Hamburg. Vor dem Hamburger Gericht war die 28-Jährige wegen Totschlags angeklagt. Über ihren verstorbenen Sohn sagte sie: „Ich vermisse ihn jeden Tag.“
Der kleine Kerl war auf Liebe angewiesen, auf Zuwendung, auf Fürsorge. Florian (Name geändert) war gerade mal fünf Monate alt, und er weinte. Doch anstatt sich um ihn zu kümmern, legte die Mutter zwei Decken über ihren Sohn, damit er still ist. Der Säugling erstickte. Später sagte die 28-Jährige über ihr Kind: „Ich vermisse ihn jeden Tag.“
„Dieser Fall ist besonders traurig und tragisch, weil das Opfer ein kleines Baby ist, also jemand, der überhaupt keine Chance hat, sich zu wehren“, sagt Gerichtsreporterin Bettina Mittelacher in „Dem Tod auf der Spur“, dem Crime-Podcast des Abendblattes mit Rechtsmediziner Klaus Püschel, über den dramatischen Fall aus Hamburg. „Fälle von verbrecherischen Handlungen an Kindern, also an den Schwächsten unserer Gesellschaft, sind sehr schwer zu ertragen“, bestätigt Püschel. „Allerdings ist es andererseits extrem wichtig, auf solche Taten hinzuweisen und davon zu erzählen. Denn wir wollen auf Gefahren aufmerksam machen und damit erreichen, dass sich vergleichbare Schicksale möglichst nie wieder ereignen.“
Prozess Hamburg: Mutter legt Decken über ihr Baby und schaut Handyvideos
Was ist passiert? Eine junge Mutter ist an einem Novemberabend im Jahr 2015 mit ihrem Säugling allein zu Hause. Das Baby schreit. Die 28-Jährige fühlt sich überfordert und will einfach nur ihre Ruhe haben. Also breitet sie über dem weinenden Säugling, der in Bauchlage im elterlichen Bett liegt, zwei große Decken aus. Dann geht sie aus dem Zimmer.
Sabrina T. (Name geändert) macht sich wahrscheinlich keine großen Gedanken darüber, was sie getan hat. Sie ist froh, dass das Baby jetzt leise ist. Sie geht nun ins Wohnzimmer und schaut auf ihrem Handy eine Castingshow an. Nach einer halben Stunde sieht sie zum ersten Mal wieder nach ihrem Kind. Da ist der Junge regungslos. Die Frau wird panisch, wählt den Notruf. „Er ist total weiß angelaufen!“, sagt sie in dem Telefonat unter Schluchzen. Der Mitarbeiter der Leitstelle fordert sie auf, das Kind Mund-zu-Mund zu beatmen. Dann erklärt er der Mutter, wie sie eine Herzrhythmusmassage machen müsse. Allerdings ist das bei einem so jungen Kind für Laien schwierig. Wahrscheinlich dominiert bei einem unerfahrenen Helfer die Angst, man könne so einen kleinen Körper beschädigen.
Rechtsmediziner Püschel: „Der Säugling ist unter den Decken leise gestorben“
„So hat das auch später die Mutter im Prozess erzählt“, berichtet Mittelacher. „Die Frau sagte, sie habe ihr Baby retten wollen. ,Aber ich konnte das kleine Herz nicht finden.‘“ „Tatsächlich ist der Säugling unter den Decken leise gestorben“, erläutert Püschel. „Und das geschah bereits wenige Minuten, nachdem die Mutter ihn so zugedeckt hatte. Man darf nicht vergessen: So ein kleines Kind ist nicht in der Lage, sich von den Decken, die von den Maßen her für Erwachsene gedacht waren, freizustrampeln. Man kann sagen, dass die Mutter von dem Moment an, in dem sie ihr Baby so massiv mit Decken zugedeckt hatte, maximal noch fünf Minuten gehabt hätte, um das Kind vor dem Ersticken zu retten. Alles danach ist zu spät.“
So haben es damals auch die Rettungskräfte erlebt. Sie waren zwar nach dem Notruf der Mutter sehr schnell in der Wohnung der Familie, konnten aber nicht mehr helfen. Was die Frau zu dem Geschehen sagte, erzählte später ein Feuerwehrmann als Zeuge vor Gericht: Demnach habe sie Decken auf ihren Sohn gelegt. Und weiter: „Ich habe das Schreien nicht mehr ertragen. Ich dachte nicht, dass es so schlimm ist. Ich will ins Gefängnis.“
Angeklagte spricht vor Hamburger Gericht von einem „Wirbelsturm der Gedanken“
Später wurde die Frau wegen Totschlags angeklagt und kam vor das Schwurgericht. Im Prozess sagt die Angeklagte, dass sie „unendlich unter dem Tod“ ihres Kindes leide. Dass ihr aber an jenem Abend alles zu viel wurde. Damit gemeint war ein Familienleben, das offenbar alles andere als harmonisch war. Ihr Partner habe sie geschlagen, erzählt die junge Frau. Ihre finanzielle Situation sei desolat gewesen, sie habe sich insgesamt überfordert gefühlt. Und dann habe ihr Sohn, der eigentlich die meiste Zeit ein eher pflegeleichtes Kind gewesen sei, auch noch wie am Spieß geschrien. Er habe sich nicht beruhigen lassen.
