Hamburg. Union forderte vor wenigen Tagen Verbot von „Muslim Interaktiv“ – und scheiterte. Polizei prüft nun, ob doch Straftaten begangen wurden.

Die Islamisten-Demo in Hamburg, bei der am Sonnabend 1100 Teilnehmer gegen eine vermeintliche „Wertediktatur“ und für ein Kalifat demonstriert hatten, wird ein Nachspiel haben. Die Hamburger CDU wird nun eine Sondersitzung des Innenausschusses beantragen. Hinter der radikalen Demonstration, die internationale Aufmerksamkeit fand, steht die Gruppe „Muslim Interaktiv“, eine Nachfolgeorganisation der verbotenen „Hizb ut-Tahrir“ (HuT), und laut Hamburger Verfassungsschutz eine „gesichert extremistische Bestrebung“. Die Linksfraktion fordert eine Selbstbefassung zum Thema in der kommenden Sitzung des Innenausschusses.

Noch am 10. April hatte die CDU-Fraktion in der Bürgerschaft nach einem Islamistentreffen in Allermöhe ein Verbot von „Muslim Interaktiv“ gefordert. Der Antrag, sich beim Bundesministerium des Innern für die Einleitung eines Verbotsverfahrens gegen „Muslim Interaktiv“ einzusetzen, scheiterte jedoch an der rot-grünen Mehrheit.

Islamisten-Demo in Hamburg: CDU kritisiert Rot-Grün scharf

Nach der jüngsten Demonstration in St. Georg zeigte sich der CDU-Fraktionschef Dennis Thering empört. „Es reicht nicht aus, dass Bundesinnenministerin Faeser diese Islamisten-Demonstration ‚schwer erträglich findet‘, sondern sie muss jetzt handeln und ein Verbotsverfahren gegen ‚Muslim Interaktiv‘ zügig durchsetzen“, sagte er am Montagmorgen dem Abendblatt.

Es sei vor diesem Hintergrund absolut unerklärlich, warum SPD und Grüne den Unions-Antrag zu einem Verbot von „Muslim Interaktiv“ in der Bürgerschaft abgelehnt haben. „Der Rechtsstaat muss jetzt ohne Wenn und Aber dem Islamismus mit aller Härte entgegentreten und unsere freiheitliche Gesellschaft mit aller Kraft verteidigen!“

Nach Demo in St. Georg: „Rechtsstaat muss dem Islamismus mit aller Härte entgegentreten“

Auch Politiker anderer Parteien kritisierten den Islamisten-Aufmarsch scharf. Die Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) nannte ihn „schwer erträglich“, Hamburgs Innensenator Andy Grote (SPD) sagte der „Bild“-Zeitung: „Ein solches Schaulaufen von Islamisten ist unerträglich und widert mich an. Die Versammlungsbehörde der Polizei hat allerdings eine Untersagung der Versammlung rechtlich klar ausgeschlossen.“ Tatsächlich nutzen die Islamisten geschickt die großzügige Versammlungsfreiheit in Deutschland aus, um für den Gottesstaat zu werben.

CDU-Fraktionschef Dennis Thering fordert, der Rechtsstaat müsse „jetzt ohne Wenn und Aber dem Islamismus mit aller Härte entgegentreten“
CDU-Fraktionschef Dennis Thering fordert, der Rechtsstaat müsse „jetzt ohne Wenn und Aber dem Islamismus mit aller Härte entgegentreten“ © dpa | Marcus Brandt

Aus der Hamburger Innenbehörde heißt es, ein Verbot der umstrittenen Demonstration sei über Tage sehr intensiv geprüft worden. Dafür habe sich insbesondere Innensenator Grote eingesetzt. „Die Versammlungsbehörde der Polizei hat allerdings eine Untersagung der Versammlung rechtlich klar ausgeschlossen“, sagte Behördensprecher Daniel Schaefer auf Abendblatt-Anfrage. „Extremistische Haltungen sind in Deutschland ein Fall für den Verfassungsschutz. Bis zu einem möglichen Verbot gelten aber auch für Extremisten Grundrechte wie die Versammlungsfreiheit“, so Schaefer.

