Lauenburg/Geesthacht. Der Jugendhilfeausschuss hat einem Pilotprojekt zugestimmt. Kritiker fürchten, dass es eher um Kosten als um Hilfe für Kinder geht
Der Jugendhilfeausschuss im Kreis Herzogtum Lauenburg hat einem Pilotprojekt zugestimmt, das die Neuordnung des Systems Schulbegleiter in der Praxis erproben soll. Diese Menschen, die Schüler mit Unterstützungsbedarf durch den Schulalltag helfen, haben für die Inklusion eine besondere Bedeutung. Prinzipiell gilt: Nur wer auch mit einer solchen Unterstützung und Einzelförderung dem Unterricht in regulären Klassen nicht folgen kann, soll an Förderschulen verwiesen werden. Die Meinungen über die Neuordnung gehen unter Pädagogen und Schulen, anders als im JHA, allerdings deutlich auseinander.
Als „Sparprogramm durch die Hintertür“ oder Aushebeln des bislang erfolgreichen Systems werten Kritiker die Entscheidung. Bewähren sich doch Schulbegleiter vielfach, wenn es etwa darum geht, Kindern den Einstieg und den Weg durch die Schule zu ebnen, die in der Vergangenheit wegen Verhaltensauffälligkeiten allzu leicht auf Förderschulen abgeschoben wurden. Etwa Kinder mit ADHS oder Autisten, die sich nicht integrierten. Asperger-Schüler oder Hochbegabte, die den Unterricht störten, weil sie sich latent unterfordert fühlten. Andere Pädagogen plädieren dafür, eine solche Reform nur mit größter Vorsicht anzugehen.
Schulbegleiter: Test sieht Aus für persönliche Betreuung vor
Zunächst einmal soll jetzt die Neuordnung an beiden Förderschulen des Kreises, fünf Geesthachter Grundschulen sowie der Grund- und Gemeinschaftsschule Stecknitz (Berkenthin und Krummesse) erprobt werden. Zustimmung kommt von Förderschulen. Tenor: Die Vielzahl hier tätiger Schulbegleiter lasse sich über einen Pool besser organisieren. Tatsächlich bieten im Kreis ein rundes Dutzend Träger Schulbegleitungen für die verschiedensten Anforderungen an.
Anders als bislang üblich, sollen die Begleiter im Herzogtum künftig nicht mehr einzelnen Schülern zugeordnete werden. Mit einer Poollösung soll „der Aufwuchs der Schulbegleitungen reduziert werden“, ist in der Verwaltungsvorlage unter „Finanzielle Auswirkungen“ zu lesen.
Ein Ziel: Mit Personalpool die Kosten eindämmen
Auch die genannte Zielsetzung lässt kaum Zweifel zu, dass es nicht zuerst um die Betreuung der Schülerinnen und Schüler geht: „Bildung eines festen Pools von Schulbegleitungen an Schulen für eine strukturelle Grundversorgung unter lokaler Steuerung. Durch die Poolbildung wird angestrebt, dass das ,System Schule‘ so gestärkt wird, dass der individuelle Anspruch auf Schulbegleitungen entfällt, da von vornherein ausreichend Hilfen in der Schule vorhanden sind.“
Diese könnten zudem durch die Schulleitungen so gesteuert werden, „dass einerseits das Personal ausgelastet wird und andererseits keine schülerbezogen beauftragten Personen mehr erforderlich sind, um Unterstützungsbedarfe auszugleichen“. Genau aber die „schülerbezogenen Personen“ sind bislang eine wichtige, wenn nicht die Grundlage des Systems.
Abschied von persönlicher Betreuung
Die Idee, die hinter dem Vorstoß steht, scheint unter organisatorischen Gesichtspunkten einleuchtend. Statt einem Kind eine feste Bezugsperson zuzuordnen, die er oder sie über Jahre verlässlich im Schulalltag unterstützt, sollen Betreuerpools viele Vorteile bringen: Den Schulen, die über sie und die Mittel verfügen können und den Einsatz planen. Und dem Kreis, der sich des ungeliebten Themas weitgehend entledigt.
Die angeführte Liste von Vorteilen ist lang. Sie reicht von „besseren Vertretungsmöglichkeiten“, „besserer Bedarfsdeckung“ und „Entlastung von Lehrern“ von Berichtspflichten über „direktere Steuerungs-/ Einsatzmöglichkeiten vor Ort in Zuständigkeit der Schule“ und Reduzierung von Verwaltungsaufwand bis zu „Schulbegleitung unabhängig vom Kind vor Ort“.
Vertrauensverhältnis ist das A und O
Martin Scharnweber, Grundschullehrer in Büchen, hält genau diesen Ansatz für grundverkehrt. „Der Sinn von Schulbegleitern ist doch gerade, dass sich zwischen ihnen und dem betreuten Kind über die Zeit ein Vertrauensverhältnis aufbaut“, sagt der erfahrene Pädagoge aus Lauenburg. Gerade für autistische Kinder sei dies von besonderer Bedeutung. „Für die allgemeine Unterstützung von Lehrern im Unterricht haben wir Schulassistenten, das ist doch ein anderer Aufgabenbereich.“
Eine solche Trennung hat aus Sicht des Leiters der Geesthachter Hachede-Förderschule jedoch keine große Bedeutung. Er sei froh über jede Unterstützung, die er für die Förderklassen und die Pädagogen bekomme, sagt Pascal Thomann. Das Personal sei auf allen Ebenen knapp, mehr Flexibilität könne helfen, Unterricht und Betreuung besser sicherzustellen. „Wir werden mit der Poollösung nicht alles umschmeißen“, versichert Thormann. „Bei Bedarf wird es weiter auch Einzelbetreuung geben.“
Betreuerpool nur als „Feuerwehrlösung“
Betreuung funktioniere nur mit ausreichend Personal, bestätigt Björn Buttler, Rektor der Albinus-Gemeinschaftsschule in Lauenburg. Betreuerpools sollten aus seiner Sicht allerdings eine „Feuerwehrlösung“ sein und nicht die Regel. „Die persönliche Beziehungsebene ist enorm wichtig, ständig wechselnde Betreuer können nicht das Ziel sein“, sagt Buttler.
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Was eine dauerhafte Betreuung möglich mache, sei immer wieder verblüffend, so Buttler. „Wir haben von der Grundschule ein extrem verhaltensauffälliges Kind erhalten. Jetzt nimmt es an einem Schülerprojekt im Ausland teil“, zur großen Verwunderung der Grundschullehrer.
Betreuer krank: Kind bleibt ein Jahr Unterricht fern
Auch wenn er die Reformpläne des Kreises nicht in jedem Punkt für folgerichtig halte, bleibe eine Tatsache, sagt Immo Braune, SPD-Kreistagsabgeordneter aus Lauenburg: Eine funktionierende Vertretungslösung für Schulbegleiter sei unverzichtbar. „Mit ist ein Fall bekannt, wo ein Kind fast ein ganzes Schuljahr dem Unterricht ferngeblieben ist, weil der Begleiter dauerhaft erkrankt war“, mahnt der Lehrer an einer Stadtteilschule in Hamburg. Aus seiner Sicht sei die Bildung von Pools „der erste Schritt, um die Grenzen zwischen den vielen verschiedenen Trägern aufzuweichen“.