Hamburg. Aktivisten ziehen gegen die Politik vors Hamburgische Verfassungsgericht: Sie wollen digitale Abstimmung erzwingen – und einen neuen Termin.

Die Zeichen stehen auf Kollision: In den vergangenen Jahren hatte der Senat mit Volksinitiativen frühzeitig eine Einigung erzielt, bevor das Thema größere Kreise zog und in einem Volksbegehren mündete. Im Streit um das Gendern aber scheint jede einvernehmliche Lösung endgültig ausgeschlossen. Nun klagt die Initiative „Schluss mit Gendersprache in Verwaltung und Bildung“ vor dem Hamburgischen Verfassungsgericht. Der Eilantrag wurde bereits eingereicht.

Gleich zwei Punkte stoßen den Sprachschützern auf: Sie beklagen, dass die Bürger das anstehende Volksbegehren nicht digital unterstützen können und die Unterschriftensammlung komplett in die Sommerferien fällt. Darin sehen sie „eine eklatante Beschneidung des in der Hamburger Verfassung (Art. 50) gesicherten Bürgerrechts auf direkte Demokratie durch Senat und Bürgerschaft“.

Hamburg: Anti-Gender-Initiative verklagt den Senat

Deshalb will die Initiative den Beginn des Volksbegehrens auf den 29. August oder später verschieben. Nach aktuellem Stand würde das Volksbegehren am 18. Juli punktgenau mit den Sommerferien beginnen. Erst dann würden die Unterlagen für die Briefeintragung verschickt. Die öffentliche Sammlung von Unterschriften würde am 8. August starten und am 28. August, dem letzten Tag der Schulferien enden.

Damit wird die Hürde für ein erfolgreiches Volksbegehren noch höher: Im Sommer müssten sich rund 66.000 Hamburger (ein Zwanzigstel der Wahlberechtigten) in Listen eintragen, die bei den Bezirks- und Ortsämtern oder von der Initiative ausgelegt werden.

Gerade diese Terminierung bereitet den Initiatoren Kopfzerbrechen. SPD, Grüne und Linke hatten in der Bürgerschaft einen im Gesetz durchaus vorgesehenen Antrag auf Verschiebung des Volksbegehrens abgelehnt. „Erstmalig in der Hamburger Geschichte der direkten Demokratie“, grollte die Sprachinitiative und sprach von einem „taktischen Foul“ und von Sabotage.

Anti-Gender-Initiative Hamburg: Bürgerschaft lehnte eine Fristverlängerung ab

Zumindest ist es ein Novum. „Mir ist nicht bekannt, dass so ein Vorschlag für eine Fristverlängerung bisher abgelehnt worden wäre. Verlängerungen kamen häufiger vor“, sagte Hamburgs Landeswahlleiter Oliver Rudolf damals auf Abendblatt-Anfrage. „Aber es steht selbstverständlich im freien Ermessen der Bürgerschaft, so zu entscheiden“.

Die Bürgerschaftsfraktionen von SPD, Grünen und Linken hatten mehrfach betont, dass sie die Initiative grundsätzlich ablehnen. Das dürfte auch an dem ungeschickten Auftreten der ursprünglichen Sprecherin liegen, die sich inzwischen zurückgezogen hat.

Mit den Initiatoren werde es keine Verhandlungen geben, hatte Grünen-Fraktionschef Dominik Lorenzen mehrfach erklärt. „Die Volksinitiative setzt sich dafür ein, jegliche Form geschlechtergerechter Sprache zu verbieten. Sie will Menschen von oben herab verordnen, wie sie zu denken oder zu leben haben.“

SPD: „Sprache ist lebendig und entwickelt sich weiter“

Die SPD betont, die Positionen lägen zu weit auseinander. „Sprache ist lebendig und entwickelt sich weiter. Nach Auffassung der Fraktion soll es jedem und jeder in Hamburg freigestellt sein, zu gendern oder dies nicht zu tun“, so ein Sprecher. Die Debatte um das Gendern ist politisch aufgeladen. So hatte die CDU 2023 für die Volksinitiative Unterschriften an einem Aktionstag gesammelt; die AfD fordert ebenfalls ein Genderverbot. Rot-Grün hingegen verwendet die Gendersprache schon im Koalitionsvertrag.

