Hamburg. Mann soll in sechs Fällen in Häuser eingestiegen sein. Was eine solche Erfahrung mit Betroffenen macht und wie der Weisse Ring hilft.

Sie sind auf der Suche nach Wertsachen. Sie stehlen Geld, Schmuck oder auch Laptops. Doch wenn Einbrecher in eine Wohnung oder ein Haus eingedrungen sind, geht den Opfern meist viel mehr abhanden als die Halskette, die Geldscheine aus der Haushaltskasse oder der Computer. Was ebenfalls schwindet, ist die Sicherheit – das Gefühl, in seinem Zuhause geborgen zu sein. Viele Opfer sind so traumatisiert, dass sie psychologische Hilfe brauchen oder sogar eine andere Wohnung.Was häufig bleibt, ist die Angst.

Magdalena R. (Name geändert) ist so ein Fall. In das Haus der 58-Jährigen und ihres Mannes wurde im vergangenen Sommer eingebrochen und Wertsachen gestohlen. Jetzt sitzt die Hamburgerin als Zeugin im Prozess vor dem Landgericht, wo sich ein 22-Jähriger unter anderen wegen Wohnungseinbruchsdiebstahls verantworten muss, und schildert, wie sie die Tat erlebte. Als der Vorsitzende Richter sie fragt, wie die Tat psychisch auf sie gewirkt habe?, beginnt sie zu weinen. Vier Wochen sei sie damals krankgeschrieben gewesen, erzählt Magdalena R. „Ich konnte auch nicht mehr schlafen.“

Dem Angeklagten werden in dem Prozess sechs Taten im Zeitraum zwischen Juli und September vergangenen Jahres vorgeworfen. Dabei geht es neben Wohnungseinbruchsdiebstahl auch um gewerbemäßigen Diebstahl, nämlich in jenen Fällen, in denen der oder die Täter keine Fenster oder Tür aufgehebelt haben, sondern beispielsweise durch eine offene Terrassentür ins Haus gelangt sind. Ihr Mandant räume die Taten ein, sagt die Verteidigerin im Namen des Angeklagten. „Er weiß, dass er einen Fehler begangen hat.“

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Opfer Magdalena R. erzählt, dass sie morgens, bevor sie zur Arbeit gehen wollte, bemerkte, dass etwas ganz und gar nicht stimmte. Sie habe nach ihrem Schmuck sehen wollen. „Aber alle Schatullen waren leer.“ Sie habe ihren Mann alarmiert und gesagt: „Der Schmuck ist geklaut.“ Das sei „ein Schock gewesen“, auch wegen der Erfahrung, dass jemand Fremdes überhaupt in ihrem Haus gewesen war.

Dem Angeklagten (mit seiner Verteidigerin Alexandra Elek, rechts, und einer Dolmetscherin, links) wird unter anderem Wohnungseinbruchsdiebstahl vorgeworfen.
Dem Angeklagten (mit seiner Verteidigerin Alexandra Elek, rechts, und einer Dolmetscherin, links) wird unter anderem Wohnungseinbruchsdiebstahl vorgeworfen. © Bettina Mittelacher | Bettina Mittelacher

Wie der Täter genau ins Haus gelangt ist, kann die Zeugin nicht sagen. Einbruchsspuren gab es nicht. „Wenn wir zu Hause sind, ist nicht abgeschlossen.“ Es war das zweite Mal, dass bei ihnen eingebrochen wurde, erzählt die Hamburgerin. Insgesamt sei an jenem Julitag Schmuck im Wert von etwa 10.000 Euro gestohlen worden, unter anderem Erbstücke. Als der Angeklagte sich an die 58-Jährige wendet und sich für die Tat entschuldigt, sagt Magdalena R.: „Weil der Schmuck von meinen Eltern war, ist das nicht wieder gutzumachen.“

Immer wieder betreut die Opferschutzorganisation Weisser Ring auch solche Menschen, die Opfer eines Einbruchs geworden sind. „Besonders schlimm ist die Erfahrung, dass die Wohnung durchwühlt wurde“, sagt Kristina Erichsen-Kruse, stellvertretende Hamburg-Vorsitzende des Weissen Ringes. „Die Opfer haben dann oft das Gefühl, dass sie dort nicht mehr wohnen können, weil sie nicht mehr sicher sind.“ Viele erlitten ein „schweres Trauma“, erzählt Erichsen-Kruse. „Unsere Erfahrung ist, dass ein Einbruch mit durchwühlter Einrichtung häufig genau die gleichen traumatischen Folgen hat wie eine Gewalttat. Da gibt es oft keine Unterschiede. Die Opfer brauchen definitiv Hilfe, möchten am liebsten umziehen.“ Doch das gebe die Wohnungssituation in Hamburg meist nicht her.

