Hamburg. Bei der Europawahl wählten 16 Prozent der 16- bis 24-Jährigen die AfD. Rückt die Jugend nach rechts? Ein Hamburger Experte klärt auf.
Europa hat gewählt: Erstmals durften auch 16- und 17-Jährige ihr Kreuz machen. Alle Ampelparteien (SPD, FDP, Grüne) mussten Stimmen einbüßen – Union und AfD hingegen verzeichneten Gewinne. Die beiden Parteien landeten vor allem bei den 16- bis 24-Jährigen unter den ersten Plätzen: CDU/CSU mit 17 Prozent, direkt dahinter die Alternative für Deutschland mit 16 Prozent.
In Hamburg gaben rund 69.000 Wählerinnen und Wähler ihre Stimme bei der Europawahl der AfD. Warum haben im gesamten Bundesgebiet junge Menschen die Rechtsaußen-Partei gewählt? Der Hamburger Politikberater und Social-Media-Experte Martin Fuchs gibt Einblicke.
Europawahl: Politikberater ordnet AfD-Zuwachs bei jüngeren Wählerinnen und Wählern ein
„Für eine rechtsextremistische Partei sind 16 Prozent natürlich 16 Prozent zu viel“, betont der 44-Jährige, der gleichzeitig nicht zu viel Wirbel um das Thema machen möchte. Denn: „Junge Menschen haben in der Vergangenheit auch schon rechts gewählt, die Jugend ist jetzt nicht auf einmal rechts geworden.“ So gebe es einen strukturellen Rassismus und Antisemitismus, und „der ist in allen Schichten verbreitet – Populisten können die Angst vor dem Fremden sehr gut bedienen“, sagt Fuchs.
Die Partei rund um Co-Vorsitzende Alice Weidel ist vom Verfassungsschutz als rechtsextremer Verdachtsfall und in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen sogar als gesichert rechtsextrem eingestuft worden. Zum Plus von elf Prozent für die AfD der jüngeren Wählerschaft sagt der Hamburger: „Man sieht ein gesellschaftliches Abbild in der jüngeren Generation: Das, was ältere Menschen wählen, wählen auch junge Menschen.“
16- bis 24-Jährige sind bei Europawahl „bunter und experimentierfreudiger“
Zum anderen gebe es aber eine sehr breite Streuung in der Stimmvergabe, am meisten haben junge Leute für sonstige Parteien (28 Prozent) – zum Beispiel Volt – gestimmt. „Sie wählen viel bunter und experimentierfreudiger, und auch mal das, was in der deutschen Politiklandschaft wenig vorkommt“, betont der Blogger.
Allerding gebe es bei jungen Menschen oft den Wunsch, gegen die bestehende Regierung zu wählen. Heißt: „Aus Lust zur Provokation sind junge Menschen häufig gewillt, auch mal eine rechte Partei zu wählen.“ Außerdem sind junge Menschen seit einigen Jahren mit zahlreichen Krisen konfrontiert. Das habe mit der Finanzkrise angefangen, so Fuchs, gehe über Corona und Bildungspolitik bis hin zu Kriegen.
„Dabei beachtet die Politik oft nicht die Interessen junger Menschen, es wird über ihre Köpfe hinweg entschieden. Das führt zur Grundfrustration und zu der Annahme, dass alles den Bach runtergeht. Dabei gibt es keine realistischen Lösungsansätze der regierenden Parteien.“ Das verstärke das Gefühl, dass für die Veränderung etwas anderes gewählt werden müsse, so der 44-Jährige.
Europawahl: Junge Menschen geben ihre Stimme häufig an CDU und AfD – Grünen verlieren
Warum ist neben AfD, kleineren Parteien wie Volt und der Tierschutzpartei aber auch die Union so beliebt? „In einer Zeit der Verunsicherung, die auch durch Regierungspolitik erzeugt wird, hat die CDU es geschafft, sich wieder zu finden und als geschlossene Partei wahrgenommen zu werden“, so der Politikberater. Die CDU sei eine Partei, die Sicherheit ausstrahle, in der wenig Streit nach außen dringe. „Für junge Menschen, die nicht rechts wählen wollen, ist das attraktiv“, so Fuchs.
