Hamburg. Regierung und Opposition schenken sich nichts im Schlagabtausch zu Steindamm-Demos. Hat Rot-Grün alles Mögliche gegen Aufmarsch getan?
Stärker kann man sprachlich kaum eskalieren als am Mittwochnachmittag in der Hamburgischen Bürgerschaft. Da war die Rede auf der einen Seite von „schaurig-infernalistischen Islamistenaufzügen“, gar dem „Blick in den islamistischen Höllenschlund“ und einem „Armutszeugnis für den rot-grünen Senat“, auf der anderen Seite von „Populismus“ und „parteipolitische Spielchen“, „politischer Unanständigkeit“ und sogar „politische Niedertracht“. Was die Emotionen der Hamburger Parlamentarier so hochkochen ließ, waren die beiden islamistischen Demonstrationen, die die extremistische Gruppe „Muslim Interaktiv“ auf dem Steindamm organisiert hatten, und der Umgang der Hamburger Behörden damit. Die Bilder der Demonstranten, die das Kalifat in Deutschland forderten, waren um die Welt gegangen.
Die AfD hatte mit dem Titel der Debatte in der Aktuellen Stunde schon mal den Ton vorgegeben: „Hamburg im Würgegriff von Islamisten: Rot-Grün redet nur, handelt aber nicht!“ Und so erklärte deren Fraktionschef Dirk Nockemann die rot-grüne Integrationspolitik und ihre „Multikulti-Romantik“ für gescheitert im Angesicht eben jener „schaurig-infernalistischen Islamistenaufzüge“ auf dem Steindamm. „Das war ein demonstrativer Machtanspruch für ein Kalifat auf deutschen Boden“, so Nockemann. Er warf dem rot-grünen Senat Tatenlosigkeit vor. „Hamburg muss aufwachen, der Senat muss endlich handeln.“
CDU-Chef Thering: Hamburg tut zu wenig gegen Islamisten
Auch CDU-Fraktionschef Dennis Thering erklärte, „die islamistische Machtdemonstration muss auf den entschiedenen Widerstand der Politik treffen – und das passiert in Hamburg viel zu wenig“. Es habe Jahre gedauert, bis es eine parlamentarische Mehrheit für die Prüfung eines Verbots des Islamischen Zentrums Hamburgs (IZH) gegeben habe, Rot-Grün mache aus dem propalästinensischen Camp auf der Moorweide ein „Dauercamp“, noch kürzlich habe die Regierungsmehrheit den CDU-Antrag, ein Verbot von „Muslim Interaktiv“ zu prüfen, abgelehnt.
Vor allem aber: Die verbriefte Versammlungs- und Meinungsfreiheit dürften nicht dazu führen, „dass die freiheitliche Gesellschaft und das Grundgesetz infrage gestellt werden“. Die Versammlungsbehörde habe erst auf Druck von außen bei der zweiten Islamisten-Demonstration Auflagen verfügt. „Der Senat handelt immer nur auf Druck“, so Thering. „Der Rechtsstaat muss sich wehren, und das mit aller Härte.“ Grote warf er vor, „nicht den Mut aufgebracht“ zu haben, die Demonstrationen ganz zu untersagen.
FDP-Abgeordnete Treuenfels: Rot-Grün wartet wie immer ab
Viel zu lange habe der Senat über das Problem hinweggeschaut, meinte auch die FDP-Abgeordnete Anna von Treuenfels-Frowein. „Das, was wir in den letzten Wochen auf dem Steindamm erlebt haben, das ist die bittere Konsequenz.“ Und weiter: „Das IZH ist nach vielen Jahren der Beobachtung und islamistischen Einordnung durch den Verfassungsschutz immer noch nicht durch die SPD-Bundesinnenministerin verboten, der islamistische Verein ‚Muslim Interaktiv‘ auch nicht. Anstelle sich in Berlin dafür aktiv einzusetzen, wartet in Hamburg Rot-Grün wie immer ab.“
Gegen diese Vorwürfe verwahrte sich Innensenator Andy Grote (SPD) auf das Entschiedenste. Der Kern seiner Argumentation: Die Versammlungsbehörde habe alle rechtsstaatlichen Möglichkeiten, die Islamisten-Demos zu verbieten, intensiv geprüft; dieses sei aber nicht möglich gewesen. „Der Rechtsstaat muss sich an seine eigenen Regeln halten“, so Grote. Extremismus per se sei nicht verboten, solange keine Straftaten verübt würden. Das Grundgesetz schütze ausdrücklich auch Meinungen, die nicht mit dem Grundgesetz vereinbar seien. „Was das Grundgesetz erlaubt, kann die Versammlungsbehörde nicht verbieten.“ Und: „Die Politik steht nicht über dem Recht“, das müsse auch die CDU akzeptieren.
