Hamburg. Tiefe Einblicke in „gefährlich legale Gruppe“: Wer die Mitglieder sind, woher sie stammen, wie Grote das Strafrecht verschärfen will.
Im Innenausschuss der Bürgerschaft gab es jetzt tiefe Einblicke in Struktur und Hintergründe von Muslim Interaktiv. Hamburgs Innensenator Andy Grote (SPD), Polizeipräsident Falk Schnabel und weitere Polizeiführer informierten die Abgeordneten nicht nur über die Abläufe rund um die Genehmigung und Durchführung von zwei Demonstrationen von Muslim Interaktiv in Hamburg, sondern blickten auch in Agitationsweisen und Aufstellung der als islamistisch eingestuften Organisation hinein. Klar wurde, dass Muslim Interaktiv den Verantwortlichen der Sicherheitsbehörden mehr als Sorge macht. Besonders die hohe Reichweite, die die als eher klein eingeschätzte Gruppe bei jungen Muslimen hat, lässt die Alarmglocken schrillen.
„Gefährlich legal“, nennt LKA-Chef Jan Hieber die Gruppierung, die der Verfassungsschutz seit 2020 „auf dem Schirm hat“. „Ihr kontrolliert legalistisches Verhalten bewegt sich eng am Rand des rechtlich Machbaren“, so Hieber mit Blick auf die beiden Demonstrationen, die Muslim Interaktiv im Mai und im Juni in St. Georg organisiert hatte. Will heißen: Die Gruppierung achtet extrem darauf, nicht offensichtlich gegen Gesetze oder Auflagen zu verstoßen.
Muslim Interaktiv in Hamburg: Wie diese „gefährlich legale“ Gruppe tickt
Was Hieber geradezu beeindruckt, ist die Fähigkeit der Organisatoren, eine vierstellige Zahl von Demonstranten kontrollieren zu können. „Das ist ungewöhnlich“, so der LKA-Chef. Selbst, als sich Frauen als Gegendemonstranten unter die Versammlung mischten, habe es von den Teilnehmern keinerlei nennenswerte Reaktion darauf gegeben. „Das würde in keiner anderen Veranstaltung von Extremisten so passieren“, so Hieber.
Innensenator Grote (SPD) hatte im Ausschuss erklärt, der rot-grüne Senat setze sich dafür ein, Forderungen nach einem Kalifat oder der Scharia in Deutschland künftig unter Strafe zu stellen. Eine entsprechende Initiative habe er in die Innenministerkonferenz (IMK) eingebracht, so Grote. Die Idee sei, die in den Paragrafen 90a und 130 des Strafgesetzbuches geregelte Strafbarkeit der Verunglimpfung des Staates und seiner Symbole und der Volksverhetzung zu erweitern. So könnte es ermöglicht werden, „dass auch der bestraft wird, der zur Beseitigung und Ersetzung der verfassungsmäßigen Ordnung aufstachelt“, sagte Grote. Nichts anderes sei die Forderung nach einem Kalifat oder der Scharia.
Muslim Interaktiv gilt als „gesichert extremistisches Beobachtungsobjekt“
Interessant: Die Gruppierung Muslim Interaktiv, die nach Erkenntnissen der Sicherheitsbehörden der 1953 gegründeten islamistischen und in Deutschland verbotenen Organisation Hizb ut-Tahrir nahesteht, ist nicht groß. Die stellvertretende Leiterin des Amtes für Verfassungsschutz, Anja Domres, bezifferte die Personenzahl mit etwa 120, wobei lediglich 20 dem harten Kern zuzuordnen sind. Der Rest wird unter Sympathisanten verbucht.
Bei der Demonstration im Mai, bei der man sich gegen angeblich falsche und tendenziöse Berichterstattung wenden wollte, kamen aber laut Polizei 2300 Teilnehmer, ausschließlich Männer vor allem im Alter von 18 bis 35 Jahren. Viele, so wurde bekannt, stammen nach Einschätzung der Sicherheitsbehörden aus Hamburg und dem nahen Umland.
