Hamburg. Statt großer Liebe kam finanzieller Ruin: Frau wurde um 100.000 Euro betrogen. Was sie erlebt hat, wie die Betrugsmasche funktioniert.

  • Hamburgerin hofft auf Liebe, doch sie soll immer nur zahlen
  • Lovescamming: Wie die üble Betrugsmasche funktioniert
  • Zahl der Fälle in Hamburg steigt an

„Du gefällst mir. Ich möchte dich kennenlernen.“ Die Nachricht, die Beate Meier bekam, wärmte ihr das Herz. Da war ein Mann, der sich für sie interessierte, der eine gemeinsame Zukunft in Aussicht stellte. Und der schließlich schwärmte: „Du bist die Frau meines Lebens.“ Doch nach dem Hochgefühl kam die abgrundtiefe Enttäuschung. Und mit ihr der finanzielle Ruin – und sogar Todesangst. Denn der 58-Jährigen wurde gedroht, sie würde „elendig sterben“.

Die Drohung, sie umzubringen, war der kriminelle Höhepunkt einer Betrugsmasche, deren Ziel es war, immer mehr Geld von der Hamburgerin zu erpressen. „Mir wurde ganz übel mitgespielt – bis ich nicht mehr konnte“, sagt Beate Meier. Der Name des abgefeimten Komplotts, dem sie zum Opfer fiel: Love-Scamming. Unter dem Deckmantel der Liebe werden Menschen beim Love-Scamming über das Internet und soziale Medien angelockt, Kontakte aufgebaut, eine emotionale Nähe vorgespielt und sehr schnell Zukunftspläne geschmiedet. Durch einen intensiven Austausch meist über Messengerdienste binden die Täter ihre Opfer emotional so eng an sich, dass diese sich bereit erklären, immer wieder Geld zu zahlen. Sie glauben, sie investierten in eine gemeinsame Zukunft. Doch statt eines Lebens auf Wolke sieben droht ihnen ein Desaster – finanziell und emotional.

Love-Scamming: Wie eine Hamburgerin unter einem Liebesschwindler litt

Denn in der Regel existiert die Person, der sie ihr Herz geöffnet haben, gar nicht. Es ist ein Fake, geschickt zusammengesetzt aus attraktiven Fotos und raffiniert an die Vorlieben der Chatpartner angepasste Lebensläufe. So wird vorgegaukelt, dass man den idealen Partner fürs Leben gefunden habe. Fast zu schön, um wahr zu sein. Und tatsächlich folgt meist ein ganz böses Erwachen. In der Realität stecken hinter den gefühlvollen Mails und einschmeichelnden WhatsApp-Chats häufig skrupellose Täter, die systematisch auf Opfersuche sind. Wie man sich vor der Betrugsmasche schützen kann, erklärt die Polizei.

Beate Meier hat nach und nach etwa 100.000 Euro gezahlt. Jahrelang überwies sie immer wieder meist vierstellige Beträge, auch mal eine fünfstellige Summe, weil sie glaubte, der Mann ihrer Träume sei in Not, und sie könne ihm helfen. Die ersten Zahlungen leistete sie leichten Herzens. „Ich fühlte mich geschmeichelt“, sagt sie. Und: „Ich war verliebt.“ „Harrison“, der Mann, mit dem sie so intensiv kommunizierte, erklärte, dass er sie heiraten wolle. Später, als ihr Geld zur Neige ging und sie sich schwertat mit weiteren Überweisungen, wurde der Hamburgerin gedroht, dass sie sich strafbar gemacht habe und man die Macht habe, sie ins Gefängnis zu bringen.

Sie zahlte weiter, jetzt nicht mehr aus Liebe, sondern aus Furcht. Schließlich die nächste Eskalation: „Mir wurde gedroht, dass ich vergiftet werden soll.“ Auch ihre Angehörigen seien in Gefahr. Um den Druck zu erhöhen, wurden der 58-Jährigen schließlich Fotos von grausig zugerichteten Leichen zugesandt. Damit sollte wohl suggeriert werden: Dieses Schicksal blüht dir, wenn du nicht spurst. So wirst auch du enden. Tot, an irgendeinem abgelegenen Ort. Entsorgt wie Müll.

Hamburger Betrugsopfer vertraute sich nicht einmal der engsten Familie an

Die schaurigen Bilder, die Beate Meier auf ihr Handy geschickt wurden, haben die Frau in große Angst versetzt. Sie fühlt sich nicht mehr sicher. Nicht, wenn sie auf dem Weg zur Arbeit ist, auch nicht wirklich in ihren eigenen vier Wänden. Deshalb wird in dieser Geschichte auch nicht ihr wirklicher Name genannt, und ihr ist wichtig, dass sie auf Fotos für niemanden erkennbar ist. Sie will diese Anonymität für ihren Schutz – aber auch aus Scham. Keiner soll wissen, wer die Frau ist, die da so gnadenlos abgezockt wurde. Nicht einmal ihren engsten Familienmitgliedern, erzählt die Hamburgerin, habe sie sich anvertraut. Allein eine Kollegin hat sie eingeweiht.

