Wie der Weiße Ring hilft. Vor mehr als drei Jahren wurde bei einer fast blinden Frau eingebrochen. Noch immer leidet sie an den Folgen.

Als Sabine Asche (43, Name geändert) an dem Dezembertag 2014 ihre Wohnung betrat, spürte sie sofort, dass etwas nicht stimmen konnte. Die Luft roch viel zu frisch, dabei hatte sie sich doch über Weihnachten bei ihrem Freund einquartiert. Dann bemerkte sie das offene Fenster, sie war ganz sicher, dass sie es geschlossen hatte. Als sie im Schlafzimmer die vielen Kleidungsstücke auf dem Bett sah, war ihr klar, was passiert war: „Hier ist eingebrochen worden.“ Die alarmierten Polizeibeamten stellten fest, dass das Fenster aufgehebelt worden war.

Gut drei Jahre später klingelt Christine Brill mit dem Abendblatt-Reporter bei Sabine Asche. Ein Hund schlägt sofort an, Malte ist als Führhund Sabine Asches unverzichtbarer Begleiter, sie kann seit ihrer Geburt kaum etwas sehen. Die beiden Frauen begrüßen sich herzlich, Christine B. betreut das Einbruchsopfer für die Organisation Weißer Ring, die sich seit 1979 für die Opfer von Verbrechen und deren Angehörige einsetzt.

Einbrüche gehören zu den Massendelikten in Deutschland. Etwa alle drei Minuten schlagen Täter in der Bundesrepublik zu, in Hamburg wurden im vergangenen Jahr 5769 Taten angezeigt. Mitunter zerstören die Einbrecher in blinder Wut das gesamte Mobiliar, es gibt Opfer, die mangels einer Hausratversicherung wirtschaftlich in existentielle Not geraten. Wer Schicksalsberichte in einschlägigen Foren liest, könnte denken, dass Sabine Asche noch Glück im Unglück gehabt habe. Die Einbrecher demolierten nichts, stapelten bei ihrer Suche nach Beute sogar die Pullover, T-Shirts, Blusen und Jacken ordentlich aufs Bett. Sie klauten auch keinen Schmuck, der für die Opfer oft als Erbstücke auch von unschätzbarem ideellem Wert ist. Sabine Asche büßte nur ihren drei Jahre alten Laptop ein, alle Daten hatte sie vorab gesichert. Ihre Hausratversicherung ersetzte alle Schäden, auf Vermittlung des Weißen Rings sorgte die Hausverwaltung für den Einbau von besonders gegen Einbruch gesicherten Fenstern.

Die Tat markiert eine Zäsur im Leben

Doch ihr Fall zeigt, dass die psychischen Folgen eines Einbruchs nicht von den materiellen Schäden abhängen. Die Tat markiert dennoch eine Zäsur in ihrem Leben. Besonders hart seien die ersten Tage nach dem Einbruch gewesen. „Ich habe meine Wohnung regelrecht bewacht. Ich hatte einfach nur Angst und Panik.“

Wie traumatisch ein Einbruch wirken kann, zeigt eine Untersuchung des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen. Für die Studie wurden Opfer von Einbrüchen in fünf Städten befragt. 42,2 Prozent der Betroffenen klagten noch zwölf Monate nach der Tat über Schlafstörungen und Angstzustände. Mehr als die Hälfte der Betroffenen gab an, sich macht- oder hilflos zu fühlen. „Die Auswertungen verdeutlichen, dass Einbrüche durchaus den Charakter eines traumatisierenden Erlebnisses annehmen können“, schreiben die Forscher. Jeder vierte Betroffene erklärte, dass er wegen des Einbruchs umgezogen sei oder es gern gemacht hätte, dies aber vor allem wegen der Kosten am Ende verworfen habe.

Jeder Einbruch bedeutet auch einen Angriff auf die Intimsphäre

Auch Sabine Asche erwog, ihre Wohnung zu verlassen: „Bei jedem Geräusch stand ich senkrecht im Bett.“ Aber sie war erst kurz zuvor aus Stuttgart an die Elbe gezogen, zudem ist die Wohnung ein Glücksfall für sie. In der Nähe einer S-Bahn und barrierefrei, wichtig für sie, da sie bei rheumatischen Schüben auf einen Rollstuhl angewiesen ist. „Daher bleibe ich hier. Aber bei einem zweiten Einbruch würde ich wohl umziehen.“

Dass sie inzwischen mit einem Reporter über den Einbruch reden kann, hat sie vor allem dem Weißen Ring zu verdanken, die Polizei hatte ihr empfohlen, sich an die Opferschutz-Organisation zu wenden. Christine B. organisierte Therapiegespräche bei einem auf Krisenintervention spezialisierten Psychologen, finanziert vom Weißen Ring. Mit ihm arbeitete Sabine Asche ihr Trauma auf. Denn jeder Einbruch bedeutet auch einen Angriff auf die Intimsphäre. „Jemand hat in meiner Unterwäsche gewühlt, der Gedanke ist nur schwer auszuhalten“, sagt Sabine Asche. Zudem waren auf dem Laptop auch ihre privaten Mails.

