Hamburg. Für neue Rotoren braucht man Flächen, für die nur wenige Stadtteile geeignet sind. Verpasst Hamburg eine „historische Chance“?

Mal sind es Kröten, mal der Lurch. Und auch der Seeadler kann die Mobilität der Hamburgerinnen und Hamburger sowie die dafür benötigte Stromproduktion einschränken. Der Raubvogel lässt sich zum Beispiel in Hafennähe nieder. Auch das macht ein Aufstellen von Windrädern, die als Lieferanten grünen Stroms extrem wichtig sind, schwieriger als gedacht. Während der Lurch von Naturschützern erst Richtung Moorburg gebracht werden soll, um die Hafenautobahn A26-Ost zu verhindern, fliegt der Seeadler zumeist freiwillig ein. Er nistet und brütet nach Auskunft des Nabu in Wilhelmsburg, an der Alten Süderelbe und auf Neßsand.

Die Natur ist jedoch ein kleiner Hinderungsgrund beim Ausbau von Windenergie, Photovoltaik und der Nutzung von Geothermie in Hamburg. Den größten sehen die Fürsprecher des grünen Stroms in der lahmenden Bewilligung von neuen Flächen. Fast zwei Jahre habe man untätig verstreichen lassen, rechnet der Hamburger Ableger des Bundesverbandes Windenergie dem Senat vor. Flächen für neue Windräder habe man vorgeschlagen – ohne sensible Gebiete zu berühren. Sogar die Grünen in der Bürgerschaft hätten bei Umweltsenator Jens Kerstan (Grüne) sowie in der Stadtentwicklungsbehörde mehr Tempo angemahnt.

Windenergie Hamburg: Was den Ausbau lähmt

Doch ein veralteter Flächennutzungsplan durchkreuze selbst die Idee von „Repowering“. Das bedeutet, alte Windräder durch höhere, effizientere neue zu ersetzen. Der Hamburger Verbandsvorsitzende Axel Röpke sagte: „Immer wieder sind wir in den letzten Jahren mit Vorschlägen und Angeboten auf die für den Windenergie-Ausbau zuständigen Behörden in Hamburg zugegangen. Konkrete Ergebnisse hat das leider bislang nicht gebracht.“ Er fordere von Umwelt- und Behörde für Stadtentwicklung (Bukea und BSW) „endlich eine verbesserte und verbindliche Einbindung des Verbandes in die Diskussion um potenzielle neue Windenergieeignungsflächen“.

Die Wind-Lobby hat in der Ampel-Regierung einen starken Verbündeten. Die Berliner Koalition um Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) hat mit dem „Gesetz zur Erhöhung und Beschleunigung des Ausbaus von Windenergieanlagen an Land“ und dem „Windenergieflächenbedarfsgesetz“ (WindBG) strenge Vorgaben erlassen. Bis 2027 sollen die Bundesländer 1,4 Prozent ihrer Landesflächen und bis 2032 zwei Prozent für Windräder ausweisen. Hamburg muss wegen seiner vielen Industrieflächen im Hafen zunächst 0,25 und dann 0,5 Prozent schaffen. Selbst dieser Wert könnte Utopie bleiben.

Windräder: Vor dem Aufstellen werden zahlreiche Gutachten benötigt

Denn wenn ein neuer Flächennutzungsplan dereinst mal vorliegt, braucht es eine Vielzahl an Gutachten, bevor ein Windrad dort errichtet werden kann – die Leitung des Netzbetreibers noch gar nicht eingerechnet:

  • Vogel- und Fledermausgutachten
  • Artenschutzgutachten
  • Landschaftspflegerischer Begleitplan
  • Schall- und Schattengutachten
  • Turbulenzgutachten
  • Ertragsgutachten
  • Transportgutachten.

Der Windenergie-Verband hat Flächen in den Vier- und Marschlanden ausgeguckt. Noch bevor jemand auf die angebrachte Stille um die KZ-Gedenkstätte Neuengamme hinweisen konnte, wurde das mitbedacht. In der Nähe stehen bereits Anlagen. Das weniger dicht besiedelte Gebiet im Südosten Hamburgs eignet sich offenbar am ehesten zur grünen Stromproduktion.

Flächennutzungsplan Hamburg: Hier könnten neue Windräder stehen

Allerdings, so rechnet Röpke vor, dauere es vom Verabschieden eines neuen Flächennutzungsplans bis zum Aufstellen eines Windrades wohl drei oder vier Jahre. Bei den ambitionierten Klimaschutz-Zielen des Hamburger Senates und den Mahnungen des Klimabeirates ist das kaum akzeptabel.

Die Stadtentwicklungsbehörde erklärte dem Abendblatt, Hamburg wolle das zweite Ziel, 0,5 Prozent der Landesfläche als Windenergiegebiete auszuweisen, bereits 2027 erreichen. „Sobald die Erarbeitung einer belastbaren Flächenkulisse abgeschlossen ist, werden die potenziellen Flächen im Rahmen einer frühzeitigen Beteiligung der Öffentlichkeit kommuniziert und erörtert“, sagte ein Sprecher. Hamburgs Beitrag zu diesem Teil der deutschen Energiewende sei im Dezember 2023 mit dem „Beschluss zur Aufstellung der Änderung des Flächennutzungsplans ,Windenergiegebiete in Hamburg‘ gefasst“ worden. Die Behörde verwies darauf, dass die Windenergie sogar im „überragenden öffentlichen Interesse“ liege. Das heißt: Wehren sich da oder dort Gegner neuer Rotoren, könnte das Pendel bei der juristischen Abwägung zugunsten der Windenergie ausschlagen.

Hamburgs Umweltsenator Kerstan: 100 Windräder bis 2032

67 Windräder hatte Hamburg Anfang 2023, genau eines ist im vergangenen Jahr hinzugekommen. Die Wasserwerke haben es auf der Dradenau errichtet, um Strom für die Abwasserreinigung zu produzieren. Das war im April. Umweltsenator Kerstan sagte damals, bis 2032 sollte es rund 100 Rotoren sein, die sich auf Hamburger Grund drehen. In „einigen Wochen“ könne man etwas über neue Standorte sagen. Aus Wochen wurden Monate. Alle anderen Bundesländer bis auf Bremen und Berlin machten erheblich mehr Druck beim Ausbau der Windenergie an Land, vor allem Schleswig-Holstein (auch dort viele Agrarflächen wie in den Vier- und Marschlanden), Niedersachsen und Brandenburg.

Mehr zum Thema

„Hamburg verpasst eine historische Chance“

Einige der im Hafen aufgestellten Windräder dürften wohl heute nicht mehr genehmigt werden. Der Seeadler könnte das ebenso verhindern wie die Flugsicherung, die in der Nähe von Einflugschneisen immer ein Mitspracherecht hat. Wo Airbus nicht weit ist, darf sich in luftigen Höhen nichts drehen und blinken. Im Hafen hat die Hamburg Port Authority das Sagen – auch beim Aufstellen von Windrädern. Was die Seeadler in Hafennähe vom Rotorendreh halten, ist nicht überliefert.

Hamburgs Windenergie-Verbandschef Röpke sagte: „Angesichts der globalen Herausforderungen und der gesetzlichen Verantwortung kann es so wie bisher nicht weitergehen. Hamburg muss das Tempo im Ausbau endlich anheben und verpasst eine historische Chance, seinem Ruf als selbst ernannter Windhauptstadt gerecht zu werden.“