Hamburg. Zahl der Crack-Delikte hat sich in zehn Jahren fast verzehnfacht. Droge mit „hohem Machtpotenzial“ ist „Doping für die Persönlichkeit“.

Die Stadt wird von Crack überschwemmt. In den vergangenen zehn Jahren hat sich die Zahl der Drogendelikte, bei denen es um Crack geht, in Hamburg nahezu verzehnfacht. Die Stadt ist, so die Einschätzung des Kriminologen Wolf-Reinhard Kemper, deutschlandweit die Hochburg, wenn es um diese Droge geht. Begünstigt habe die Entwicklung eine hohe Verfügbarkeit von Kokain, eine immer größere Konsumentenszene und eine bei den Preisen aggressive Dealerszene. Eine einzelne Dosis Crack ist in Hamburg schon für wenige Euro zu haben.

2314 Drogendelikte im Zusammenhang mit Crack hat die Polizei im vergangenen Jahr in Hamburg festgestellt. 2014 gab es noch 241 solcher Fälle. „Crack ist die Hauptdroge in der Szene, wenn es um harte Drogen geht“, so Kemper.

Drogen: Hamburg ist die Crack-Hochburg in Deutschland

Es ist die vorläufige Spitze einer jahrzehntelangen Entwicklung. Crack kam Anfang der 1980er-Jahre in den USA auf den illegalen Markt. Anfang der 1990er-Jahre tauchte Crack dann auch in Hamburg auf. „Um 1993 hatten wir hier die ersten Crack-Konsumenten. Erst in der zweiten Hälfte der 1990er-Jahre hat sich die Zahl der Konsumenten dieser Droge stark gesteigert“, so Kemper. Damals war noch Heroin die beherrschende harte Drogen in Hamburg gewesen. Die Abhängigen stiegen auf Crack um, weil sie es für „sauberer“ hielten. Durch das Spritzen von Heroin, oft von vielen Personen mit immer derselben Nadel, hatten sich Krankheiten ausgebreitet.

Dass Crack ein Problem ist, hatte man schon Ende der 1990er-Jahre bemerkt. 1999 gab es einen ersten wissenschaftlichen Bericht bei der Polizei. Es folgten in den Jahren danach mehrere wissenschaftliche Arbeiten, beispielsweise durch das Zentrum für Interdisziplinäre Suchtforschung am UKE 2003. „Schon damals war Crack in aller Munde“, so Kemper. „Trotzdem hat man sich machtlos gezeigt und die Situation nicht in den Griff bekommen.“

Crack lässt sich einfach durch Aufkochen aus Kokain herstellen

Crack, das sich relativ einfach durch Aufkochen herstellen lässt, wird von Kleindealern hergestellt. Man „kocht sich Steine“ heißt es in der Szene in Anlehnung an das Endprodukt. Denn Crack ist nicht lange haltbar. Das erklärt auch, warum die Polizei nur sehr selten mal eine sogenannte „Crack-Küche“ aushebt. „Durch die hohe Nachfrage nach Crack sind es mittlerweile auch die Dealer eine Ebene über den Straßendealern, die Crack dann aus Mengen von 50 bis 100 Gramm Kokain herstellen“, weiß Kemper.

Das Drob Inn nahe dem Hamburger Hauptbahnhof: Ein Blick hinter den neu aufgestellten Zaun, der den Blick auf das Elend versperrt.
Das Drob Inn nahe dem Hamburger Hauptbahnhof: Ein Blick hinter den neu aufgestellten Zaun, der den Blick auf das Elend versperrt. © André Zand-Vakili | André Zand-Vakili

Das Crack, das heute auf Hamburgs Straßen illegal zu kaufen ist, unterscheide sich von dem Crack vor 20 Jahren. „Heute bestehen die Cracksteine zu 30 bis 60 Prozent aus Kokain. Der Rest sind Amphetamine oder Streckmittel“, so Kemper.

Vor dem Drob Inn nahe dem Hauptbahnhof tritt die Szene geballt auf

Vor der Drogeneinrichtung Drob Inn in St. Georg tritt die Szene geballt auf. Neuerdings soll ein Zaun die Sicht auf das Elend verhindern. Männer mit Migrationshintergrund dominieren die Szene. Viele kommen aus Afghanistan, einem der Anbauländer für Opium, der Grundstoff für Heroin, oder dem benachbarten Pakistan und waren bereits bei ihrer Einreise morphiumabhängig. Auch viele Syrer und Nordafrikaner sind in der Szene. „Bei ihnen besteht eine hohe Empfänglichkeit für die Droge“, sagt Kemper. Dass sie Crack nehmen, hänge mit der großen Verfügbarkeit zusammen – und den finanziell eher überschaubaren Möglichkeiten. Crack gilt als billig.

Aber auch viele deutsche Abhängige bewegen sich in der Crackszene. Oft sind es Männer oder Frauen, die bereits Ersatzdrogen wie Methadon oder Subutex nehmen, die zwar die körperlichen Entzugserscheinungen verhindern, aber nicht den „Kick“ geben. „Den holen sie sich durch Crack“, so Kemper.

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Dass Crack einen schnellen „Kick“ bringt, hängt mit der Art des Konsums zusammen. „Es wird über die Lunge aufgenommen und ist innerhalb eines Herzschlags im Gehirn“, sagt Kemper. Das Problem: Der Glückszustand oder das „Doping für die Persönlichkeit“, wie Kemper sagt, hält nur kurz an. Nach zehn oder 15 Minuten ist alles vorbei. Deshalb sei Crack auch nur scheinbar billig. Es ist die Menge an Konsumeinheiten, die ein Abhängiger braucht, die es teuer macht.

Kriminologe: Jeder Euro, den man Abhängigen schenkt, landet bei der Organisierten Kriminalität

„Die Abhängigkeit tritt schneller ein, als beim Kokain“, so Kemper. Es sei weniger eine körperliche als eine psychische Abhängigkeit. „Das erhöht das Machtpotenzial, das die Droge über den Konsumenten hat“, sagt der Kriminologe. „Die Szene zeichnet sich durch Menschen aus, die alles tun, um an die Drogen zu kommen. Dazu macht Crack die Nervenbahnen brüchig. Die Abhängigen sind nicht mehr in der Lage, logische Schlüsse zu ziehen. “

Und auch das sagt Kemper: „Fast jeder Euro, den man solchen Abhängigen aus Mitleid gibt, landet am Ende bei der Organisierten Kriminalität.“ Das hängt mit den vielen Hilfsangeboten in Hamburg zusammen, die es für die Szene gibt. „Die Abhängigen müssen sich nur um ihre Sucht kümmern“, so Kemper.

Kriminologe: Hamburg ist die Crack-Hochburg in Deutschland

Schon 2004 hatten Wissenschaftler der Uni Frankfurt bei einer Untersuchung der dortigen Crackszene festgestellt, dass eine „hektische Lebensweise mit Prostitution, Diebstahl, Dealerei und ständiger Jagd nach dem Stoff zum besonderen Erscheinungsbild der Crack-Konsumenten“ gehöre und die Hilfseinrichtungen „die gesamte Grundversorgung ihres Lebens garantieren“.

Wie man Cracksüchtigen helfen könnte? „Ein vernünftiger Ausstieg wäre nur möglich, wenn man ihnen eine echte Lebensalternative anbietet“, so Kemper.