Hamburg. Hamburger beklagen Kampf mit Behörden, wenn man ein chronisch krankes Kind hat. Über die großen Schwierigkeiten in Kita und Schule.
Wenn Kinder an chronischen Erkrankungen leiden, wird der Alltag für die ganze Familie mühsamer. Auch beim Besuch von Kita und Schule läuft vieles längst nicht so selbstverständlich wie für gesunde Kinder und Jugendliche. Und die Zahl der Schülerinnen und Schüler, die schon vor der Einschulung gesundheitliche Probleme haben, steigt.
Die achtjährige Mimi aus Hamburg-Niendorf bekam ihre Diagnose im September 2016, als sie gerade zwei Jahre alt geworden war. „Sie fing an, übermäßig viel Wasser zu trinken. Ich bin öfter zum Kinderarzt, aber der hat das abgetan“, sagt ihre Mutter Jeanette Klettke. Dann habe er sie irgendwann doch ins Krankenhaus geschickt.
Schule Hamburg: Diabetes-Diagnose im UKE war für Familie ein Schock
Im Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE) kam dann die bittere Diagnose: Diabetes mellitus Typ 1. „Ihr Blutzucker lag bei circa 700“, sagt Mimis Vater Thorsten Mohr. „Die Diagnose war für uns alle ein großer Schock“, sagt Jeanette Klettke und dabei schießen Tränen in ihre Augen. Während einer Woche auf der Intensivstation und weiteren drei Wochen in der Kinderklinik lernten sie in einem Crashkurs die Grundlagen im Umgang mit Diabetes.
Seit einem Jahr hat ihre Tochter eine hochmoderne Insulinpumpe, die mit künstlicher Intelligenz (KI) funktioniert. Diese Pumpe, die erst für Kinder ab sieben Jahren zugelassen ist, korrigiert einen Insulinmangel eigenständig. Ein weiterer Vorteil: „Wir können auf dem Handy ihren Blutzuckerwert sehen“, sagt Mimis Vater. Das sei wichtig, denn so fühle sich ihre Tochter freier und man müsse den Blutzuckerwert nicht direkt an der Pumpe kontrollieren.
Chronisch krank: In Kita und Schule haben es Kinder schwerer
Kinder mit chronischen Krankheiten haben es im Bildungssystem deutlich schwerer, dafür gibt es immer wieder erschreckende Beispiele. „In der Krippe war die Betreuung noch ganz toll“, sagt Thorsten Mohr. Die Betreuer dort hätten eine Diabetesschulung gemacht. Im Elementarbereich der Kita in Niendorf sei es anschließend schwieriger geworden.
Sie hätten ihrer Tochter immer Traubenzucker, Gummibärchen und Vollkornbrot mitgegeben, damit sie ihren Blutzuckerspiegel bei Bedarf schnell regulieren könne, aber die Betreuer hätten ihr diese Lebensmittel nicht geben dürfen. „Sie sei schließlich keine Prinzessin“, habe die Kita-Leitung gesagt, so Mohr.
Eltern: Pädagogische Argumente sind manchmal nachrangig
„Die Pädagogen fingen immer mit pädagogischen Argumenten an“, aber das sei wegen der Gesundheit ihres Kindes zweitrangig, sagt Mimis Vater. Als mehrere Gespräche mit der Kita-Leitung keine Verbesserung gebracht hätten, sei die Situation eskaliert. „Da war klar, dass wir schnell einen neuen Kindergarten finden mussten.“
Mimis Mutter erinnert sich, dass sie am letzten Tag in der alten Kita früher gekommen war, um ihr Kind abzuholen. Sie habe es mit sehr niedrigem Blutzucker unbetreut in einer Ecke sitzend vorgefunden.
Integrationskita in Hamburg-Schnelsen ermöglichte Eltern wieder Unbeschwertheit
Der neue Kindergarten in Schnelsen war auf Integrationskinder spezialisiert. „In der Kita Jungborn werden die Kinder exzellent betreut. Das war eine tolle Zeit. Wir konnten wieder unbeschwert zur Arbeit gehen“, sagen die Eltern.
Denn das sei auch etwas, was berufstätige Eltern chronisch kranker Kindern ständig belaste, sagen Mimis Eltern – dass man immer mit einem Gedanken beim Kind sei. Und jeden Tag mit der Hoffnung zur Arbeit gehe, dass kein Anruf kommt, weil etwas nicht so läuft, wie es soll.
