Hamburg. Studie der Uni Hamburg fällt „ernüchternd“ aus: Trotz einiger Fortschritte könnte der Wandel unserer Gesellschaft an Tempo verlieren.
Zuletzt gab es hierzulande positive Nachrichten im Kampf gegen den Klimawandel: Die Bundesrepublik stieß 2023 gut zehn Prozent weniger Treibhausgase aus als 2022. Zurückzuführen ist das auf den Ausbau der erneuerbaren Energien, einen Rückgang der Energieerzeugung aus fossilen Trägern und eine gesunkene Energienachfrage bei Wirtschaft und Verbrauchern, wie das Umweltbundesamt mitteilte. Dieser Erfolg sollte Politik, Wirtschaft und Gesellschaft nun allerdings nicht veranlassen, nachzulassen beim Klimaschutz, sagte der Soziologe Prof. Stefan Aykut vom Exzellenzcluster Klima, Klimawandel und Gesellschaft der Universität Hamburg am Dienstag. Deutschland sei zwar erstmals auf einem guten Weg, seine Klimaziele bis 2030 zu erreichen. „Anders sieht es allerdings bis 2045 aus.“
Um dazu beizutragen, die Erderwärmung zu begrenzen, soll die Bundesrepublik bis 2045 „klimaneutral“ werden. Mit Klimaneutralität ist gemeint, dass eine Gesellschaft entweder gar keine klimaschädlichen Treibhausgase wie Kohlendioxid (CO2) mehr erzeugt oder dass sie diese vollständig kompensiert, sodass menschliche Aktivitäten insgesamt das Klima nicht mehr beeinflussen. Technisch und ökonomisch wäre dies machbar, doch politisch und gesellschaftlich drohe die Transformation an Fahrt zu verlieren, erklärten Aykut und die Soziologieprofessorin Anita Engels anlässlich der neuen Studie „Klimawende Ausblick 2024“, die von einem achtköpfigen Hamburger Team erstellt wurde.
Hamburger Forschende sehen deutsche Klimawende in Gefahr
Das Ergebnis ihrer Analyse falle „ernüchternd aus“, so die Forscherinnen und Forscher. Trotz einiger politischer Fortschritte seien bisher erreichte Verringerungen beim Ausstoß von Treibhausgasen „vielfach nicht dauerhaft abgesichert“; finanzielle Spielräume für Zukunftsinvestitionen in Klimaschutz seien „eng begrenzt“, erklären die Wissenschaftler. „Die Beschränkung auf einen ausgeglichenen Haushalt in Zeiten, in denen massive Investitionen notwendig sind für die Klimawende, ist problematisch“, sagte Stefan Aykut, gerichtet an die Politik. Deutschland sollte „erheblich mehr investieren“, wenn es bis 2045 klimaneutral werden wolle – derzeit erscheine es „nicht plausibel“, dieses Ziel zu erreichen.
Anita Engels sieht auch die Wirtschaft stärker in der Pflicht. „Was die produzierenden Unternehmen in der Masse weltweit tun in Sachen Klimawende, ist viel zu wenig“, sagte sie. Immer noch oft zu beobachten sei ein „Greenwashing“, also der Versuch von Firmen, sich ein „grünes“ Image zu geben, ohne tatsächlich wirksame Maßnahmen zum Klimaschutz umzusetzen. „Die gesamte Wette der Wirtschaft läuft noch in die Richtung, dass der Klimaschutz von den Regierungen letztlich nicht sehr ernst durchgezogen wird“, sagte Engels.
Soziologin: Firmen sollten ihre Arbeitsprozesse klimaschonend ausrichten
Damit die deutsche Klimawende gelinge, seien neue Formen des Arbeitens, Wirtschaftens und Konsumierens nötig. Manche Unternehmen förderten Nachhaltigkeit allerdings auf eine „alberne Art und Weise“, etwa durch einen Ehrenamtstag, an dem die Mitarbeitenden durch ein Engagement für Klimaschutz Punkte sammeln könnten, sagte Engels. Stattdessen könnten Unternehmen ihre Arbeitsprozesse auf den Prüfstand stellen und diese so organisieren, etwa mit einer Mischung aus Anwesenheitspflicht und Homeoffice, dass es langfristig dem Klimaschutz diene. Eigentlich gehöre es in die Ziel- und Leistungsvereinbarungen von Top-Managern, dass sie CO₂ einsparen müssen, sagte Engels.
Was Konsummuster in der Gesellschaft angehe: Bestimmte tatsächlich hilfreiche Nachhaltigkeitstrends würden „systematisch konterkariert“ durch klimaschädliche Trends wie „Ultra Fast Fashion“, sagte Stefan Aykut. Gemeint ist, dass einige Modefirmen in hohem Tempo immer neue Billigkleidung auf den Markt werfen, die an kurzzeitigen Modetrends ausgerichtet ist und oft früh im Müll landet. Bei Pkw gebe es einen Trend zu immer schweren Autos (SUV), die viel Treibstoff verbrauchen, während gleichzeitig mehr Elektroautos auf den Markt kommen, die dem Klimaschutz dienen sollen. Es sei zu überlegen, wie sich solche Negativtrends im Vorwege verhindern ließen, sagte Aykut. Er denke, „dass man da regulatorisch vorgehen“ müsse.
Forschende: Kirchen, Gewerkschaften und Verbände sehr wichtig für die Klimawende
Positive Impulse kommen den Hamburger Forschenden zufolge aus der Zivilgesellschaft: „Die Klimabewegung ist vielfältiger geworden und kann auf breite gesellschaftliche Solidaritätsnetzwerke zurückgreifen“, erklärten Anita Engels und Stefan Aykut. „Erfolge gibt es insbesondere bei wegweisenden Gerichtsbeschlüssen, wie dem erst kürzlich erfolgten Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte – es gab einer Gruppe von Schweizer Seniorinnen recht, dass ungenügender Klimaschutz eine Verletzung ihrer Menschenrechte darstellt.“ Damit sei das Gericht einem „breiteren Trend hin zu einer klimarechtlich progressiven Rechtsprechung“ gefolgt.
In anderen Ländern wie den USA gebe es in der gesellschaftlichen Debatte über Maßnahmen gegen die globale Erwärmung eine sehr starke Polarisierung; dort werde Engagement für oder gegen Klimaschutz zu einem Kulturkampf. „Davon sieht man Ansätze in Deutschland“, sagte Aykut. Aber: „Die Frage des Klimawandels in der Breite der Gesellschaft zu verankern – dieser Kampf ist bei uns nicht verloren.“ Damit Klimaschutz von einer großen Mehrheit der Gesellschaft vorangetrieben werde, sei es allerdings sehr wichtig, dass „Solidaritätsnetzwerke“ wie Kirchen, Gewerkschaften und Verbände „weiterhin aktiv in der Klimadebatte“ seien, weil sie verschiedene gesellschaftliche Milieus erreichten.
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Der Hamburger Klima-Exzellenzcluster wird von der Deutschen Forschungsgemeinschaft gefördert. Er ist am Centrum für Erdsystemforschung und Nachhaltigkeit der Uni Hamburg angesiedelt und kooperiert mit elf wissenschaftlichen Instituten, darunter etwa das Max-Planck-Institut für Meteorologie und das Deutsche Klimarechenzentrum in Hamburg.