weil Cybermobbing etwa in Klassengruppenchats meist einen Bezug zur Klasse habe, müsse das Problem vor allem in der Schule gelöst werden.
Er rät: „Eltern sollten die Sache nicht selbst in die Hand nehmen, weil sie emotional sehr stark involviert sind.“ Also: vorerst nicht den Hauptanstifter oder dessen Eltern zur Rede stellen, sondern zuerst den Klassenlehrer ansprechen oder eine vertraulich arbeitende Beratungslehrkraft bzw. den Beratungsdienst der Schule informieren. Für betroffene Kinder kann der Beratungslehrer auch der erste Ansprechpartner sein, wenn die Kinder sich nicht ihrer Klassenlehrerin anvertrauen wollen.
„No Blame Approach“: Schule bildet Unterstützungsgruppe für betroffenes Kind
Einen Klassenrat einzuberufen kann unter Umständen eher kontraproduktiv sein, heißt es von der Beratungsstelle Gewaltprävention in der Schulbehörde. Denn: „Ein Gespräch in der Großgruppe ist für die betroffene Person oft sehr belastend und löst das Mobbing nicht nachhaltig auf.“
Die Schule könne Mobbing und Cybermobbing vielmehr mit einem sogenannten „No Blame Approach“ entgegenwirken, sagt Helge Tiedemann. „Dabei bildet man eine Unterstützungsgruppe für den betroffenen Schüler – und in diese Gruppe wird auch der Täter einbezogen, ohne dass man ihm Vorwürfe macht.“ Auf Schuldzuweisungen und Strafen werde verzichtet. „Die Unterstützungsgruppe klärt, was nötig ist, damit es dem betroffenen Kind wieder gut geht.“ Viele Untersuchungen hätten gezeigt, dass dieser Ansatz eine hohe Erfolgsquote habe, „weil es dadurch gelingen kann, dem Täter die Auswirkungen seines Handelns vor Augen zu führen“.
Cybermobbing: Schule kann Ordnungsmaßnahmen gegen Täter festlegen
Funktioniere dieses Vorgehen nicht, könne die Schule Ordnungsmaßnahmen nach Paragraph 49 des Hamburgischen Schulgesetzes anordnen, sagt Tiedemann. Dazu zählen etwa schriftliche Ermahnungen. Im Gesetzestext wird als weitere mögliche Ordnungsmaßnahme auch eine Entlassung von der Schule genannt. „Jede Maßnahme muss in einem angemessenen Verhältnis zum Fehlverhalten der Schülerin oder des Schülers stehen“, heißt es dort.
Die Beratungsstelle Gewaltprävention der Schulbehörde rät betroffenen Kindern und Jugendlichen und ihren Eltern bei Cybermobbing Folgendes:
- Nicht auf Attacken reagieren. Täter fühlten sich dadurch zum Weitermachen angestachel,; und der Konflikt steigere sich möglicherweise drastisch.
- Kontaktmöglichkeiten reduzieren: Bei länger andauernden Belästigungen könne es sinnvoll sein, die E-Mail-Adresse, den Nickname oder auch die Telefonnummer zu wechseln.
- Beweise sammeln: Beleidigende E-Mails, SMS, Posts, Bilder und weiteres aufbewahren oder mit Bildschirmfotos (Screenshot) dokumentieren.
- Die eigenen Rechte kennen: Die Weitergabe von Fotos eines Menschen ohne dessen Einverständnis verletzt sein Recht am eigenen Bild. Strafbar ist in Deutschland die Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs und von Persönlichkeitsrechten durch Bildaufnahmen gemäß Paragraf 201a des Strafgesetzbuches.
Wenn bei der Polizei Anzeige erstattet werde, könne über Mobilfunkbetreiber und Internetprovider die Identität des Täters ermittelt werden. Eltern sollten allerdings möglichst in Absprache mit der Schule die Polizei einbeziehen. Letzteres ist ratsam, wenn der Verdacht auf eine Straftat besteht.
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Außerhalb der Schule können Eltern mit ihren Kindern sich auch Hilfe suchen in den 13 Hamburger Regionalen Bildungs- und Beratungszentren (ReBBZ). Adressen und Telefonnummern sind zu finden unter: www.hamburg.de/rebbz. Helge Tiedemann empfiehlt außerdem die „Juuuport-Scouts“: Jugendliche und junge Erwachsene aus ganz Deutschland, die Betroffenen bei Cybermobbing, Cybergrooming (sexuellem Missbrauch im Netz) und Mediensucht vertraulich und kostenlos helfen. Unterstützung biete zudem der telefonische Beratungsdienst des Vereins „Nummer gegen Kummer“.
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