Hamburg. Verfassungsrichter sollen über Volksbegehren entscheiden. Initiatoren fühlen sich ausgebremst. Ihnen gehe es um günstigere Mieten.

Sie wollen nach eigenem Bekunden „Wohnraum für alle – statt Profit für wenige“ schaffen und fordern die „Enteignung der großen, profitorientierten Wohnungsunternehmen in Hamburg“: Die Volksinitiative „Hamburg enteignet“ hatte rund 18.200 Unterschriften gesammelt und im Oktober ein Volksbegehren beim Senat angemeldet. Ziel ist es laut Initiative, die Mieten der Hansestadt dauerhaft zu senken. Doch nun will der Hamburger Senat das Vorhaben vor Gericht stoppen.

In Hamburg seit zehn Jahren keine Volksentscheide mehr

Die rot-grüne Landesregierung habe beim Hamburgischen Verfassungsgericht beantragt, das Volksbegehren von „Hamburg enteignet“ nicht durchführen zu lassen. Das gehe aus einem mehr als 100-seitigen Schriftsatz hervor, der der Initiative zugestellt wurde. „In diesem Schriftsatz steht seitenweise Eigenlob des Hamburger Senats. Er tut, als gäbe es den Mietenwahnsinn gar nicht, und stellt seine verfehlte Mietenpolitik als bundesweit vorreitend dar“, empört sich Marie Kleinert. Die Wahrheit sei: „Neubau findet faktisch nicht mehr statt, und Hamburgs Bestandsmieten sind auf Rekordniveau. Der Senat lebt in einer Parallelgesellschaft.“ Sie nennt das Verhalten des Senats „dreist“.

Wie das Abendblatt bereits kürzlich berichtete, ist es zur gängigen Praxis des Senats geworden, das Hamburger Verfassungsgericht anzurufen, um erfolgreiche Volksinitiativen – je nach Lesart – auf ihre Verfassungsmäßigkeit hin überprüfen zu lassen oder aber auszubremsen. Seit einer Änderung des Hamburger Volksabstimmungsgesetzes 2012 muss der Senat das Verfassungsgericht immer dann anrufen, wenn er „erhebliche Zweifel“ hat, dass die Initiative mit Artikel 50 der Hamburgischen Verfassung vereinbar ist. Dort heißt es u. a.: „Bundesratsinitiativen, Haushaltspläne, Abgaben, Tarife der öffentlichen Unternehmen sowie Dienst- und Versorgungsbezüge können nicht Gegenstand einer Volksinitiative sein.“

Die Folge der Senatspraxis ist allerdings, dass in der einstigen Hochburg der Volksgesetzgebung seit dem Volksentscheid über den Rückkauf der Energienetze 2013 keine weitere Volksabstimmung gegeben hat. „Mehr Demokratie“ kritisierte, Senat und Bürgerschaft hebelten mit ihrem Vorgehen die direkte Demokratie in Hamburg aus.

Verfassungsgericht kassiert viele Volksbegehren

Zuletzt hatte das Gericht auf Antrag etwa Volksinitiativen gegen Rüstungstransporte durch den Hafen oder für die Einführung eines Grundeinkommens kassiert, ebenso wie Initiativen für verbindliche Bürgerentscheide auf Bezirksebene, für die Streichung der Schuldenbremse oder gegen den „Pflegenotstand in Krankenhäusern“.

Der Senat argumentiert, es sei sinnvoller, die Rechtmäßigkeit einer Volksgesetzgebung im Vorhinein gerichtlich überprüfen zu lassen als erst dann, wenn bereits ein Volksentscheid stattgefunden hat. Mit vielen Volksinitiativen handelten Vertreter der Regierungsparteien zuletzt auch immer häufiger Kompromisse aus.

Initiative fühlt sich ausgebremst: „Verschleppungstaktik“

Die Initiatoren von „Hamburg enteignet“ fühlen sich dennoch ausgebremst und sind wütend. „Wir erleben die gleiche Verschleppungstaktik wie unsere Freund*innen von Deutsche Wohnen & Co. enteignen in Berlin, wo über eine Million Wählerinnen und Wähler für die Vergesellschaftung der großen Immobilienkonzerne gestimmt haben“, sagt Kleinert. „Der Senat will um jeden Preis verhindern, dass Hamburgs Bevölkerung über Enteignung abstimmt.“

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Die Landesregierung habe „keinen Bock auf direkte Demokratie. Sonst würde er nicht grundsätzlich gegen jede Volksinitiative vor Gericht gehen“, sagt Maura Weigelt von der Initiative. „Und dann urteilt das Hamburgische Verfassungsgericht so streng, dass Volksinitiativen faktisch keine Chance haben.“ Die Linken-Abgeordnete Heike Sudmann warf dem Senat vor, „seinen Kuschelkurs mit der profitorientierten Wohnungswirtschaft und windigen Investoren“ fortzusetzen und mit dem Gang vor das Verfassungsgericht vom eigenen Versagen abzulenken.

Mieten Hamburg: Hamburger Verfassungsschutz warnt vor Volksinitiative

Der Hamburger Verfassungsschutz warnte vor der Initiative „Hamburg enteignet e. V.“. Dahinter stehe unter anderem die „Interventionistische Linke“ (IL) – eine Gruppierung, die von den Verfassungsschützern als linksextremistisch und gewaltbereit eingestuft wird.

Der Senat jedenfalls hat jetzt beim Hamburgischen Verfassungsgericht beantragt, die nächste Stufe – das Volksbegehren – nicht durchführen zu lassen. Mit einem Urteil der Verfassungsrichter rechnet die Initiative in frühestens einem Jahr. Sie kündigte aber an, Aktionen für die Senkung der Mieten und gegen die profitorientierten Wohnungskonzerne fortzusetzen.