Hamburg. Leeres Konto statt großer Liebe: Bei dieser Masche binden die Täter ihre Opfer emotional so innig an sich, dass diese zahlen.

Irgendwann war die Stille bedrückend. Die Einsamkeit nicht mehr zu verleugnen. Es war die Hoch-Zeit von Corona, durch die Pandemie waren viele Kontakte abgebrochen. Friedrich Lange spürte, dass er gern jemanden zum Reden hätte — vielleicht auch für eine gemeinsame Zukunft. „Weil ich so viel von Kontaktportalen im Internet gehört hatte, dachte ich: Guck mal rein!“, erzählt der 68-Jährige. „Ich dachte: Ich schau mal, was es so gibt.“

Dann kam Anna. Sie war einer der ersten Kontakte, der auf LoveScout 24 aufpoppte. Und sie schien die Richtige zu sein. Eine Frau mit offenem Blick und freundlichem Lächeln. Eine Frau zum Gernhaben. Und es stellte sich schnell heraus, dass sie dieselben Interessen hatte. Ein Glücksfall. Anna schien fast zu gut, um wahr zu sein.

Love-Scamming: Opfer wurde gnadenlos ausgenutzt

Tatsächlich ist nichts an Anna wahr. Es gibt diese Person überhaupt nicht. Sie ist eine Erfindung, ein Fake, zusammengewürfelt vermutlich aus Fotos, wie es sie zuhauf im Internet gibt, und einer willkürlich erdachten Vita.

Wahr ist aber, dass eine Person, die sich als Anna ausgab, Friedrich Lange um sehr viel Geld gebracht hat — und an den Rand der Existenznot. „Ich hätte mir das nie träumen lassen, dass meine Gutmütigkeit so ausgenutzt wird“, sagt der 68-Jährige. „Und dass auch meine Gefühle so erbarmungslos ausgenutzt werden. Ich fühle mich menschlich zutiefst enttäuscht.“

Hochburgen sind Ghana, Nigeria und Kenia

„Love-Scamming“ heißt die Masche, mit der Betrüger über intensiven Austausch im Internet ihre Opfer emotional so innig an sich binden, dass diese bereit sind, hohe Beträge zu zahlen. Die Frauen und Männer glauben, sie investierten in eine gemeinsame Zukunft. Doch an den „Partnern“, mit denen sie sich über Messangerdienste austauschen, ist nichts real. Es ist sehr gut möglich, dass die Frau, die Friedrich Lange von den Fotos so gern hatte, gar nicht weiß, dass ihre Bilder für einen Betrug missbraucht wurden. Hinter der perfiden Masche stecken häufig Täter, die systematisch auf Opfersuche sind und mitunter Bilder aus dem Internet für ihre Zwecke nutzen.

Hochburgen des Love-Scammings sind nach Erfahrung von Ermittlern die afrikanischen Länder Ghana, Nigeria und Kenia, wo die Betrüger häufig mithilfe von Google-Translater Sprachbarrieren überwinden, um in einen intensiven Austausch mit ihren Opfern zu kommen — und schließlich mit erfundenen Geschichten von angeblichen Schicksalsschlägen deren Geld abzocken.

Love-Scamming schädigt Opfer auch emotional

So wie bei Friedrich Lange. Der Rentner hat geglaubt, dass er diese Anna, die er wirklich sehr mochte und der er vertraute, in einer wirtschaftlichen Notlage unterstützt. Er hat ihren Versprechen vertraut, dass er sein Geld zurückbekommt, wenn sie aus ihrem finanziellen Tal wieder herauskommt. Deshalb hat er im vergangenen Jahr immer wieder vierstellige Beträge überwiesen, zwischen März und September insgesamt 54.315 Euro. Heute ist dem Mann klar, dass er sein Geld sehr wahrscheinlich nie wieder sehen wird. Und das bringt ihn zur Verzweiflung.

Friedrich Lange ist nicht der richtige Name des Rentners. Er möchte anonym bleiben. Er möchte aber seine Geschichte erzählen und damit helfen, andere potenzielle Opfer zu warnen. Damit nicht auch andere auf die Betrugsmasche hereinfallen, die Ermittler als „besonders heimtückische Kriminalität“ bezeichnen. Weil Love-Scamming die Opfer nicht nur finanziell schädigt, sondern auch emotional. So wie es Friedrich Lange widerfuhr. Er spricht von „widerwärtigen Spielereien mit den Gefühlen von einsamen Menschen“ und der „daraus „resultierenden gnadenlosen Abzocke“.

„Ich glaube an das Gute im Menschen"

Er sei „von Haus aus ein hilfsbereiter Mensch“, erzählt der Mann, der früher als Industriekaufmann gearbeitet hat. „Ich glaube an das Gute im Menschen. Ich hätte es nie für möglich gehalten, dass jemand so abgefeimt sein und einen anderen so gnadenlos betrügen kann.“

Wer Friedrich Lange in seinem Zuhause in einer Kleinstadt bei Hamburg besucht, erlebt einen freundlichen Mann in einer Wohnung voller Erinnerungsstücke an schöne Erlebnisse. Wie Fremdkörper wirken da die Aktenordner, in denen er jene Dokumente gesammelt hat, die für einen zutiefst traumatischen Lebensabschnitt stehen. Monate, in denen sein Dasein radikal umgekrempelt wurde. Er, der früher in bescheidenen, aber geordneten wirtschaftlichen Verhältnissen lebte, hat Angst, dass er womöglich seine Wohnung nicht wird behalten können. „Fast meine gesamten Rücklagen sind weg“, erzählt der Rentner.