Die Volksinitiative „Schluss mit Gendersprache in Verwaltung und Bildung“ will nun mit einer Kampagne auf ihr Thema aufmerksam machen
Die Volksinitiative „Schluss mit Gendersprache in Verwaltung und Bildung“ will nun mit einer Kampagne auf ihr Thema aufmerksam machen © Volksinitiative Gendern/ohne-gendern.de | Volksinitiative Gendern/ohne-gendern.de

Die Initiative hatte auf die mangelnde Bereitschaft, den Termin zu verschieben, zunächst mit dem Kniff reagiert, auf einer Website den Antrag auf Briefeintragung zu hinterlegen. „Wer vom staatlichen Gendern genervt ist, kann in 60 Sekunden unter www.ohne-gendern.de den erforderlichen Antrag stellen“, hatte Jens Jeep, Vertrauensperson der Volksinitiative, erklärt. Offenbar ist das Echo aber nicht so groß, dass die Initiative sich einen Erfolg im Volksbegehren verspricht. Jeep spricht von 7000 Antragstellern.

Anti-Gender-Initiative will digitale Stimmabgabe ermöglichen

Deshalb verfolgt die Klage ein weiteres Ziel: Die Initiative will den rot-grünen Senat zwingen, digitaler zu werden und eine Online-Abstimmung bei Volksbegehren einzuführen. Nach Lesart von Jeep bestimme Paragraf 9 des Volksabstimmungsgesetzes unmissverständlich, dass die Unterstützung des Volksbegehrens auch durch „andere Verfahren erfolgt“, wenn diese der Unterschrift gleichstehen. Diese gebe es seit Jahren. Mit Smartphone, Personalausweis und PIN existiere eine rechtswirksame, digitale und damit ortsunabhängige Online-Unterschrift. In Schleswig-Holstein wird dieses digitale Verfahren schon eingesetzt.

„Das Volksabstimmungsgesetz stellt die Unterstützung in elektronischer Form nicht in das Belieben des Senats“, kritisiert Jeep. Geregelt sei ein Rechtsanspruch der Hamburger Bürger. „Und der Senat ist zur Umsetzung verpflichtet.“ Seine Mitstreiterin als Vertrauensperson, die Autorin und Künstlerin Claudia Guderian, hält die Online-Abstimmung für einen „wichtigen Schritt zur überfälligen Digitalisierung“ der Verwaltung. Sie kritisiert, die fehlende Online-Abstimmung verringere in rechtswidriger Weise die Erfolgsaussichten jedes Volksbegehrens.

Streit ums Gendern in Hamburg: Längst geht es um etwas Grundsätzliches

Für die Initiative geht es also um grundsätzliche Fragen der direkten Demokratie. „Wenn der Bürgerwille nur von Interesse sein soll, wenn er der Bürgerschaftsmehrheit politisch genehm ist, dann können wir die direkte Demokratie auch gleich aus der Hamburgischen Verfassung streichen“, kommentiert Jan-Dirk Strauer von der Volksinitiative.

Die Initiative stört sich an einer, wie sie es nennt, „ausufernden Gendersprache in Verwaltung und Bildung“. Damit ist der Gebrauch von Doppelnennungen, Sonderzeichen wie Doppelpunkt, Unterstrich oder Sternchen („Politiker*innen“), Partizipkonstruktionen („Studierende“ statt „Studenten“) und Doppelpronomen („seine/ihre“) gemeint. In bunten Buchstaben steht über der Presseerklärung der Initiative: „Gleichberecht*igung braucht keinen Genderstern“. Nun startet sie eine Kampagne in den sozialen Medien.

Umfragen: Mehrheit der Deutschen lehnt Gendersprache ab

Mehreren Umfragen zufolge lehnt eine deutliche Mehrheit der Deutschen die Gendersprache ab. Befürworter hingegen verweisen darauf, dass die Sprache so „gendergerecht“ werde und alle Geschlechter abbilde. Der Streit darum tobt bereits seit einigen Jahren.

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„Wenn man der Überzeugung ist, dass die Gendersprache im Sinne der Bürger ist, dann sollte man keine Angst vor einem Volksentscheid haben“, sagt Jeep. Hätte seine Initiative Erfolg, wäre es die erste Volksabstimmung seit dem Plebiszit über den Rückkauf der Netze im Herbst 2013.

Die Entscheidung über die Online-Abstimmung dürfte indes noch weitere Volksinitiativen betreffen: Mit dem „Hamburger Zukunftsentscheid“, „Hamburg testet Grundeinkommen“, der Initiative für G9, „Hamburg Enteignet“ und „Hamburg Werbefrei“ sind gleich mehrere Volksbegehren in der Pipeline.