Die Grünen mussten herbe Stimmverluste der Wählerinnen und Wähler zwischen 16 und 24 Jahren hinnehmen. So war die Klimaschutzpartei bei der Europawahl 2019 noch Spitzenreiter – vor allem bei der jüngeren Wählerschaft. Jetzt entschieden sich elf Prozent der 16- bis 24-Jährigen für die Partei – ein Verlust von 23 Prozentpunkten.
Fuchs sagt dazu: „Medial haben wir oft ein falsches Bild der Generation Z, es wurde viel über Fridays for Future berichtet, das ist aber nur ein kleiner Teil junger Menschen.“ So müsse man sich von dem Gedanken verabschieden, dass alle jungen Menschen Klimaaktivisten seien. „Krieg, Krisen, Migration und wirtschaftliche Fragen überlagern aktuell Klimathemen“, so der 44-Jährige. „Den Grünen wird bei den aktuell relevanten Themen keine Problemlösungskompetenz zugeschrieben, deshalb wählen viel weniger junge Menschen die Partei“, sagt Fuchs.
Europawahl in Hamburg: Ist Plattform TikTok Treiber für Stimmgabe an AfD?
Warum landet aber nun die AfD nach CDU und den übrigen Parteien unter den ersten Plätzen bei den Jungwählern? Und inwieweit spielt TikTok eine Rolle? Die Alternative für Deutschland kann auf der Kurzvideoplattform große Reichweiten erzielen. Ein AfD-Beitrag wird laut Politikberater Johannes Hillje dort im Schnitt 430.000-mal angeklickt. Heißt: Diese Videos werden dreimal so häufig aufgerufen wie die von SPD, CSU, FDP und Linke – und das zusammengerechnet.
Die AfD-Fraktion kommt bei TikTok auf mehr als 435.000 Follower. Auch dem AfD-Spitzenkandidat für die Europawahl Maximilian Krah, der in Zukunft nicht Teil der AfD-Delegation sein wird, folgen mehr als 50.000 Menschen. Seine Videos mit den Titeln „Wir sind Deutsche“, „Die Ampel-Regierung hasst dich“ und „Grenzschutz statt Schleuser“ erhalten teilweise bis zu 300.000 Klicks. Der Clip „Junge Männer brauchen Ideale“ schauten 1,5 Millionen User.
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„Das sind natürlich Nonsens-Ideen, mit denen angebliche Lösungen präsentiert werden“, so Fuchs. Aber das mache es für junge Menschen einfach, so eine Partei attraktiv zu finden. Und: „Wenn eine Grundfrustration da ist, wenn man daran zweifelt, ob Demokratie die richtige Staatsform ist, dann kann man natürlich durch langfristig und kontinuierlich ausgespielte TikTok-Videos mobilisiert werden, eine populistische und rechtsextreme Partei zu wählen“, sagt der Politik-Experte. Aber: „TikTok ist nicht die Ursache dieser Wahlentscheidung, es ist wenn überhaupt ein Symptom, wo sichtbar wird, das Populisten erfolgreich sind, weil sie einfache Antworten haben, weil sie Menschen in ihrem Unbehagen mit der aktuellen Politik ernst nehmen.“
Bezirkswahlen in Hamburg: Angaben zur Stimmverteilung kommen erst im September
Ob die junge Wählerschaft auch in Hamburg bei den Europa- und Bezirkswahlen vermehrt bei Blau ihr Kreuz gemacht hat, zeigt sich erst im September. Dann sollen laut Meike Johannsen, Vorständin des Statistikamts Nord, in der repräsentativen Wahlstatistik Ausschluss über Alter und Geschlecht gegeben werden.
Werden die Stimmanteile in den Altersgruppen in der Hansestadt also ähnlich ausfallen? Bei den Bezirksergebnissen sehe man, dass Hamburg anders gewählt habe als Deutschland, sagt Fuchs. So sind die Grünen in einigen Bezirken stärkste Kraft, die AfD spiele eine kleinere Rolle in vielen Bezirken. Hamburg sei eine liberale und tolerante Großstadt. „Ich glaube dass die Zustimmungsraten für die AfD bei jungen Menschen geringer sein werden als im Bundesdurchschnitt“, betont der Social-Media-Experte.