Polizei Hamburg überprüft noch einmal Parolen und Transparente auf Straftaten

Die Polizei kann angemeldete Versammlungen nur dann verbieten, wenn im Vorfeld tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass von der Demonstration Gewalt ausgeht, die öffentliche Sicherheit und Ordnung gestört wird oder Straftaten – wie etwas Volksverhetzung oder die Bedrohung mit Gewalt (etwa: „Tod den Juden“) – begangen werden. So wurde die Versammlung am Wochenende unter strengen Auflagen genehmigt, nämlich dass es keine Aufrufe zu Gewalttaten, keine Volksverhetzung oder beispielsweise das Verbrennen von israelischen Flaggen geben dürfe. Daran hätten sich Veranstalter und Demonstranten den bisherigen Erkenntnissen zufolge gehalten.

Hamburgs Polizeipräsident Falk Schnabel: „Ohne konkrete Anhaltspunkte für eine unfriedliche Durchführung kann eine Versammlung nicht im Vorfeld verboten werden.“
Hamburgs Polizeipräsident Falk Schnabel: „Ohne konkrete Anhaltspunkte für eine unfriedliche Durchführung kann eine Versammlung nicht im Vorfeld verboten werden.“ © Innenbehörde Hamburg | Innenbehörde Hamburg

Aktuell würden unter anderem Parolen und Transparente, aber auch mehrere eingegangene Onlineanzeigen gemeinsam mit der Staatsanwaltschaft auf strafrechtliche Relevanz geprüft, sagte Polizeipräsident Falk Schnabel auf Anfrage des Abendblatts. Dazu werde auch öffentlich zugängliches Bild- und Videomaterial herangezogen. „Die Bilder sind schwer zu ertragen, aber wir mussten die Demonstration unter Auflagen zulassen“, so Schnabel. 

Da die Versammlungsfreiheit ein grundgesetzlich verankertes hohes Gut sei und ein Stützpfeiler der Demokratie, seien Verbote nicht ohne Weiteres möglich, sondern bedürften einer entsprechenden Gefahrenprognose, argumentierte Schnabel. „Insbesondere bei Versammlungen, bei denen hohe Emotionen im Spiel sein können, besteht oft die Befürchtung, dass es zu Gewalt kommen könnte. Aber auch hier gilt: Solange es keine konkreten Anhaltspunkte für eine unfriedliche Durchführung gibt, kann eine Versammlung nicht im Vorfeld verboten werden.“ Auch die entsprechenden Social-Media-Kanäle seien ausgewertet worden, um ein Verbot zu prüfen.

US-Milliardär Elon Musk hatte Hamburger Behörden kritisiert

Die Erklärung von Polizeipräsident Schnabel und aus der Innenbehörde können – wenn auch indirekt – als Replik auf Tesla-Chef Elon Musk verstanden werden, der am Wochenende auf seiner Plattform X (vormals Twitter) ein Bild der skandierenden Demonstranten in Hamburg geteilt und in Bezug auf deren Forderung nach Einführung eines Kalifats gefragt hatte: „Ist es in Deutschland nicht illegal, einen Regierungssturz zu fordern?“

Im Ergebnis sei die für ein Verbot erforderliche hohe Wahrscheinlichkeit für eine Beeinträchtigung der öffentlichen Sicherheit in diesem Fall nicht erkennbar gewesen“, erklärte Polizeipräsident Schnabel. Es habe keine konkreten Anhaltspunkte für einen unfriedlichen Verlauf der Versammlung gegeben. „Damit lagen insoweit die rechtlichen Voraussetzungen für die Erteilung eines Verbots nicht vor.“ Extremistische Haltungen dürfen in Deutschland geäußert werden.