Wer Beate Meier in ihrer Wohnung im Hamburger Nordosten besucht, erlebt eine bodenständige Frau mit grauem Haar und freundlichem Blick, die um Contenance bemüht ist. Das aufgeräumte Zuhause, die sorgfältig arrangierten Familienfotos, die gemütliche Sofaecke: Nichts soll darauf hindeuten, in welchem Gefühls-Chaos sich die 58-Jährige befindet. „Es war furchtbar. Es ging mir wirklich richtig schlecht“, sagt sie. Das tiefste Tal habe sie mittlerweile überwunden, jetzt versuche sie „einen Neuanfang. Aber das ist schwer für mich.“ Es sei schwierig, überhaupt noch jemandem zu trauen. Auch finanziell sei sie am Boden, könne sich kaum noch etwas leisten. Und daran, mal in den Urlaub zu fahren, sei schon lange nicht mehr zu denken.

Dass Beate Meier für ihre vermeintlich große Liebe ihre Konten bis an die Schmerzgrenze und darüber hinaus geplündert hat, ist bei der Betrugsmasche Love-Scamming keine Seltenheit. „In der Spitze werden Opfer im Einzelfall um bis zu 150.000 Euro betrogen“, ist die Erfahrung von Carsten Schott. Schott betreut bei der Opferorganisation Weisser Ring unter anderem Frauen und Männer, die durch Love-Scamming extrem geschädigt wurden, aber auch weitere Opfer von Straftaten, insbesondere Betrugsdelikte wie unter anderem „Enkel-Trick“ oder „Falsche Polizisten“. Bis zu seiner Pensionierung im Juli 2022 war Schott Dienststellenleiter des LKA 43, zu dem auch das Sachgebiet gehört, welches unter anderem den Lovescam bearbeitet.

Love-Scamming: Opfer werden materiell und auch psychisch geschädigt

„Seit Corona steigen die Zahlen und damit auch die Schadenssummen in Hamburg kontinuierlich an“, ist Schotts Erfahrung. Hochburgen des Love-Scammings sind nach Erkenntnis von Ermittlern die afrikanischen Länder Ghana, Nigeria und Kenia, wo die Betrüger häufig mithilfe von Google-Translator Sprachbarrieren überwinden, um in einen intensiven Austausch mit ihren Opfern zu kommen — und schließlich mit erfundenen Geschichten von angeblichen Schicksalsschlägen deren Geld abzocken. Die Opfer würden nicht nur materiell, sondern auch psychisch geschädigt, sagt Schott.

Heimtückisch sei diese Betrugsmasche vor allem deshalb, weil die Betroffenen „sich aus tiefer Scham nicht an Freunde und Bekannte wenden können, um Hilfe einzufordern. Die Opfer sind regelhaft allein gelassen. Sie vermeiden es, vor sich selbst und insbesondere vor anderen Personen und Institutionen den Betrug an sich einzugestehen“. Aus seiner früheren polizeilichen Tätigkeit und aktuell durch die Arbeit im Weissen Ring seien ihm mehrere Fälle bekannt, in denen die Opfer über fünf bis zehn Jahre von den Tätern, teilweise in wechselnder Tatbeteiligung, kontaktiert und immer wieder massiv unter Druck gesetzt wurden. „Die Opfer waren machtlos, konnten sich nicht befreien beziehungsweise von den Tätern lösen und wurden bis auf den letzten Cent ausgeplündert.“

Polizei Hamburg: Bei den Opfern von Love-Scamming gibt es vermutlich hohe Dunkelziffer

Wie hoch der Schaden ist, den die Täter allein in Hamburg verursachen, zeigen Daten der Polizei. Zwar werde eine Statistik allein zum Thema „Love-Scamming“ nicht geführt, hieß es auf Anfrage. Eine separate Auswertung der Polizei zu dieser Betrugsmasche für das Jahr 2022 hat jedoch eine Zahl von rund 140 Fällen ergeben, bei denen die Täter gut 100-mal – aus deren Sicht – erfolgreich waren. Insgesamt entstand den Geschädigten dadurch allein ein wirtschaftlicher Schaden von etwa 2,9 Millionen Euro. Eine gesonderte Auswertung für das Jahr 2023 hat eine gleichbleibende Tendenz zu 2022 ergeben. Hier belief sich der Gesamtschaden für die Geschädigten auf rund 1,9 Millionen Euro.