Kranke Kinder bedeuten für Berufstätigkeit der Eltern Einschränkungen
Jeanette Klettke sagt, sie habe Teilzeit arbeiten und ihre ganze berufliche Laufbahn verändern müssen, um für ihre Tochter da zu sein. Und auch Thorsten Mohr spricht vom Glück, einen verständnisvollen Arbeitgeber zu haben.
Als Mimis Wechsel zur Vorschule anstand, hatten ihre Eltern nach eigenen Angaben ein Gespräch mit der zuständigen Schule in Niendorf und der dortigen Nachmittagsbetreuung. Nachdem die Eltern die Mitarbeiter der Nachmittagsbetreuung längere Zeit eingearbeitet hatten, habe man sich dort überraschend dagegen entschieden, Mimi zu betreuen, erinnert sich Mohr.
Schulbegleitung: Kleine Kinder können ihren Blutzucker nicht selbst überwachen
Das sei der nächste Schock gewesen. Jeanette Klettke begleitete ihre Tochter daraufhin das ganze erste Vorschuljahr lang. „Diese Situation ist für das Kind und für die Eltern suboptimal. Denn ein Kind muss sich frei entfalten können und nicht ständig unter der Beobachtung der Eltern stehen“, finden die Eltern des Mädchens.
Im zweiten Vorschuljahr stand das Thema Schulbegleitung an. Denn Kinder mit Diabetes können ihre Krankheit am Anfang der Schulzeit normalerweise selbst noch nicht überwachen. Die Achtjährige beispielsweise bekommt derzeit pro Tag etwa zehn Insulingaben.
Hamburger Eltern sagen: Staat muss Schulpflicht allen Kindern ermöglichen
„Der Staat ist verpflichtet, den Schulunterricht zu gewährleisten. Es gibt eine Schulpflicht!“, sagt Thorsten Mohr. „Dann beantragt man eine Schulbegleitung und die Schulbehörde schiebt die Verantwortung zur Krankenkasse. Die Krankenkasse schiebt die sofort wieder zurück. Auch wenn man einen Rechtsanspruch hat, heißt es nicht, dass man Recht bekommt. Man muss es selbst durchsetzen.“
In dieser Situation hätten sie dann einen Anwalt beauftragt. „Der Anwalt hat Klage eingereicht.“ Eine Rechtsschutzversicherung helfe dabei, die Kosten zu reduzieren und so können sich die Eltern auf das Wesentliche konzentrieren. Schließlich habe die Krankenkasse die Gelder freigegeben und Hamburgs größter Schulbegleitungsträger habe sich bereiterklärt, die Betreuung ihrer Tochter zu übernehmen.
Nach der Vorschule lehnt Hamburger Schule das Kind ab
Doch sorgenfrei wurde das Leben dadurch nicht. „Der Träger verspricht, für jedes Diabeteskind gleich zwei Studenten vorzuhalten, aber im Endeffekt ist es nur einer gewesen“, sagt Mimis Vater. War die Schulbegleitung krank, hätten sie doch wieder selbst einspringen und in der Klasse sitzen müssen, um den Blutzucker ihrer Tochter im Blick zu behalten. „Das war für uns sehr problematisch“, sagen die Eltern. Nach mehreren Gesprächen mit dem Schulbegleitungsträger sei der Vertrag einseitig von diesem gekündigt worden.
In die erste Klasse eingeschult wurde Mimi schließlich an einer anderen Niendorfer Grundschule, weil sie da, wo sie zur Vorschule gegangen war, abgelehnt worden sei, sagt ihr Vater. „Rechtzeitig zum Schulstart fanden wir mit Gimme Five endlich einen neuen Schulbegleitungsträger, mit dem wir durchgängig sehr zufrieden sind.“
Schulbegleitung: Für Eltern sei die Lage unübersichtlich, sagt ein Unternehmer
Thomas Müller, Geschäftsführer von Gimme Five mit Sitz in Langenhorn, bestätigt, dass die Situation für Eltern sehr schwierig sei, wenn ihr Kind eine Schulbegleitung braucht. „Sie bekommen eine Liste mit Trägern in die Hand, die können sie dann abtelefonieren. Je nach Kind ist das leicht oder eben nicht. Für viele ist die Suche eine langwierige Geschichte.“
Außerdem sei es für Eltern teilweise schwierig herauszubekommen, ob für die Genehmigung der Schulbegleitung die Schulbehörde oder die Krankenkasse zuständig ist. Das hänge nämlich vom Betreuungsbedarf des Kindes ab.