Opfer in "psychologischer Behandlung"

Der 68-Jährige spricht von „drückenden finanziellen Sorgen: „Früher konnte ich mir auch mal Blumen für den Balkon leisten oder ein Stück Fisch zum Mittagessen. Jetzt muss ich jeden Cent dreimal umdrehen.“ Verändert habe sich nicht nur seine finanzielle Situation, sondern vor allem sein Gemüt. „Ich bin nicht mehr der fröhliche Mensch, der ich mal war“, sagt er. „Ich bin auch misstrauischer geworden. Diese Enttäuschung hat mich so sehr verletzt. Ich muss permanent darüber nachdenken.“ Außerdem habe er gesundheit­liche Probleme entwickelt, insbesondere Magenprobleme.

„Und ich bin in psychologischer Behandlung. Wenn ich meine Sorgen mit der Psychologin bespreche, geht es einigermaßen. Wenn ich danach aber wieder allein bin, stürzt alles auf mich ein.“ Friedrich Lange hat sehr gute Freunde eingeweiht, was ihm angetan wurde, und seine Familie. Es hilft, darüber zu reden, sagt er. Aber keiner aus seinem engsten Umfeld kann ihm finanziell helfen. Sie kommen selber gerade eben so zurecht.

„Ich mochte auch ihre Art, sich auszudrücken“

An den Tag, als er „Anna“ auf der Internet-Plattform „LoveScout 24“ fand, erinnert sich Friedrich Lange noch genau. Das Foto, das eine Frau mit dunklen Augen und nettem Lächeln zeigt, gefiel ihm sofort. Er meldete sich bei ihr. „Ich mochte auch ihre Art, sich auszudrücken“, schildert er. Anna schrieb, sie sei 55 Jahre alt und alleinstehend. Ihr Mann habe sie betrogen. Sie sei Belgierin, habe aber auch noch eine Adresse in Wolfsburg. „Da dachte ich, das ist ja gar nicht so weit weg.“ Dass die Frau wie er gern reist und kocht, schien perfekt zu seinen Interessen zu passen. „Und sie hat mich durch ihre Worte bezirzt. Ich habe mich gebauchpinselt gefühlt, dass sich jemand täglich meldet.“

Nach den ersten Kontakten per Mail bat Anna den 68-Jährigen, sein Konto bei LoveScou­t 24 zu löschen. „Sie argumentierte, die Suche sei ja beendet. Man habe sich ja gefunden“, erinnert Friedrich Lange sich. „Mir erschien das plausibel. Heute ist mir klar: Es sollte keine Rückverfolgung möglich sein.“ Von nun an kommunizierten Anna und er per WhatsApp. „Sie hat mich jeden Morgen angeschrieben, mir einen schönen Tag gewünscht. Sie hat gefragt, wie es mir gehe, was ich so mache.“ Sie schrieb von sich und einem Leben in sicheren finanziellen Verhältnissen. Ein Umzug in den Raum Hamburg sei vorerst nicht geplant.

Friedrich Lange stellte sich eine Zukunft vor

Das störte Friedrich Lange nicht. Er war ja selber noch verheiratet, lebte aber seit fünf Jahren von seiner Frau getrennt. „Ich dachte bei Anna: Jeder behält seine Wohnung, und man trifft sich.“ Für ihn war wichtig, dass er und die 55-Jährige auf einer Wellenlänge zu sein schienen – und dass sie offenbar darauf Wert legte, niemandem „auf der Tasche zu liegen. Keiner ist dem anderen verpflichtet.“

Nach und nach habe er eine tiefe Sympathie für Anna entwickelt. „Sie wurde immer wichtiger in meinem Leben. Beim Aufwachen habe ich schon gedacht: Ist da wieder eine WhatsApp? Was schreibt sie heute?“, erzählt Friedrich Lange. „Es hat mich angesprochen, dass diese verhältnismäßig junge Frau solches Interesse an mir hat.“ Irgendwann fing Anna an, ihn „Schatz“ zu nennen. „Das fand ich schön. Ich dachte: In diese Frau könnte ich mich verlieben!“ Er war schon auf dem Weg dahin, in eine rosarote Zukunft.

„Sie wollte das große Rad drehen"

Vorerst aber, schrieb Anna, sei sie beruflich in der Türkei unterwegs. Für ihren Internethandel, dessen Namen sie nannte, wolle sie dort einkaufen; Accessoires, Möbel, Kleidung. „Sie wollte das große Rad drehen. Es schien gut zu laufen“, erinnert sich Friedrich Lange. Anna erzählte dem Mann, dass sie deshalb einen Kredit aufgenommen und ihre Wohnung als Sicherheit überlassen habe. Doch dann seien in der Türkei die Steuern erhöht worden. Nun schrieb Anna, dass sie sich finanziell verhoben habe und Geld brauche, um die von ihr eingekauften Waren in ein Zentraldepot schaffen zu lassen und von dort per Lkw nach Brüssel.

