Hamburg. Es geht um die Betreuung von Schülern mit Behinderung. Linken-Fraktionschefin Sabine Boeddinghaus wirft Senat „arrogantes Verhalten“ vor.

Kinder und Jugendliche mit einer geistigen oder körperlichen Behinderung oder einer psychosozialen Beeinträchtigung können eine Schulbegleitung erhalten, die sie im Unterricht sowie davor und danach auf vielfältige Art unterstützt. Im Schuljahr 2022/23 erhielten 2143 Jungen und Mädchen diese außerpädagogische Hilfe. Die Schulbegleitung ist seit der Einführung der schulischen Inklusion 2012 erheblich ausgeweitet worden. Von drei Millionen Euro (2014) stiegen die Ausgaben der Stadt auf zuletzt mehr als 17 Millionen Euro an.

Doch seit Jahren gibt es zum Teil massive Kritik an den Rahmenbedingungen der Schulbegleitung. So wird die fehlende Kontinuität beklagt, weil die Fluktuation bei den Teilnehmern des Freiwilligen Sozialen Jahres sehr hoch ist, die zu 80 Prozent die Schulbegleitung der Schüler mit körperlichen und geistigen Behinderungen übernehmen.

Das Netzwerk Schulbegleitung Hamburg, in dem sich zahlreiche Verbände, Initiativen und Vereine zusammengeschlossen haben, bemängelt außerdem, dass die erforderliche pädagogische Qualifikation bei den Begleitern der Schüler mit psychosozialen Beeinträchtigungen vielfach fehle. Schließlich sei der von der Schulbehörde bewilligte zeitliche Umfang der Begleitungen häufig nicht ausreichend.

Mehrfach verzögerte sich die Vorlage des Abschlussberichts der Universität Oldenburg

Nicht zuletzt auf Initiative des Netzwerks Schulbegleitung entschloss sich die Schulbehörde 2021, eine Evaluationsstudie zur Wirksamkeit der Maßnahmen auf den Weg zu bringen. „Sie (die Studie, die Red.) soll die Abläufe in den Verfahren untersuchen und Vorschläge unterbreiten, wie die Verfahren künftig noch stärker optimiert werden können“, schreibt der Senat in seiner Antwort auf eine Kleine Anfrage der Linken-Bürgerschafts-Fraktionschefin Sabine Boeddinghaus. Offensichtlich sieht auch die Landesregierung einen gewissen Verbesserungsbedarf.

Ursprünglich sollte die Studie der Universität Oldenburg bereits Ende 2023 abgeschlossen sein, doch es kam mehrfach zu Verzögerungen und zu Verschiebungen der Vorlage des Berichts, unter anderem wegen einer schweren Erkrankung eines Mitglieds des Autorenteams. „Der Abschlussbericht liegt der für Bildung zuständigen Behörde nunmehr seit dem 3. Juni 2024 vor und wird derzeit ausgewertet“, teilte der Senat in seiner Antwort auf die Boeddinghaus-Anfrage jetzt mit. Die Linken-Politikerin forderte umgehend, die Studie „der mündigen Schulöffentlichkeit und dem Parlament“ vorzulegen. Doch daraus wird vorerst offensichtlich nichts.

Sabine Boeddinghaus (Linke) wirft der Schulbehörde „arrogantes Verhalten“ vor

„Die Planungen zum weiteren Vorgehen und zur Veröffentlichung des Berichts sind noch nicht abgeschlossen und werden erst nach der Befassung der für Bildung zuständigen Behörde mit den Ergebnissen der Evaluation erfolgen. Sobald die behördeninterne Befassung beendet ist, wird die für Bildung zuständige Behörde auf geeignete Weise informieren“, schreibt der Senat etwas schmallippig und fügt hinzu: „Vor dem Hintergrund des Umfangs des Abschlussberichts und der Wichtigkeit der Thematik ist die Dauer der Auswertung noch nicht absehbar.“

„Spätestens seit der öffentlichen Anhörung im Schulausschuss am 30. September 2022 sind die eklatanten Mängel in der Schulbegleitung bekannt, ohne dass die Behörde aktiv geworden ist. Jetzt liegt endlich die Auswertung vor – und wird der mündigen Schulöffentlichkeit und dem Parlament vorenthalten“, empört sich Boeddinghaus. „Es ist ein arrogantes Verhalten der Schulbehörde gegenüber Schulbegleitern und Schulbegleiterinnen, Pädagogen und Mitschülern und besonders gegenüber Eltern, die sich unter Mühen und Anstrengungen für die Bildung der unterstützungsbedürftigen Kinder einsetzen“, sagt die Linken-Fraktionschefin.