Laut Peter Albrecht, Sprecher der Schulbehörde, verhält es sich folgendermaßen: „Es ist zu unterscheiden zwischen Schulbegleitung als Leistung der Eingliederungshilfe und sogenannte ‚Schulbegleitung Diabetes‘ als medizinische Leistung (Behandlungspflege/häusliche Krankenpflege). Während für die Eingliederungshilfeleistung Schulbegleitung die Schulbehörde zuständig ist und bei Bedarf nach §12 Hamburgisches Schulgesetz bewilligt, ist für die medizinische Leistung die Krankenkasse zuständig.“
Abrechnung mit Krankenkassen gehe „ratzfatz“
Müller lobt hingegen die Abrechnung mit den Krankenkassen, „Das geht ratzfatz.“ Anders sei es bei der Schulbehörde. Die Schulbegleitungsträger hatten lange Zeit große Probleme mit der Bezahlung durch die Stadt, so Müller. Inzwischen habe sich das gebessert.
Dazu sagt Albrecht: „Die Schulbehörde bearbeitet Rechnungen gemäß der Vorgaben für die Freie und Hansestadt Hamburg. Hierzu gehört auch die sachliche und rechnerische Prüfung, die in Einzelfällen Klärungsbedarf und damit auch längere Bearbeitungszeiten mit sich bringen kann.“
Hamburg: Schulbegleiter bei Gimme Five sind pädagogisch ausgebildet
Die Zahl der Anbieter im Bereich Schulbegleitung in Hamburg liege mittlerweile bei unter 100, schätzt Müller, genaue Zahlen seien schwer zu ermitteln, da sich die Angebote der Träger änderten. Aber die Zahl sei rückläufig. Gimme Five bietet Schulbegleitung und Familienhilfe an. Derzeit arbeiten laut Müller etwa 100 Mitarbeiter für das Unternehmen, die im Schnitt 17 bis 18 Stunden pro Woche tätig sind. Viele davon seien Studenten, etwa Pädagogik-Studenten, Erzieher in Ausbildung, die sich nebenbei etwas dazuverdienen, aber auch ausgebildete Heilpraktiker.
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Für Eltern, deren Kinder Diabetes haben, sei die Suche oft besonders schwierig. „Viele Schulbegleiter trauen sich das nicht zu, man muss ein Gefühl für die Krankheit haben und die Verantwortung schultern. Es gibt Eltern, die entspannter sind, wenn sie auf ihrem Handy plötzlich sehen, dass der Blutzucker stark schwankt. Und es gibt andere, die angespannt sind.“ Besonders schwierig sei es beispielsweise auch, Schulbegleiter für Autisten und Kinder mit Fetalen Alkoholspektrum-Störungen (FASD) zu finden.
Hamburg: Betroffene Eltern müssen Schulbegleitung jedes Jahr neu beantragen
Thorsten Mohr sagt, ein weiteres großes Problem für Familien mit chronisch kranken Kindern seien die ständigen Ablehnungsbescheide der Krankenkasse und Institutionen. „Wir müssen zum Beispiel die Schulbegleitung jedes Jahr neu beantragen, obwohl die Krankheit ja bleibt. Und die Krankenkasse hat jetzt schon angekündigt, dass unsere Tochter nächstes Jahr keine Schulbegleitung mehr bekommt. Das ist schon zermürbend und kostet viel Kraft.“
Auch um die Pflegestufe muss sich die Familie gerade streiten. Mimi hat mit ihrem Diabetes einen Pflegegrad 2, seit sie zwei Jahre alt war. Mit der neuen Diagnose Zöliakie sei eine Höherstufung auf Pflegegrad 3 möglich, sagt ihr Vater: „Das würde den Pflegeetat um 200 Euro erhöhen.“ Dieses Geld sei durchaus angemessen, da glutenfreie Ernährung einfach teurer sei. Aber über den Pflegegrad 3 sei noch nicht abschließend entschieden worden.
Die Eltern sagen, sie täten alles dafür, dass ihre Tochter ein unbeschwertes, glückliches Leben führt: „Das ist unser Ziel, aber der Preis ist hoch.“