Muslim Interaktiv mobilisierte „gebildete“, junge Menschen mit „allen Teilhabe-Chancen“
„Wir haben es hier mit gebildeten Menschen zu tun“, so Domres. Es sind zu einem großen Teil Nachkommen von Einwanderern, die in zweiter oder sogar dritter Generation hier leben. Etwa 75 Prozent besäßen sowohl die deutsche, wie auch eine zweite Staatsbürgerschaft. Die meisten anderen haben nur einen deutschen Pass. Im Internet, dem Medium, das Muslim Interaktiv perfekt für seine Zwecke nutzt, unterhielten sich die Teilnehmer, so die Verfassungsschützerin, auf Deutsch. Es seien Menschen, die die Stationen der Integration durchlaufen und alle Teilhabe-Chancen hätten.
Im Netz sind es die Sozialen Medien, in denen sich Muslim Interaktiv tummelt. Es werden professionelle Videos produziert, die sich an junge Muslime richten. Die Botschaft: Muslime würden in Deutschland drangsaliert. Um dieses Opfer-Narrativ zu fördern, würden Konflikte wie der Krieg in Gaza instrumentalisiert, so heißt es aus den Sicherheitsbehörden. Die Themen fallen in Teilen der Zielgruppe auf fruchtbaren Boden.
Keine rechtliche Handhabe gegen Demonstration von Muslim Interaktiv
Dann gab es ein kleines Einmaleins für die Abgeordneten, die sich in der Bürgerschaft noch einen Schlagabtausch geliefert hatten, weil die von Muslim Interaktiv organisierten Demonstrationen hatten stattfinden können. Polizeipräsident Falk Schnabel betonte, dass Demonstrationen nicht genehmigt, sondern nur angemeldet werden müssten. Sie könnten nur eingeschränkt werden, wenn es „tatsächliche Anhaltspunkte“ für die Gefährdung der öffentlichen Sicherheit gegeben sind. Auch die Forderung nach einem Kalifat sei erst einmal eine Meinungsäußerung, die vom Grundgesetz gedeckt ist, was auch höchstrichterlich bestätigt wurde.
Bei der Anmeldung der Demonstrationen und den Kooperationsgesprächen hätten sich die Verantwortlichen von Muslim Interaktiv „ausgesprochen kooperativ“ verhalten. „Wir hatten keinerlei Grund, etwas anderes zu verfügen als das, was wir verfügt haben“, sagte der Chef der Schutzpolizei, Matthias Tresp, mit Blick auf die verfügten Auflagen zum Demonstrationsablauf.
Grote betonte, dass man die Versammlungsbehörde zuvor ermutigt habe, die angemeldeten Kundgebungen der Gruppierung restriktiv zu prüfen. Er tröstet sich damit, dass die zweite Demonstration mit 2300 Teilnehmern nach 34 Minuten beendet worden sei. „Man lehnt sich nicht zu weit aus dem Fenster, wenn man meint, dass es kein Erfolg für Muslim Interaktiv war“, findet Grote.
Forderung nach Kalifat: So will Hamburgs Innensenator Strafrecht verschärfen
Er konstatiert: „Wir sind in Hamburg an dem Punkt, wo man mit den rechtlichen Möglichkeiten nicht weiterkommt, um solche Demos zu verbieten.“ Und auch ein Verbot von Muslim Interaktiv als islamistische, verfassungsfeindliche Organisation sei „kein Selbstgänger“, weil sich die Gruppierung eben sehr legalistisch verhalte.
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Im Innenausschuss stellte Grote „Ideen“ in den Raum, das Strafrecht zu verschärfen. Er könne sich vorstellen, erklärte er den Abgeordneten, dass Gruppen wegen Volksverhetzung verantwortlich gemacht werden könnten, wenn sie zum „Hass gegen andere Gruppen oder die Mehrheitsgesellschaft“ aufforderten. Das sei aber ein „juristisch schmaler Grad“. Grote hält es für „prüfenswert“.
Von der IMK-Initiative erhoffe er sich diesen Prüfprozess, in dem auch andere Länder ihre Überlegungen einbringen könnten. „Es ist jetzt erst mal die Hamburger Initiative, und wir müssen sehen, dass wir da mehr Kollegen aus den Ländern und des Bundes mit an Bord kriegen.“