Am 20. Juni wurde die Studie im Rahmen einer Präsentation in der Behörde vorgestellt

Boeddinghaus wirft der Schulbehörde vor, sich zu verschanzen. „Es ist die Angst vor der Wahrheit: So wie die Behörde Schulbegleitung aufstellt, kann es nicht weitergehen“, sagt die Linken-Politikerin, die der Behörde unterstellt, den Bericht zurückzuhalten, „solange es geht, weil die Defizite der Schulbegleitungen auf der Hand liegen“. Die Defizite zu beheben, hieße, „deutlich mehr Geld in die Bildung unserer Kinder und Jugendlichen zu investieren“. Das wolle die Behörde angesichts der Beratungen über den Haushaltsplanentwurf 2025/26 vermutlich gern vermeiden.

„Der Vorwurf entbehrt jeglicher Grundlage und geht völlig ins Leere“, entgegnet Peter Albrecht, Sprecher der Schulbehörde. Albrecht verweist auf den zeitlichen Ablauf. Nachdem die Studie am 3. Juni 2024 in der Behörde vorgelegen hatte, sei der Abschlussbericht „der Behörde im Rahmen einer Präsentation durch die Universität Oldenburg am 20. Juni 2024 vorgestellt“ worden.

Für Boeddinghaus ist die Schulbegleitung „ein wichtiger Baustein der inklusiven Regelbeschulung“

Hinter dem Streit über die Veröffentlichung der Studie zur Schulbegleitung steht ein grundsätzlicher Dissens. Die Schulbehörde rückt die schulische Inklusion in den Mittelpunkt der Betrachtung. „So konnten in den letzten Jahren durch verstärkte Investitionen, gezielte Fortbildungen für Lehrkräfte und das weitere pädagogische Personal, den weiteren Abbau von Barrieren und die Förderung einer offenen Haltung gegenüber der Inklusion weitreichende Verbesserungen erzielt werden, dies sowohl bei der Fortschreibung bestehender als auch bei der Realisierung neuer Maßnahmen, um die Inklusion weiter voranzubringen“, schreibt der Senat in seiner Antwort auf die Boeddinghaus-Anfrage.

Die Linken-Politikerin betont, dass die Schulbegleitung „ein wichtiger Baustein der inklusiven Regelbeschulung von Kindern und Jugendlichen mit sonderpädagogischem Förderbedarf“ sei. In der Einleitung zu ihrer Kleinen Anfrage schreibt Boeddinghaus sogar, dass die schulische Inklusion „an den Schulbegleitungen und der Organisation dieser Arbeit in weiten Teilen“ hänge. „Die für Bildung zuständige Behörde stimmt der Aussage der Fragestellerin, die inklusive Bildung sei in weiten Teilen von der Schulbegleitung und ihrer Organisation abhängig, nicht zu“, entgegnet der Senat in seiner einleitenden Antwort ungewohnt konfrontativ.

Für den Senat ist die Schulbegleitung „eine nachrangige und unterstützende Tätigkeit“

„Schulbegleitung ist kein pädagogisches Angebot, sondern immer eine nachrangige und unterstützende Tätigkeit. Sie ist als Eingliederungshilfeleistung dem Handeln der Beschäftigten der für Bildung zuständigen Behörde in den übrigen Handlungsfeldern der Inklusion nachrangig“, stellt der Senat seine Position unmissverständlich klar. Die Schule mache „ein individualisiertes Bildungsangebot mit spezifischen Maßnahmen unter zielgerichtetem Einsatz der zugewiesenen Mittel“. Der Senat weiter: „Wenn diese schulischen Maßnahmen und Möglichkeiten nachweislich ausgeschöpft sind und trotzdem nicht ausreichen, um eine umfängliche Teilhabe an Schule und Unterricht zu ermöglichen, kann eine Schulbegleitung beantragt werden.“

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Das Netzwerk Schulbegleitung fordert unter anderem verbindliche Vorgaben für die Einbindung der Schulbegleiter in die Schule sowie feste Vorgaben zur Qualifikation der Schulbegleiter. Außerdem sollen die Trägerverbände der Begleitungen vertraglich zur Vertretung bei Ausfallzeiten verpflichtet werden. An Schulen mit mehr als fünf begleiteten Kindern könnte ein Poolmodell mit einem festen Team von Schulbegleitern, die sich gegenseitig vertreten, Synergieeffekte schaffen. Bei den Stundensätzen solle von den Tariflöhnen ausgegangen werden. Das Netzwerk betont, dass die Umsetzung der Vorschläge „eine deutliche Aufstockung der finanziellen Mittel für die Schulbegleitung erfordern“ würde.