Das Trauma der Opfer ähnelt dem nach einer Gewalterfahrung

Häufig erzählten die Opfer sinngemäß: „Das ertrage ich nicht. Der ist an meine Unterwäsche gegangen.“ Das sei ein schwerer Eingriff in den engsten Bereich eines Menschen. „Da steckt man nicht einfach die Wäsche in die Waschmaschine. Das reicht nicht. Die Kleidung kommt dann oft in den Müllsack.“ Für manche habe der Weisse Ring einiges an Wäsche neu gekauft, weil die Opfer die Kleidungsstücke, die ein Einbrecher angefasst hat, nicht mehr (er-)tragen könnten.

Kristina Erichsen-Kruse ist stellvertretende Hamburg-Vorsitzende der Opferschutzorganisation Weisser Ring. Sie wurde auch selber schon Opfer eines Einbruchs.
Kristina Erichsen-Kruse ist stellvertretende Hamburg-Vorsitzende der Opferschutzorganisation Weisser Ring. Sie wurde auch selber schon Opfer eines Einbruchs. © picture alliance / Eventpress | Eventpress rh

In anderen Fällen könne der Weisse Ring helfen, indem eine Sicherung der Wohnung der Betroffenen koordiniert und bezahlt werde. Da gehe es dann „um einen Riegel an der Tür, abschließbare Griffe an den Fenstern“ und weitere Sicherungen. Solche Maßnahmen müssten aber mit dem Vermieter besprochen werden.

„Die Einbrecher haben nachts vor dem Bett gestanden“

Erichsen-Kruse weiß selber zu genau, wie es sich anfühlt, wenn in das eigene Zuhause eingebrochen wird. Sie und ihr Mann wurden im Jahr 2016 selbst Opfer. „Die Täter sind nachts gekommen, über die Terrassentür“, erzählt Erichsen-Kruse. „Sie haben alles durchsucht, haben auch im Schlafzimmer vor dem Bett gestanden und die Schränke geöffnet. Wir sind Gott sei Dank nicht aufgewacht.“ Denn wer weiß, ob die Situation dann weiter eskaliert wäre, sprich: ob die Einbrecher womöglich die Wohnungsbesitzer attackiert hätten.

Bemerkt hat das Ehepaar die Tat am frühen Morgen. „Als mein Mann aus dem Bett stieg, trat er auf etwas, das dort eigentlich nicht sein sollte.“ Der störende Gegenstand entpuppte sich als ein Knüppel aus leichtem Holz, der eigentlich im Nachtschrank verwahrt wurde. „Jetzt lag er auf dem Fußboden. Es war klar, dass etwas ganz und gar nicht in Ordnung war.“ Das Paar alarmierte die Polizei, die sehr schnell kam, Spuren sicherte und wenig später auch über ein Merkblatt informierte, was zu tun ist, falls man psychologische Hilfe braucht.

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„Der Schock über die Tat hat erst ein paar Stunden später eingesetzt“, erzählt Erichsen-Kruse. Sie und ihr Mann hätten sich auch vergewissert, was gestohlen wurde. „Wir sind noch relativ glimpflich davongekommen. Wir haben ein Portemonnaie eingebüßt, mit wenig Geld. Aber alle meine Papiere waren weg. Ich habe Monate mit der Neubeschaffung verbracht. Das hat die Erinnerung an den Einbruch weiter wachgehalten.“ Außerdem hätten die Einbrecher „zwei Ringe gestohlen, die ich sehr geliebt“ habe. Sie hatten auf dem Nachttisch gelegen. Zudem stahlen die Täter eine Goldkette, die im Sekretär aufbewahrt worden war.

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Die Konsequenz, die Erichsen-Kruse und ihr Mann damals zogen: Sie ließen binnen weniger Tage ihre Wohnung mit Sicherheitsmechanismen ausrüsten, also unter anderem mit abschließbaren Fenster- und Türgriffen und weiteren Maßnahmen, die dafür sorgen, dass die Terrassentür nicht aufgehebelt werden kann.

Doch auch die beste Ausrüstung der Wohnung könne die schlimme Erfahrung nicht völlig ausradieren, berichtet Erichsen-Kruse. „Was mir geblieben ist, bis heute: Wenn ich nachts aufwache, stehe ich auf und gehe einmal durch die Wohnung, um mich zu vergewissern, dass alles in Ordnung ist.“ Und abends, wenn sie nach Hause komme, „mache ich sofort das Licht an“. Sie gehe nicht einmal in ihren Keller, ohne die Balkontür abzuschließen. „Und ich schlafe nicht bei abgeklappten Fenstern.“ Das traumatische Erlebnis sei eben: „Da ist jemand Fremdes im Haus gewesen. Das bin ich nie ganz losgeworden.“