Innensenator Grote: Kritik an Versammlungsbehörde „politisch unanständig“
Gegen sie und vermutlich auch die AfD richtete sich Grotes Kritik: Es sei „politisch unanständig“, der Versammlungsbehörde vorzuwerfen, sie würde nicht alle rechtsstaatlichen Möglichkeiten prüfen“, und sogar „politisch niederträchtig, der Polizei ständig in den Rücken zu fallen und die Versammlungsbehörde zum Rechtsbruch aufzurufen“ – nämlich zu einem Verbot der Islamistendemos. „Sie akzeptieren den Rechtsstaat nur, wenn Ihnen das Ergebnis in den Kram passt.“
Schützenhilfe hatte der Innensenator bereits zuvor von Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) erhalten. Der Senatschef hatte sich hinter die Versammlungsbehörde gestellt und pauschale Forderungen nach einem Verbot solcher Kundgebungen zurückgewiesen. Maßstab für ein Demonstrationsverbot sei nicht die Politik, sondern das Gesetz, sagte er vor der Sitzung der Deutschen Presse-Agentur. „Das Grundgesetz und das Versammlungsrecht ermöglichen auch Demonstrationen, deren Forderungen der freiheitlichen Demokratie widersprechen. Deshalb können linksextreme, rechtsextreme und auch islamistische Versammlungen oft nicht untersagt werden.“
Bürgermeister Peter Tschentscher mischt sich in Debatte ein
Die freiheitlich-demokratische Grundordnung schütze in vielen Fällen auch ihre Gegner. „Der Kampf gegen Extremismus muss daher auch in der Gesellschaft geführt werden: im persönlichen Umfeld, am Arbeitsplatz, im Verein und auch in den Moscheegemeinden“, sagte der Bürgermeister. Vorwürfe der Opposition, der rot-grüne Senat würde dem Treiben der Islamisten tatenlos zusehen, weil er die Kundgebungen nicht unterbunden habe, wies Tschentscher zurück. „Die Hamburger Polizei und unsere Sicherheitsbehörden machen einen guten Job. Wer sie zu einem rechtswidrigen Vorgehen auffordert, spielt mit dem Feuer und gefährdet den Rechtsstaat.“
Tschentscher warnte auch vor einer Einschränkung der Meinungs- und Versammlungsfreiheit, die eine wichtige Säule des Grundgesetzes darstelle. „Der Rechtsstaat hat andere Instrumente, um gegen Extremismus und verfassungsfeindliche Tendenzen vorzugehen, die wir konsequent nutzen müssen. Der Ausschluss der NPD von der Parteienfinanzierung, die Beobachtung der AfD durch den Verfassungsschutz und die Verurteilung von Herrn Höcke wegen Nazi-Parolen sind hierfür gute Beispiele.“
Innensenator Grote bringt Gesetzesänderung ins Spiel
Linken-Fraktionsvorsitzende Cansu Özdemir warf der AfD indes vor, das Problem des Islamismus für eine Spaltung der Gesellschaft zu nutzen. „Die AfD instrumentalisiert Islamisten, um gegen friedlich lebende Muslime zu hetzen.“ Zugleich werde die so provozierte Islamfeindlichkeit von den Islamisten instrumentalisiert
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Trotz Dissens über die Frage, ob Hamburgs Behörden genug gegen islamistische Umtriebe tun, waren sich unter dem Strich doch alle Fraktionen einig, dass Hamburg ihnen mit aller Entschiedenheit entgegentreten müsse. Bei der Schärfe der Verbalattacken gingen nachdenklichere Töne fast unter: Man könne überlegen, das Strafrecht anzupassen und eine Forderung nach eines Kalifats in den Tatbestand von Volksverhetzung und das böswillige Verächtlichmachen der verfassungsmäßigen Ordnung der Bundesrepublik Deutschland aufzunehmen, sagte Innensenator Grote. Bürgerschaftsabgeordnete der Linken und der SPD warben für Präventionsprogramme, die unter anderem an den Schulen ansetzen, um Jugendliche vor islamistischer Indoktrination zu schützen.
Bürgerschaft: Rot-Grün lehnte Antrag auf Verbot von „Muslim Interaktiv“ kürzlich ab
In den vergangenen Wochen hatten zwei Kundgebungen aus dem Umfeld der vom Verfassungsschutz als gesichert extremistisch eingestuften Gruppe „Muslim Interaktiv“ über die Stadtgrenzen hinaus für Empörung gesorgt. Bei der ersten Demonstration waren Ende April auch Rufe nach einem Kalifat laut geworden. Die zweite Kundgebung fand am vergangenen Sonnabend unter scharfen Auflagen statt.
Erst kürzlich war die CDU mit einem Antrag auf ein Verbot von „Muslim Interaktiv“ in der Bürgerschaft an der rot-grünen Regierungsmehrheit gescheitert. Ein Verbot des IZH, des Islamischen Zentrums Hamburg, das die Blaue Moschee an der Alster betreibt und vom Verfassungsschutz als Außenposten der iranischen Regierung gesehen wird, wird von der Opposition seit Langem gefordert – inzwischen auch von Rot-Grün. Ein entsprechendes Prüfverfahren läuft seit geraumer Zeit im Bundesinnenministerium.