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Da habe es sich angefühlt, sagt die Angeklagte, als würde in ihrem Kopf „ein Wirbelsturm der Gedanken“ toben. Also habe sie dafür gesorgt, dass ihr Kind nicht mehr schreit, indem sie die Decken über ihren schreienden Jungen deckt. Dann setzt sich Sabrina T. ins Wohnzimmer und schaut sich auf dem Handy eine Fernsehshow an. Die Tat selbst bezeichnet Sabrina T. als „Fehlverhalten“, dem ein ganzer „Problemberg“ zugrunde gelegen habe.
Sie redet vom „Wunschkind“. Aber will er überhaupt Vater werden?
Die Angeklagte erzählt von ihrer Kindheit in Bosnien, wo sie aufwuchs. Diese Zeit sei vom Krieg, der von 1992 bis 1995 in dem Land tobte, überschattet gewesen. Die 28-Jährige schildert weiter, dass ihr Vater sie geschlagen habe. Nach der Flucht der Familie nach Deutschland hatte sie Probleme, im Schulunterricht mitzukommen. Später arbeitete sie als Kassiererin.
Als Sabrina T. im Sommer 2014 ihren Partner Anton F. (Name geändert), kennenlernt, zieht sie nach wenigen Tagen bei ihm ein. Er hat im Restaurantgewerbe Schichtdienst. Sie fühlt sich oft allein und vernachlässigt, sie langweilt sich. Und sie geht fremd. Sie wird schwanger, entscheidet sich für eine Abtreibung, setzt dann aber erneut die Pille ab, ohne es Anton F. zu sagen. Sie wird erneut schwanger. Dieses Mal entscheidet sie sich dafür, das Kind zu bekommen.
Prozess in Hamburg: Mutter „fühlte sich wie eine Sklavin“
Im Prozess erzählt die Angeklagte, ihr Partner habe sich keine Kinder gewünscht. Aber für sie sei der kleine Junge ein Wunschkind gewesen. Sie habe Anton F. auch heiraten wollen. Doch er habe sich ihr gegenüber aggressiv und gewalttätig verhalten. „Er trank viel Alkohol und schlug mich“, sagt sie. „Ich fühlte mich wie seine Sklavin.“ Er habe sie auch gedemütigt. Anton F., der Vater des Säuglings, sagte indes im Prozess, er habe sich eine Familie gewünscht und sich über seinen Sohn gefreut.
Eine Hebamme, die nach der Geburt des kleinen Jungen Hausbesuche bei der Familie machte, erzählt als Zeugin im Prozess, der Vater habe gegenüber seiner Lebensgefährtin latent aggressiv gewirkt, sie angeherrscht und herumkommandiert. Das Jugendamt wird eingeschaltet, das wiederum veranlasst, dass eine Kinderkrankenschwester mehrere Hausbesuche bei der Familie macht. Diese erzählt, dass die Beziehung der Eltern extrem kühl gewirkt habe. Allerdings hatte keiner der Zeugen das Gefühl, dass das Baby in Gefahr sein könnte.
Richterin: „Sie haben Ihr Baby, welches sich nicht wehren konnte, getötet“
Doch am Tattag lief aus Sicht von Sabrina T. vieles schief. Ein Date, auf das sie sich gefreut hatte, platzte. „Also war sie unzufrieden. Und dann weinte ihr Baby und ließ sich nicht beruhigen“, fasst Püschel zusammen. „In der Tat können Säuglinge und Babys manchmal anstrengend sein. Doch es gehört zum Elternsein dazu, dass man sich trotzdem um sein Kind kümmert und fürsorglich mit ihm umgeht. Babys sind hilflos. Sie können sich nur mitteilen, indem sie weinen, wenn es ihnen schlecht geht.“
„Aber Sabrina T. hatte offenbar an diesem Abend, anders, als es notwendig gewesen wäre, keinen Sinn für die Bedürfnisse ihres Sohnes“, meint Mittelacher. „Sie wollte ihre Ruhe.“ Also warf sie die beiden Bettdecken auf ihr Kind und widmete sich ihrem Handy. Bis sie etwa eine halbe Stunde später merkte, dass das Baby nicht mehr atmet.
Am Ende verhängt das Schwurgericht eine Freiheitsstrafe von sieben Jahren und acht Monaten für die Angeklagte und folgte damit im Wesentlichen dem Antrag der Staatsanwaltschaft. „Sie haben Ihr Baby, welches sich nicht wehren konnte, getötet“, sagt die Vorsitzende Richterin. Wo das Motiv lag, habe die Kammer nicht eindeutig aufklären können. Die Frau sei schuldfähig, es sei auch keine Handlung im Affekt gewesen. „Sie haben mindestens fünf Minuten Zeit gehabt, Ihr Baby zu retten.“