Hamburg. Die Gefallsucht des Präsidenten Thomas Haldenwang ist peinlich – erst eng mit Maaßen, nun mit Faeser. Seine jüngsten Ideen sind sogar gefährlich.
Wie sich die Zeiten ändern. Früher gehörte es im linken Spektrum zu einem politischen Evergreen, lauthals die Abschaffung des Verfassungsschutzes zu fordern. Als die Grünen noch fern der Macht waren, wollten sie die Schlapphüte kollektiv umschulen. Später, als die Linkspartei kritisch vom Kölner Amt beäugt wurde, wünschten die Erben der untergegangenen DDR den Verfassungsschutz zum Teufel. Nun möchte die sich gern auf harmlos schminkende AfD den Verfassungsschutz abschaffen. Allein derlei Forderungen könnten ein Argument für seine Existenz sein – Parteien, die so agieren, sollten sich Freunde der Verfassung durchaus etwas kritischer anschauen.
Mindestens genauso populär in der Debatte ist die Kritik am Verfassungsschutz. Als sich in Hamburg vor den Anschlägen von 2001 eine Terrorzelle bildete, ohne dass Mohammed Atta und seine Mörderbande aufflogen, hagelte es später Kritik – allerdings war auch der CIA nicht aufgefallen, dass die jungen Männer munter Flugunterricht in den USA nahmen.
Der Verfassungsschutz: zwischen Chaos-Behörde und Lebensversicherung
Das Verbot der NPD scheiterte daran, dass sich gleich elf V-Leute im Umfeld der Nazipartei tummelten. Ein besonders dramatisches Fiasko war die Mordserie des NSU: Über mehrere Jahre konnten die Rechtsterroristen neun Migranten und eine Polizistin ermorden, bevor man ihnen auf die Schliche kam – wegen eines Banküberfalls.
Zur Wahrheit gehört aber auch: Wenn dem Verfassungsschutz etwas entgeht, sind die Folgen oft fatal. Alles, was er entdeckt, von rechtsradikalen Zusammenrottungen über islamistische Bombenbastler bis zu linksextremen Überfallkommandos, läuft dagegen unter ferner liefen: Vereitelte Anschläge oder rechtzeitige Festnahmen bekommen kaum Schlagzeilen.
Angesichts eines wachsenden Narrensaums in unserer Gesellschaft ist ein Verfassungsschutz also keine schlechte Idee: Nachrichtendienstler sollten Ewiggestrigen, die das Tausendjährige Reich verpasst haben, ebenso auf die Finger schauen wie Reichsbürgern, die offenbar mehr als ein Jahrhundert verschlafen haben, und Kalifatsjüngern, die noch fest im Mittelalter verhaftet sind.
Maximale Distanz zu Maaßen: Will Haldenwang nur seiner Chefin gefallen?
Gerade weil der Verfassungsschutz wichtiger wird, möchte man ihn in guten Händen wissen. Beim derzeitigen Präsidenten Thomas Haldenwang beschleichen den neutralen Beobachter jedoch ein paar mittellaute Zweifel.
Fast fünfeinhalb Jahre diente er als treuer Vize unter einem nicht eben unumstrittenen Hans-Georg Maaßen, mit einer offensichtlichen Sehschwäche auf dem rechten Auge. Kaum ist Haldenwang dort Chef, geht er auf maximale Distanz. Das ist weder ein Ausweis besonderer charakterlicher Stärke noch politischen Mutes. Maaßen nun gar von seiner Behörde überwachen zu lassen, klingt nach überschießendem Eifer. Oder will das CDU-Mitglied Haldenwang seiner Ministerin Nancy Faeser (SPD) einfach gefallen?
Verfassungsrichter warnt vor Rechtsstaat, der Selbstmord aus Angst vor dem Tod begeht
Nicht alles, was missfällt, ist gleich ein Fall für den Verfassungsschutz, auch durchgeknallte Kritik nicht demokratiegefährdend. Wer Angela Merkel für eine Echse oder Bill Gates für einen Kinderbluttrinker hält, ist ein Fall für den Nervenarzt, aber nicht den Verfassungsschutz.
Peter Müller, einstiger Verfassungsrichter, warnte jüngst in Hamburg davor, fundamentale rechtsstaatliche Prinzipien aus Angst vor der AfD und Konsorten infrage zu stellen. „Ein Rechtsstaat, der sich selbst abschafft, um seine Feinde zu bekämpfen, begeht Selbstmord aus Angst vor dem Tod.“
Haldenwangs Ideen sind gefährlich: Wer schützt uns vor dem Verfassungsschutz?
Genau in diese Richtung gehen die jüngsten Einlassungen von Haldenwang. „Meinungsfreiheit ist kein Freibrief“, belehrte er in der „FAZ“. Es gebe „unterhalb der strafrechtlichen Grenzen und unbeschadet ihrer Legalität“ Meinungsäußerungen, die für den Verfassungsschutz relevant sein könnten. Wie bitte? Wo fängt das an? Und wo hört es auf?
Noch überraschender: Der Mann kann so einen Unsinn erzählen, ohne dass ihm massiver Gegenwind entgegenschlägt. Wenn aber der oberste Verfassungsschützer schon hellhörig wird, wenn Kritiker demokratische Entscheidungsprozesse verhöhnen, ohne die Demokratie als solche abzulehnen, müssen alle hellhörig werden, egal wo sie stehen. Dann ist Satire bald Landesverrat, und ein schlechter Witz wird zum Fall für den Schlapphut.
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