Dabei gehe das Landeskriminalamt „von einer nicht unerheblichen Dunkelziffer aus“, teilte ein Polizeisprecher mit. Üblicherweise seien die Opfer, Frauen ebenso wie Männer, emotional sehr verletzt. Es dauere zum einen sehr lange, bis die Betroffenen realisieren, dass sie betrogen wurden. Zum anderen trauten sich die Opfer möglicherweise aus Scham häufig nicht, mit Behörden über den Sachverhalt zu sprechen. Nicht selten würden Taten erst durch die Initiative von Bekannten oder nahen Verwandten bekannt und angezeigt.

Love-Scamming: Es meldete sich ein „General von den amerikanischen Streitkräften“

Im Fall von Beate Meier war sie selbst es, die schließlich zur Polizei ging und Anzeige erstattete – und dann auch den Kontakt zum Weissen Ring vermittelt bekam. Zu dem Zeitpunkt, als sie sich an die Polizei wandte, war der Kontakt zu dem angeblichen Traummann bereits seit sechs Jahren Teil ihres Lebens.

Nachdem 2013 ihr Mann verstorben war, meldete sie sich etwa ein Jahr später bei Facebook an. Es dauerte nicht lange, da wurde sie von jemandem angeschrieben, der sagte, er sei General bei den amerikanischen Streitkräften und in Syrien stationiert. Ihr Lächeln gefalle ihm. Er flirtete mit ihr, hielt engen Kontakt. „Wir haben viel gechattet“, erzählt Beate Meier. So wurden die Nachrichten dieses Mannes schon bald ein fester Bestandteil ihrer Tage. „Er schrieb unter anderem: Schick mir Geld, dann komme ich zu dir“, erinnert sich Beate Meier. Und es dauerte nicht lange, bis er sie fragte, ob sie ihn heiraten wolle. Er lockte: „Dann kommst du zu mir nach Amerika.“ Und dass sein Sohn sich auf eine neue Mutter freue: auf sie.

Der so überraschend schnell so vertraute Umgang mit ihrem Facebook-Freund und die Aussicht auf ein neues Leben mit Mann und Kind taten der Hamburgerin gut. Und als „der „General“ sie bat, einen Koffer, in dem angeblich ein Millionenbetrag verstaut war, für ihn zu verwahren, „fühlte ich mich geschmeichelt“, erzählt Beate Meier. Sie wertete es als Zeichen, dass ihr amerikanischer Bekannter ihr bedingungslos vertraue. Auch als eine Mail vermeintlich vom Zoll kam, in der sie aufgefordert wurde, für den Koffer mit dem vielen Geld eine Gebühr von 5000 Euro zu zahlen, wurde sie nicht misstrauisch.

Opfer sagt, sie fühlte sich „geschmeichelt“ und schickte immer wieder Geld

Mit ihrer Überweisung solle der Koffer, der angeblich im syrischen Damaskus festhing, „ausgelöst werden“. „Ich teilte mit, dass ich die Summe nicht aufbringen kann.“ Doch irgendwann transferierte sie doch das Geld, unter anderem über einen amerikanischen Anbieter für Auslandsüberweisungen. Danach schickte sie noch mehrfach hohe Beträge. Doch wie viel sie auch zahlte: Es schien nie genug. „Ich habe immer geguckt, wann ich etwas schicken kann“, sagt die 58-Jährige. „Ich wollte diesem Mann helfen, dass er sein Hab und Gut bekommt.“

Schließlich, so schildert es die Hamburgerin, habe sich ein „britischer Diplomat“ eingeschaltet, der sie dabei unterstützen wolle, den Koffer auszulösen. Wie die Geschichte weiterging? Angeblich kommt es zu immer weiteren Problemen mit dem Zoll, mehrere Personen nehmen Kontakt auf, um das im Nirgendwo gestrandete Gepäck doch noch glücklich zu seinem Eigentümer zu bringen. Und Beate Meier müsse für alle Unkosten aufkommen. Denn ihr Liebster, so hieß es, sei mittlerweile bei einem Bombenanschlag umgekommen. Nun sei sie erst recht in der Verantwortung, sich um das Gepäckstück zu kümmern.

