Hamburg. Schwerbehinderter Senior lässt jüngerer Hamburgerin mehrmals Geld zukommen. Prozess leidet unter technischen Schwierigkeiten.

Er hatte sich ein neues Leben erhofft. Mir ihr an seiner Seite. Wolfgang B. hatte die Frau, mit der er seine Zukunft verbringen wollte, noch nie leibhaftig gesehen. Doch der 77-Jährige glaubte, die Richtige gefunden zu haben: Agnes, eine Frau aus Ghana. Es galt nur noch einige Hindernisse zu überwinden, bis er sie in seine Arme schließen könnte. Inzwischen ist Wolfgang B. um 1350 Euro ärmer — und um eine schlimme Erfahrung reicher. Denn wenn es Agnes überhaupt geben sollte, dann hatte sie wohl nie die Absicht, aus Afrika nach Deutschland zu kommen und eine Beziehung mit dem Rentner einzugehen.

Der 77-Jährige ist sehr wahrscheinlich Opfer einer besonders abgefeimten Betrugsmasche geworden, dem Love-Scamming. Dabei binden die Täterinnen oder Täter über einen intensiven Austausch im Internet oder über soziale Netzwerke ihre Opfer emotional so sehr an sich, dass diese bereit sind, hohe Beträge zu zahlen. Die Frauen und Männer glauben, sie investierten in eine gemeinsame Zukunft.

Prozess Hamburg: „Love-Scamming“ besonders miese Betrugsmasche

Doch an den „Partnern“, mit denen sie sich über Messengerdienste austauschen, ist meist nichts real. Die Bilder, die die Opfer zugeschickt bekommen, sind oft von irgendwelchen öffentlich zugänglichen Profilen aus dem Internet hochgeladen, die Vita ist ein Konstrukt, die Dialoge über WhatsApp oder andere soziale Medien sind den Neigungen des Opfers angepasst. Und die Liebe ist nur vorgetäuscht. Bei Ermittlern gilt das „Love-Scamming“ als „besonders heimtückische Kriminalität“, weil es die Opfer nicht nur finanziell schädigt, sondern auch emotional. Viele verlieren sogar das Vertrauen in ihre Mitmenschen, weil ihnen zutiefst wehgetan wurde.

Wer hinter dem Pseudonym von Agnes aus Ghana steckt und wo sie sich gegebenenfalls genau aufhält, konnte nicht ermittelt werden. Doch es gibt eine Frau, die mit dieser ominösen Person gemeinsame Sache gemacht haben soll, um Rentner Wolfgang B. möglichst viel Geld aus der Tasche zu leiern. Wegen gemeinschaftlichen Betrugs muss sich nun also Victoria S. vor dem Amtsgericht verantworten. Die Hamburgerin soll sich als Agnes’ Schwester ausgegeben und mehrfach Zahlungen von Wolfgang B. in Empfang genommen haben.

Angeklagte äußert sich nicht zu Vorwürfen

Im August und September 2020 habe der 77-Jährige bei fünf Gelegenheiten insgesamt 1350 Euro auf das Konto von Victoria S. überwiesen, heißt es in der Anklage. Vorausgegangen ist demnach, dass die Frau aus Ghana in Absprache mit Victoria S. in diversen What-App-Chats vorgab, mit Wolfgang B. ein neues Leben beginnen zu wollen. Aber vorher, so behaupteten Agnes und Victoria S. laut Anklage, müsse Agnes Geld zur Unterstützung ihrer Familie in Ghana erhalten. Außerdem brauche sie weitere Überweisungen, um Flugtickets nach Deutschland finanzieren zu können.

Victoria S., eine aparte 33-Jährige mit Lockenmähne, will vor Gericht nichts zu den Vorwürfen sagen. Die Richterin verliest die Kontoauszüge der Angeklagten, die unter anderem mehrere Einzahlungen aus dem Ausland ausweisen, teilweise Beträge in Höhe von 12.000 oder sogar mehr als 16.000 Euro. Und auch fünf Überweisungen von Wolfgang B. gingen offenbar auf ihrem Konto ein. Eine Auswertung des Handys der Angeklagten konnte einen Chat-Verlauf mit dem 77-Jährigen allerdings nicht nachweisen. Wohl aber war seine Telefonnummer darauf gespeichert — allerdings war diese zuletzt blockiert. Und seine Anrufe hatte Victoria S. offenbar nicht angenommen.

Opfer sollte per Video aussagen

Letzteres wäre bei der Betrugsmasche des Love-Scamming typisch. Ermittler wissen: Wenn ein Opfer nicht mehr zahlen will oder kann, wird von den Tätern üblicherweise der Kontakt abgebrochen. Wie ist also genau ein etwaiger Kontakt zwischen Wolfgang B. und der Angeklagten abgelaufen? Im Prozess gegen die 33-Jährige wäre eine Zeugenaussage des mutmaßlichen Opfers von allergrößter Bedeutung, um den Fall aufzuklären. Weil der Senior schwerbehindert ist und eine Anreise aus seinem Heimatort in Sachsen-Anhalt für ihn zu mühsam sei, hat das Gericht eine Vernehmung des Opfers per Video geplant.

Doch der 77-Jährige scheint mit der dafür erforderlichen Technik an seinem Computer überfordert. Eine Verbindung per Video in den Gerichtssaal kommt trotz größter Bemühungen seitens der Richterin nicht zustande. Muss Wolfgang B. nun doch noch zu einem späteren Prozesstermin als Zeuge erscheinen? Am Telefon berichtet der Senior, dass er ohnehin in Bezug auf den Fall „nur noch mit allem abschließen und seine Ruhe haben“ wolle.

Prozess Hamburg: Richterin schlägt Deal vor

Gericht und Staatsanwältin überlegen, ob es unter diesen Umständen eine andere Lösung gibt, das Verfahren zu beenden. Weil der finanzielle Schaden nicht allzu hoch und die Angeklagte nicht vorbestraft ist, zudem „erhebliche weitere Ermittlungen erforderlich“ wären, schlägt die Richterin vor, das Verfahren gegen Victoria S. gegen Zahlung einer Geldbuße in Höhe von 1300 Euro einzustellen. Die Staatsanwältin wäre einverstanden.

Und die Angeklagte nickt eifrig, als ihr dargelegt wird, dass damit die Sache für sie „erledigt“ wäre — sobald sie die 1300 Euro, die als Schadenswiedergutmachung dem 77-jährigen Wolfgang B. zugute kommen sollen, vollständig bezahlt hat. Eilig verlässt Victoria S. den Gerichtssaal, mit gesenktem Kopf. Wirkt sie eingeschüchtert? Lächelt sie erleichtert? Ihre Gemütslage bleibt hinter Maske verborgen.