CDU-Chef Thering: „Für diese Hetzer darf es in Hamburg keinen Platz geben“

Rund 1100 Islamisten waren am Sonnabend dem Demonstrationsaufruf von „Muslim Interaktiv“ gefolgt und mit „Allahu Akbar“-Rufen, „Kalifat ist die Lösung“-Plakaten und Parolen gegen die Medien durch St. Georg gezogen. „Diese Versammlung ist keine demokratische Kundgebung, sondern vielmehr ein Auflauf radikaler Islamisten, die ihre Missachtung gegenüber unserem Land, unseren Grundwerten, unserer freiheitlichen Gesellschaftsordnung und religiösen Vielfalt mit entsprechenden Parolen auf Hamburgs Straßen skandieren. Das ist absolut unerträglich“, sagte Thering.

Der rot-grüne Senat müsse sich fragen lassen, warum er diese Hetze auf Hamburgs Straßen ungestört zulasse. „Wir beantragen eine Sondersitzung des Innenausschusses, damit sich solche ungeheuerlichen Szenen nicht wiederholen. Für diese Hetzer darf es in Hamburg keinen Platz geben. Und ich erwarte, dass Hetze gegen Medien, Juden oder andere auf solchen Demonstrationen von der Polizei konsequent verfolgt und geahndet werden.“

Grüne widersprechen Therings Vorwurf

Die Grünen wollten das nicht so stehen lassen: „Hass, Hetze und Drohungen haben auf unseren Hamburger Straßen nichts zu suchen. Wir sehen die Aktionen von ‚Muslim Interaktiv‘ als Gefahr für unsere verfassungsgemäße Ordnung“, betonte auch Sina Imhof, innenpolitische Sprecherin der Grünenfraktion Hamburg. Es sei wichtig, alle Maßnahmen zu nutzen, um Aktivitäten wie die vom Wochenende einzudämmen, dazu gehöre die umfassende Prüfung eines Verbots, für das es aus ihrer Sicht genügend Gründe gäbe.

Den Antrag der Union aber habe man aus anderen Gründen abgelehnt. „Zuständig für die Prüfung eines Verbots sind die Sicherheitsbehörden, nicht das Parlament. Aus diesem Grund gab es für uns auch keinen Anlass, einem Bürgerschaftsantrag der Opposition zuzustimmen.“

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Die Argumente überzeugen die Opposition nicht. „Die Reaktionen von Bundesinnenministerin und Hamburger Innensenator auf die eindeutig verfassungsfeindliche Islamisten-Demonstration vom Wochenende sind völlig inakzeptabel“, sagte Anna von Treuenfels-Frowein, FDP-Abgeordnete in der Hamburgischen Bürgerschaft. Delegitimierer der Demokratie müssten eine eindeutige Antwort des Rechtsstaates erhalten. Der Innensenator verstecke sich hinter einer durchaus diskutablen, weiten Auslegung der Versammlungsfreiheit.

„Dabei gibt es durchaus Beispiele für eine engere Auslegung, die gegenüber anderen absehbar verfassungsfeindlichen Aufzügen zu einem Verbot geführt haben.“ Innenministerin Nancy Faeser (SPD) und Innensenator Grote sollten hier dringend nacharbeiten. „Religiöser Extremismus darf in unserem Land und auch in Hamburg keinen Millimeter Platz haben.“

Hamburgs Linke fordert Verbot von „Muslim Interaktiv“

„Muslim Interaktiv“ könne sich seit Jahren unter dem sehenden Auge des Verfassungsschutzes ungestört in Hamburg ausbreiten und junge Menschen für ihre menschenfeindliche Politik anwerben, kritisierte die Linke und erklärte: „Wir fordern das Verbot dieser Organisation.“ Daneben brauche es dringend eine Evaluation der bestehenden Präventionsarbeit gegen Islamismus.

