Hamburg. Andy Grote reagiert auf Messermord in Mannheim. Hamburger Verfassungsschutz warnt vor radikalen Islamisten. Deren Zahl steigt deutlich.

Sie werben öffentlich für ein Kalifat, lehnen die freiheitlich demokratische Grundordnung genauso ab wie den Staat Israel, fordern, das Grundgesetz durch die Scharia abzulösen – und sie werden immer mehr. Die Zahl der Islamisten, die der Hamburger Verfassungsschutz kennt, ist innerhalb eines Jahres von 1755 auf 1840 gestiegen. Das sagten Hamburgs Innensenator Andy Grote (SPD) und Nachrichtendienst-Chef Torsten Voß (CDU) am Montagmorgen, als sie den Verfassungsschutzbericht für das vergangene Jahr vorstellten.

Sie warnten – auch vor dem Hintergrund des Mordes an einem Mannheimer Polizisten an diesem Wochenende – vor islamistischen Gewalttätern. Menschen aus Syrien und aus Afghanistan – wie der Mannheimer Messerstecher – werden, egal welche Straftaten sie auch begehen, nicht in ihre Heimat zurückgeführt. Zum einen fehlt bislang der politische Wille, in Kriegs- oder Krisengebiete abzuschieben, zum anderen fehlt es an Flugverbindungen oder dem Interesse der Heimatländer, diese Menschen wieder aufzunehmen. Damit will Hamburgs Innensenator Andy Grote jetzt Schluss machen.

Andy Grote: Antrag auf Abschiebung von Straftätern

Der Sozialdemokrat hat einen Antrag für die nächste Konferenz der deutschen Innenminister vorbereitet, Verfassungsfeinde, Gefährder, Extremisten oder gewöhnliche Schwerverbrecher abschieben zu können. Ist das auf dem Luftweg weiterhin nach Afghanistan nicht möglich, will Hamburg auf dem Landweg im Zweifel über Pakistan abschieben.

Hamburgs Innensenator Andy Grote weiß Bundesinnenmisterin und Parteifreundin Nancy Faeser bei seinem Abschiebe-Antrag auf seiner Seite (Archiv).
Hamburgs Innensenator Andy Grote weiß Bundesinnenmisterin und Parteifreundin Nancy Faeser bei seinem Abschiebe-Antrag auf seiner Seite (Archiv). © picture alliance/dpa | Michael Reichel

Eine andere Abwägung als bislang sei nötig, so der Innensenator. „Es gibt Fälle, in denen das Sicherheitsinteresse Deutschlands wichtiger ist als der individuelle Schutz“ eines Straftäters vor Verfolgung in seinem Heimatland, sagte Grote dem Hamburger Abendblatt. Abschiebungen will Grote auch nach Syrien ermöglichen. Auf seiner Seite weiß Grote Bundesinnenministerin Nancy Faeser. Nötig ist noch die Unterstützung auch vom Auswärtigen Amt und Annalena Baerbock.

Hamburger Verfassungsschutz gibt Einblick in Beobachtung von Islamisten

Von den 1840 bekannten Hamburger Islamisten gelten mehr als 1500 als „gewaltorientiert“. Unter diesem Begriff fasst der Verfassungsschutz alle diejenigen zusammen, die gewalttätig, gewaltbereit oder gewaltbefürwortend auftreten. Die Beobachtung der islamistischen Szene war ein Schwerpunkt der Arbeit des Verfassungsschutzes im vergangenen Jahr.

Um sich einen möglichst genauen Überblick über die Islamisten zu verschaffen, die sich bei der Hizb ut-Tahir (HuT), in der Furkan-Gemeinschaft oder in der gesichert extremistischen Gruppierung „Muslim Interaktiv“ engagieren, setzt der Nachrichtendienst auf eine Spezialeinheit. Deren Hauptaufgabe besteht darin, im Internet islamistische Umtriebe aufzuklären, Anwerbungsversuche zu entdecken und potenzielle Gefährder zu erkennen. Mehr geben die Innenbehörde und der Verfassungsschutz zu diesen Spezialisten nicht preis. Eine vergleichbare Einheit setzt der Verfassungsschutz auch zur Bekämpfung des Rechtsextremismus in Hamburg ein. Insgesamt arbeiten 207 Aufklärer, Cyberexperten und Computerspezialisten für den Nachrichtendienst in Hamburg. Dass sind so viele wie zuletzt 1984 zu Zeiten des Kalten Krieges.

Überfall der Hamas lässt Zahl der Propagandadelikte in Hamburg steigen

Der Verfassungsschutz registrierte im vergangenen Jahr einen rapiden Anstieg der politisch motivierten Straftaten im Bereich „religiöse Ideologie“. Die explodierten regelrecht von 22 im Jahr 2022 auf 62. Viele dieser Straftaten waren Propagandadelikte. Als Erklärung für den starken Anstieg führt der Nachrichtendienst den Überfall der Hamas auf israelische Siedler, Partybesucher und Kibbuzbewohner an. Danach und nach der israelischen Reaktion ist es verstärkt zu pro-palästinensischen, antisemitischen und israelfeindlichen Protesten und Straftaten gekommen.