Plötzlich standen maskierte Männer vor dem Bett

Auf den Weg zurück in die Normalität musste sie sich zuweilen zwingen. „Wenn ich mit Freunden in der Kneipe saß, wäre ich am liebsten schnell wieder umgekehrt, um wieder in der Wohnung nach dem Rechten zu sehen. Ich musste mich oft überwinden, noch ein zweites Getränk zu bestellen.“

Christine B. kennt das, sie hat für den Weißen Ring mehrere Einbruchsopfer betreut. Besonders nahe gegangen ist ihr der Fall einer Frau, die wegen eines Brandschadens in ihrem Haus kurzzeitig in die WG ihres Freundes gezogen war. In der ersten Nacht standen plötzlich maskierte Männer vor dem Bett. Die mit Messern bewaffneten Täter bedrohten das Paar, forderten es auf, ihnen die EC-Karten nebst Geheimzahlen zu geben – binnen weniger Minuten nach dem Überfall hoben die Verbrecher insgesamt 2000 Euro ab. Das Paar ließ sich getrennt therapieren, auch hier sorgte der Weiße Ring für einen Psychologen.

Einbrecher scheuen meist den Kontakt mit ihren Opfern

„Zum Glück sind solche Fälle eher selten, in der Regel scheuen Einbrecher die direkte Konfrontation mit ihren Opfern“, sagt Christine B.. Seit ihrer Pensionierung vor vier Jahren arbeitet sie für den Weißen Ring als ehrenamtliche Betreuerin. Die diplomierte Sozialpädagogin hatte sich zuvor im Jugendbereich oft um junge Straftäter gekümmert, jetzt steht sie ganz auf Seiten der Opfer: „Sie haben in Deutschland leider kaum eine Lobby, deshalb ist unsere Arbeit so wichtig“

Einbruch: So kann man sich schützen

Auch vor dem Hintergrund von Schicksalen wie von Sabine Asche gründete die Polizei 2015 die „Soko Castle“. Unter der Leitung der Kriminaloberrätin Alexandra Klein ermittelt jetzt ein 100 Personen starkes Team bei Einbrüchen, seitdem werden diese Taten nicht mehr wie Alltagskriminalität abgearbeitet. Die „Soko Castle“ befragt Opfer genau, erstellt Täterprofile und vernetzt sich bundesweit, da viele Banden in ganz Deutschland operieren. Mehrere Serientäter, auf deren Konto zum Teil mehr als 200 Einbrüche gingen, konnte die „Soko Castle“ inzwischen festnehmen. Auch bei der Staatsanwaltschaft haben sich mehrere Juristen auf diese Täter spezialisiert. Der Erfolg zeigt sich in der Kriminalstatistik. 2017 ging die Zahl der angezeigten Einbrüche gegenüber 2015 um 35,9 Prozent zurück. Allerdings gilt dies vor allem für die gutsituierten Stadtteile rund um die Alster und in den Walddörfern. In Wilhelmsburg und in den großen Wohnquartieren im Bezirk Bergedorf stiegen die Zahlen sogar wieder an.

Dass Ganoven mit allen Tricks arbeiten, erfuhr Sabine Asche ein zweites Mal, als eine Frau bei ihr klingelte und den Stromzähler ablesen wollte. Sabine Asche ließ die Frau nicht in ihre Wohnung, ein späteres Telefonat mit ihrem Stromversorger ergab, dass es sich dabei nur um eine Betrügerin handeln konnte. „Vielleicht wollte die Frau meine Wohnung für einen späteren Einbruch auskundschaften“, sagt Sabine Asche. Die Angst vor dem zweiten Mal schwingt immer mit.

Der Weiße Ring

Seit drei Wochen erklärt das Hamburger Abendblatt jeden Sonnabend exemplarisch an einem Fall, wie der Weiße Ring Verbrechensopfern und ihren Angehörigen hilft. Das Opfertelefon ist täglich von 7 bis 22 Uhr unter der kostenlosen bundesweiten Rufnummer 11 60 06 besetzt.

Am 22. März, dem Tag der Kriminalitätsopfer, gestaltet der Weiße Ring Hamburg mit Bischöfin Kirsten Fehrs einen Gottesdienst in der Hauptkirche St. Jacobi ein (18 Uhr, Steinstraße). Mit dabei ist auch Dorothee Stapelfeldt (SPD), Senatorin für Stadtentwicklung und Wohnen, sowie der Hamburger Sänger Stefan Gwildis. Im Anschluss an den Gottesdienst gibt es für alle die Möglichkeit zu Gesprächen bei Brot und Wein im Südschiff der Kirche.