„Wenn 1000 Menschen durch Hamburgs Straßen ziehen und das Kalifat fordern, zeigt das: Der Senat hat im Kampf gegen den Islamismus versagt“, sagte Cansu Özdemir, Fraktionsvorsitzende der Linksfraktion in der Hamburgischen Bürgerschaft. „Antimuslimischer Rassismus sei ein großes gesellschaftliches Problem und müsse entschlossen bekämpft werden. „Islamismus muss aber ebenso entschieden bekämpft werden, auch wenn er sich im Gewand des Kampfes gegen Islamfeindlichkeit tarnt. Islamistische Ideologie ist mit den Grundwerten der demokratischen Gesellschaft unvereinbar.“

Auch AfD-Fraktionschef Dirk Nockemann kritisierte den Senat: „Die Islamisten-Demo ist eine Schande für Hamburg“, sagte er. „Es kann nicht sein, dass wir uns in Deutschland von Kalifat-Fans auf der Nase herumtanzen lassen.“ Auch international sorgte die Kundgebung für Kopfschütteln.

Die Islam-Kritikerin und Autorin Necla Kelek vom Verein Säkularer Islam warnte, nach jüngsten Umfragen zeigten „vor allem jüngere Muslime eine auffällige Affinität zu islamistischem Gedankengut“. Ihre Konsequenz: „Wer die Scharia über das Grundgesetz stellt, ist falsch in diesem Land. Wer gegen die Grundrechte agitiert und das Grundgesetz als Wertediktatur diffamiert, wer, wie auf der Demonstration die Apartheit von Frauen vorführt – der schließt sich selbst aus der demokratischen Gemeinschaft aus und sollte wie ein Verfassungsfeind behandelt werden.“

Kelek ruft nun ihrerseits zu einer Demonstration auf, gemeinsam mit dem Verein „Kulturbrücke“ und der Kurdischen Gemeinde Deutschland. Sie hat eine Kundgebung für den kommenden Sonnabend um 13 Uhr am selben Schauplatz, dem Steindamm 33, angemeldet.

„Muslim Interaktiv“ rekrutiert auf TikTok Nachwuchs

„Muslim Interaktiv“ bereitet den Sicherheitsbehörden seit Längerem Kopfzerbrechen. Gerade vor dem Hintergrund des Nahostkonflikts werben radikale Islamisten gezielt junge Mitglieder an. Auf Plattformen wir TikTok rekrutieren sie geschickt Nachwuchs. Der Staatsschutz der Polizei und der Verfassungsschutz befassten sich weiterhin intensiv mit „Muslim Interaktiv“, hieß es am Montag aus der Hamburger Innenbehörde.

Einige Social-Media-Kanäle seien im vergangenen Jahr auf Initiative der Sicherheitsbehörden und des Bundeskriminalamtes abgeschaltet worden. Es habe zudem in Hamburg zahlreiche Ermittlungsverfahren und auch Hausdurchsuchungen nach der gewalttätigen Demonstration im vergangenen Oktober gegeben. Die vorangegangene Demonstration von „Muslim Interaktiv“ im Oktober vergangenen Jahres in St. Georg sei auf Grundlage der nach dem Hamas-Angriff auf Israel geltenden Allgemeinverfügung von vornherein verboten gewesen. Sie fand trotzdem statt, es gab Gewalt. Diese Allgemeinverfügung gilt jedoch schon lange nicht mehr.   

„Muslim Interaktiv“ sei gefährlich, „weil durch solche Veranstaltungen auf Sicht die Zahl der Islamisten und Scharia-Extremisten ansteigen kann“, warnte Verfassungsschutz-Chef Torsten Voß (58) jüngst. „Im Prinzip sei ‚Muslim Interaktiv‘ eine auf jung und cool getrimmte Nachfolgeorganisation der verbotenen Vereinigung „Hizb ut-Tahrir – Islamische Befreiungsfront“. In Deutschland wurde schon 2003 ein Betätigungsverbot gegen die international tätige Islamistenorganisation erlassen.