Verfassungsschutzchef Voß warnt, dass unter den gewaltorientierten Islamisten auch Hamburger seien, die den „militanten Dschihad zumindest billigen und mindestens mental auch den internationalen Terrorismus befürworten“. Sein Dienst hat vermehrt jüngere Männer ausgemacht, die wie „popkultureller Influencer“ gezielt versuchten, junge Muslime auf ihre Seite zu ziehen, die in Deutschland geboren wurden und aufgewachsen sind. Voß spricht von einer „extremistischen Indoktrination in Gestalt eines jugendlichen Lifestyles“. Zuletzt hatte die Versammlungsbehörde im April und Mai gleich zwei Aufmärsche dieser Islamisten unter strengen Auflagen am Steindamm genehmigen müssen, weil sie keine rechtliche Handhabe für ein Verbot entdeckte.

Grote erinnerte bei der Vorstellung des Berichts an die Durchsuchung des Islamischen Zentrums (IZH) an der Außenalster im vergangenen Jahr. Das IZH mit der Blauen Moschee gilt als „verlängerter Arm des Iran nach Norddeutschland“. Die Sicherheitsbehörden rechnen mit einem zeitnahen Verbot des „gesichert extremistischen“ Zentrums durch Bundesinnenministerin Nancy Faeser.

Das weiß der Verfassungsschutz über den Rechtsextremismus

Aus der Sicht von Grote und Voß stellt der Islamismus eine „besonders tödliche Ideologie und Gefahr dar“, dessen Anhänger zeichneten sich durch ein hohes Maß an Fanatismus und Gewaltbereitschaft aus. Allerdings sehen sie im Rechtsextremismus die größte Gefahr für die Demokratie, von innen ausgehöhlt und bekämpft zu werden. Die Radikalisierung der AfD setze sich in einigen Bundesländern ungebremst fort, warnte Grote. Auch gebe es ausreichend Hinweise, dass die Partei insgesamt verfassungsfeindliche Ziele verfolge. Trotzdem stelle die AfD in den östlichen Bundesländern Bürgermeister und Landräte. Und es bestehe die Gefahr, dass Björn Höcke in Thüringen an die Macht komme. Grotes Warnung: Menschen, die undemokratische Ziele verfolgten, würden in demokratische Ämter gewählt. Die Gruppe um Prinz Reuß habe gar einen Staatsstreich geplant. All das zeige, dass die freiheitlich-demokratische Grundordnung bedroht sei.

390 – so viele Hamburgerinnen und Hamburger hat der Verfassungsschutz als rechtsextrem identifiziert. 150 von ihnen gelten als gewaltorientiert. Die Zahl ist gegenüber dem Vorjahr nur leicht gestiegen. Die Zahl der Straftaten, die auf das Konto der bekannten Rechtsextremisten gehen, ist dagegen regelrecht explodiert: von 484 im Jahr 2022 auf 716. Darunter waren 55 Körperverletzungen oder ähn­liche Delikte. Viele der rechtsextremen Schläger und Schreihälse waren bei den Vorfällen betrunken.

Das weiß der Verfassungsschutz über den Linksextremismus

Die Zahl der Linksextremisten in der Stadt ist leicht rückläufig. Der Verfassungsschutz hat 1060 „auf dem Schirm“, die meisten sind Autonome und jünger als 30 Jahre. 137 Straftaten haben sie vergangenes Jahr begangen, mehr als im Jahr zuvor. Nicht ohne Belustigung beobachtet der Verfassungsschutz den Streit innerhalb der linksextremistischen Szene um den Umgang mit Israel. So hatten Personen aus dem „antiimperialistischen Spektrum“ zuletzt aus Protest gegen eine pro-israelische Haltung die Rote Flora „besetzt“. Hinterher habe die Flora die Schlösser austauschen lassen, amüsierte sich Voß.

Das weiß der Verfassungsschutz über weitere Deliktfelder

Ausspähung, Destabilisierung, Verbreitung von Fake News, Cyberspionage, digitale Angriffe auf die kritische Infrastruktur – die Attacken, mit denen der Verfassungsschutz zu tun habe, würden immer anspruchsvoller und aufwendiger, sagte Voß. Er macht neben Hackergruppen „fremde Staaten“ für die Angriffe im Netz verantwortlich – und nannte explizit Russland, China, Nordkorea und den Iran.

Die Zahl der Reichsbürger, Delegitimierer und Schwurbler ist mit etwa 350 stabil. So um die 20 von ihnen haben sich in Hamburg dem Fantasiestaat „Königreich Deutschland“ um „König Peter“ angeschlossen. Einige von ihnen kannte der Verfassungsschutz schon als Corona-Leugner. „Die Verrückten treffen sich immer wieder und überall“, kommentierte Torsten Voß.

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Innensenator Andy Grote nennt den Verfassungsschutz eine „Alarmanlage und gleichzeitig die erste Verteidigungslinie unseres gewollt als wehrhaft und streitbar ausgestalteten Grundgesetzes“, das vor wenigen Tagen den 75. Geburtstag feierte. Islamisten, Rechtsextremisten, Linksextremisten und Verschwörungsideologen bedrohten die demokratische Gesellschaft genauso wie aggressive Spionage- und Cyberattacken, so Grote. „Wir werden diesen inneren und äußeren Verfassungsfeinden auch künftig auf den Füßen stehen.“