Hamburg. CO2-Ausstoß ähnlich hoch wie bei Hunderttausenden Autos. Linke fordert Senat zum Handeln auf. Ist Hamburgs Klimabilanz noch zu retten?

Ausgerechnet bei einem der schlimmsten Klimakiller-Gase tut Hamburg offenbar zu wenig, um die Atmosphäre zu schützen. Der Einsatz von Sulfuryldifluorid (SO2F2, auch kurz SF genannt) für das Begasen von Containern im Hamburger Hafen für den Export zum Beispiel nach China hat sich noch erhöht – obwohl seit Jahren von einer Reduktion die Rede ist. Das hat mit dem erneuten Anstieg der Holzexporte nach der Corona-Pandemie zu tun. Allerdings kommt eine seit Langem vom Senat versprochenen Pilotanlage nicht voran, die das klimaschädliche SF-Gas absorbieren soll.

Das muss der Senat in einer Antwort auf eine Kleine Anfrage des Linken-Abgeordneten Stephan Jersch einräumen. Die Anlage, um das Container-Gas aufzufangen, steht noch in den Sternen: „Der Bau einer Pilotanlage wird vermutlich nicht vor 2025 beginnen. Ein Bauantrag liegt deswegen bislang nicht vor.“ Der Senat wollte die Technische Universität Hamburg mit einem Projektpartner aus der Wirtschaft zusammenbringen. Das ist augenscheinlich nicht gelungen. Jersch sagte dem Abendblatt: „Warten auf Godot: Es stellt sich die Frage, ob sich überhaupt ein Partner zur Durchführung findet. Der Prozess wird noch einige Jahre in Anspruch nehmen – Jahre, die wir angesichts der Klimakatastrophe nicht mehr haben. Solange es keine Lösung gibt, muss der Einsatz von Sulfuryldifluorid im Hamburger Hafen verboten werden.“

Hamburger Hafen: Extrem klimaschädliche Begasung von Containern

Der Linken-Politiker rechnete vor, dass die Hamburger Holzbegasung im Hinblick auf den Klimaschaden vergleichbar sei mit dem Heizkraftwerk in Tiefstack. Nach 162 Tonnen SF-Emissionen im Jahr 2022 waren es 2023 fast 196 Tonnen, womit die Vor-Corona-Höhe von 203,7 Tonnen (2019) wieder beinahe erreicht war. Das Umweltbundesamt schreibt zur Wirkung von SF: „Eine Tonne emittiertes Sulfuryldifluorid ist, gemäß dem Fünften Sachstandsbericht des ⁠Weltklimarats, auf 100 Jahre gesehen so klimaschädlich wie 4090 Tonnen CO2.“ Jersch spricht sogar von „7520-mal schädlicher“. Nimmt man die Behördenangabe und 196 Tonnen SF in Hamburg pro Jahr, dann entspräche die Container-Begasung rund 801.604 Tonnen an CO2. Das wäre ungefähr der Ausstoß, den 320.000 benzinbetriebene Autos mit einer Laufleistung von 20.000 Kilometern pro Jahr ausstoßen.

Hamburgische Bürgerschaft: Der Linken-Umweltpolitiker Stephan Jersch
Hamburgische Bürgerschaft: Der Linken-Umweltpolitiker Stephan Jersch © Michael Rauhe / FUNKE Foto Services | Michael Rauhe

Das Umweltbundesamt schreibt deshalb: „Die Praxis der Containerbegasung geht mit hohen Emissionen in die Atmosphäre einher, die einen nicht zu vernachlässigenden Einfluss auf das Weltklima haben.“ Die EU hat deshalb eine aktuelle Verordnung erlassen, in der Unternehmen bei der Begasung zu strengen Auflagen gezwungen werden. Und: Es gibt in der Verordnung eine „Verpflichtung zur Vermeidung von Emissionen“. Auffangvorrichtungen werden für alte Anlagen spätestens 2026 Pflicht. Für Hamburg tickt also längst die Uhr.

Warum Holzexporte nach China in Hamburg begast werden

Dazu muss man wissen: Holzimporteure wie China (ein Großabnehmer von Rundholz) verlangen, dass begast wird. Sie haben Angst vor eingeschleppten Insekten. In Deutschland gab es in den vergangenen Jahren aufgrund von Dürre und der Borkenkäfer-Plage größere Mengen an schadhaften Bäumen, die für den Export zur Verfügung standen. Linken-Politiker Jersch fragte den Senat, ob China nicht wie zuletzt andere Substanzen zur Begasung akzeptiere. Die Antwort: Die alternativen Gase müssten erst eine Zulassung vom Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit für Rundholz haben.

Containerbrücken mit Elbphilharmonie im Hintergrund: Scheitert ein Teil der Energiewende in Hamburg an klimaschädlichen Praktiken im Hafen?
Containerbrücken mit Elbphilharmonie im Hintergrund: Scheitert ein Teil der Energiewende in Hamburg an klimaschädlichen Praktiken im Hafen? © Getty Images | Sean Gallup

Und was ist mit einer Unterwasser-Lagerung des Holzes, was China auch akzeptiere? Für einen Container rechnet der Senat mit Kosten von 450 bis 525 Euro (ohne Verladung und Transport). Das bisherige SF-Begasen koste dagegen bloß 200 Euro. Zudem ist offenbar das kontrollierte Untertauchen des Rundholzes nicht sicher. Der Senat macht Pilzbefall geltend und die Anforderung der Importeure, dass gewässertes Holz vollständig untergetaucht bleiben muss. Das erfordere höheren technischen Aufwand.

Vorwurf: „Scheinheilige Klimapolitik des Senats“

Umweltpolitiker Jersch sagte. „Am Beispiel Sulfuryldifluorid wird die scheinheilige Klimapolitik des Senats sehr deutlich. Die Einsatzmengen des Gases bewegen sich wieder auf dem Niveau von 2019. Nur um Holz nach Fernost exportieren zu können, will man auf den Einsatz dieses Gases nicht verzichten und zeigt keine Initiative in Richtung auf alternative Schädlingsbekämpfungsmethoden, die es ja bereits gibt. Das alles zulasten des Klimas. Hier wird ganz klar, wo der Senat die Prioritäten setzt.“

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