Opfer erhielt Drohungen, man könne sie ins Gefängnis bringen

Sie habe sich in Bedrängnis gefühlt und weiter Geld überwiesen, erzählt die Hamburgerin. Der Druck habe sich noch erhöht, als man sie nun der Geldwäsche bezichtigt habe und ihr drohte, sie komme ins Gefängnis, wenn sie nicht weiter hohe Summen überweise. Schließlich hätten ihre Kontakte per Mail und WhatsApp angekündigt, sie würde getötet, wenn die Zahlungen nicht weiterfließen. Auch ihre engsten Familienangehörigen seien in Gefahr. Da erreichten sie Schockfotos von geschändeten Leichen. Damals traute sich die Hamburgerin kaum noch aus dem Haus. Ein sorgenloses Leben, wie sie es gekannt hatte, war für Beate Meier nicht mehr möglich.

Würde sie im Gefängnis landen? Würde man sie sogar töten und ihre Leiche irgendwo an einem abgelegenen Ort entsorgen? Sie zahlte weiter. „Irgendwann war mein Konto so sehr überzogen, dass es gesperrt wurde.“ Ihr Gehalt, das sie für ihre Arbeit in einer technischen Firma bezog, sei gepfändet worden. „Ich hatte jetzt nur noch 300 Euro im Monat zur Verfügung.“

Fieser Betrug: Sie zahlte so viel Geld, dass die Bank schließlich ihr Konto sperrte

Nun endlich ging Beate Meier zur Polizei. Und dort erfuhr sie, dass sie Opfer einer Betrugsmasche wurde. „Love-Scamming“ wurde ein Begriff, den sie nun öfter hören sollte. Ihr Leidensweg hatte einen Namen. „Beim Landeskriminalamt erzählte man mir, dass die Täter vor allem in Ghana sitzen. Man sagte mir: ,Die sind nicht hier. Die wissen nicht, wo Sie wohnen oder arbeiten. Die tun Ihnen nichts.‘“ Über das LKA bekam die Hamburgerin auch Kontakt zum Weissen Ring. Und dort zu Carsten Schott, jenem Mitarbeiter der Opferschutzorganisation, der sich aus seiner Zeit bei der Polizei mit den besonderen Maschen von Betrügern auskennt.

Schott hat häufiger erlebt, dass Opfer sich auch über längere Zeit, teilweise über Jahre, nicht von den Tätern lösen konnten. „Bemerkenswert ist die Tatsache, dass die Opfer eigentlich genau wussten, dass sie betrogen werden. Trotzdem gelang es ihnen nicht, zum Beispiel Mails der Täter ungelesen zu löschen. Einige verharrten immer wieder in sogenannten Dauerschleifen. Immer wieder wurden sie schwach und lasen die Mails der Täter, antworteten sogar und überwiesen im schlimmsten Fall Geld.“

Love-Scamming: Angeblich war schon eine Killerin auf dem Weg

In einem sehr spektakulären Fall, so erinnert es Schott, „war die betroffene Frau nicht davon zu überzeugen, dass Drohungen per Mail nur Fiktionen sind. Die Täter forderten weiter Geld, ansonsten würde ihrer Familie etwas geschehen. Eine Killerin aus den USA sei schon auf dem Weg.“

Das Opfer sei nun „in Panik geraten und war vollkommen handlungsunfähig“, erzählt der frühere Polizist. „Gemeinsam mit dem LKA 43 wurde der Sozialpsychatrische Dienst angefordert, und das Opfer willigte einer Einweisung in eine psychatrische Klinik ein. Dort kam sie endlich zur Ruhe.“

In seiner Zeit beim Weissen Ring hat sich Schott sehr engagiert um weitere Betroffene von „Love-Scamming“ gekümmert. Teilweise dauere die Betreuung mehrere Monate, erzählt der ehrenamtliche Mitarbeiter der Opferschutzorganisation. „Und es ist abschließend immer fraglich, ob die Opfer nicht doch wieder Kontakt der Täterseite zulassen.“

Love-Scamming: Für Opfer ist Kontaktabbruch wie eine Scheidung

Man dürfe eines nicht vergessen: Für die Opfer ist die anfängliche Romanze zu dem Täter oder der Täterin ein Teil ihres Lebens. Der komplette Alltag wird auf die Kontakte zu den Tätern ausgerichtet. Die „Beziehung“ abzubrechen käme einer „Scheidung gleich. Und das Opfer wäre wieder allein.“ Davor hätten die Betroffenen Angst.

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Beate Meier betont, sie wolle „einen Schlussstrich ziehen“. Sie wisse nun, dass die Täter im Ausland sind „und mein Leben nicht bedroht ist“, sagt die Hamburgerin. „Der Neuanfang war für mich schwer, vor allem finanziell.“ Ja, sie müsse auf vieles verzichten. „Aber mittlerweile komme ich ganz gut klar. Solange ich die Miete noch zahlen kann....“ Wenigstens das ist ihr geblieben: ihr Zuhause.