„Sie wohnte angeblich zur Miete in einem Appartement in Istanbul. Nun bat sie mich, ob ich ihr die Miete zahlen könne, damit sie selber die Mittel für die Abwicklung ihrer Warentransporte hat.“ Doch Friedrich Lange äußerte Bedenken. „Ich schrieb ihr, dass ich sie ja noch nicht so gut kenne. Dass ich als Rentner zusehen muss, dass ich mein Geld zusammenhalte. Ich fragte: Was bietest du mir an Sicherheit?“

"Anna" geriet ständig in neue Schwierigkeiten

Die Legende mit den finanziellen Schwierigkeiten erschien dem Rentner glaubwürdig — wie überhaupt Annas ganze Geschichte. „Nach und nach hatte sie mir 23 unterschiedliche Fotos von sich geschickt. Ich bin überhaupt nicht auf die Idee gekommen, dass da was nicht stimmt“, meint Friedrich Lange. „Alles, was sie schrieb und mailte, erschien mir durchaus seriös.“ So zum Beispiel ein Vertragspapier mit ihrer angeblichen Brüsseler Firma. „Ich guckte mir das Unternehmen, bei dem sie vermeintlich Geschäftsführerin war, im Internet an und dachte: Das scheint ja einträglich zu sein. Also habe ich mich breitschlagen lassen, ihr Geld zu schicken. Mit 4000 Euro fing das an.“

Nach und nach schien Anna in immer neue Schwierigkeiten zu geraten. Und immer brauchte sie wieder Geld, stets vierstellige Summen. „Ich sagte mehrfach: Das ist meine Alterssicherung. Wenn ich dir etwas leihe, muss ich das Geld zurückerhalten“, erinnert sich der 68-Jährige. „Sie versprach, dass ich das Doppelte kriege. Und als ich nach Sicherheiten gefragt habe, nach Bankdaten, Mailadressen, Passnummern, habe ich alles bekommen. Aber es war alles fingiert, was ich natürlich damals noch nicht wusste. Anna hat mir sogar Dokumente mit Fingerabdruck geschickt und ein angeblich aktuelles Bild.“

„Sie hat jedes Mal abgewehrt"

Immer wieder überwies Friedrich Lange Geld, meist Beträge zwischen 4000 und 5000 Euro. Er habe Anna auch häufig gefragt, wieso er der Einzige sei, der ihr aus dieser Misere helfen könne? Ob sie nicht auch andere Freunde habe? „Sie hat jedes Mal abgewehrt. Die Freunde seien selber knapp bei Kasse.“ Aber so zahlte er weiter. „Als Anna herzzerreißend schrieb, bei ihr stünden Schuldner vor der Tür, die Rabatz machen.“ Als die Frau ihm mitteilte, sie könne bei einem Kredithai ihre Schulden nicht mehr begleichen, müsse jetzt zur Polizei und dann wahrscheinlich ins Gefängnis – es sei denn, sie bringe eine Kaution auf.

Ob er ihr noch einmal helfen könne? „Da waren heulende Smileys unter den Schreiben. Es war immer ein Wechsel von gefühlsmäßigem Druckmachen und Hinhalten. Und ich Idiot habe wieder Geld überwiesen. Als sie angeblich aus dem Gefängnis raus ist, hat sie angerufen und mich gefragt, wie es mir gehe. Und sie hatte die Frechheit, mich erneut um Geld zu bitten.“

Love-Scamming: Opfer ging schließlich zur Polizei

Doch nun war für den Rentner endgültig Schluss. Er merkte, dass sein Vertrauen missbraucht worden war. „Ich wollte nicht mehr, weil immer noch weiter Geldforderungen kamen. Ich dachte: Jetzt muss ich einen Schlussstrich ziehen. Ich war schlicht am Ende.“ Bei einer Überprüfung stellte er fest, dass die Person, die er für Anna gehalten hatte, und die Passdaten nicht übereinstimmten. „Dann bin ich zur Polizei gegangen.“ Dort erfuhr der 68-Jährige, dass er der Betrugsmasche des Love-Scammings aufgesessen war — und dass es nahezu unmöglich sei, je wieder sein Geld zurückzuerhalten.

Für Friedrich Lange ist das eine Katastrophe. Bei einer Nettorente von etwas mehr als 1220 Euro muss er jeden Monat von seinen letzten Rücklagen rund 300 Euro zuschießen, um die Miete und andere Lebenshaltungskosten aufzubringen. „Es ist abzusehen, wann das letzte Geld weg ist“, sagt er. Wohngeld, da hat er sich erkundigt, gibt es nicht. „Ich liege über der Bemessungsgrenze.“ Und zum Sozialamt will er lieber nicht.

Noch nicht. „Seit einem Jahr versuche ich, mein Leben wieder in den Griff zu bekommen.“