Hamburg. Hamburger sagt im Prozess: „Ich bin der Täter, ich habe kein Mitleid verdient.“ Wie sehr Alkohol die Fahrtüchtigkeit beeinträchtigt.

Plötzlich rast ein Auto auf sie zu: Passanten, die an einer roten Ampel gewartet haben, werden von dem schweren Wagen erfasst und durch die Luft geschleudert. Im nächsten Moment ist alles voller Blut; Schwerverletzte müssen an der viel befahrenen Straße in Hamburg versorgt werden. Eine 26-Jährige stirbt später im Krankenhaus, ein anderer Mann wird bei dem Unfall so massiv verletzt, dass sein Leben über Jahre beeinträchtigt ist. Der Autofahrer, der all dieses Leid verursacht hat, war stark alkoholisiert, als er sich ans Steuer gesetzt hatte. Er hatte rund 1,5 Promille.

„Auf Hamburgs Straßen, genauso wie bundesweit, kommt es immer wieder zu Unfällen mit schwersten Folgen“, sagt Abendblatt-Gerichtsreporterin Bettina Mittelacher in „Dem Tod auf der Spur“, dem Crime-Podcast des Hamburger Abendblattes mit Rechtsmediziner Klaus Püschel. „Es sind häufig Verkehrsunglücke, bei denen Alkohol am Steuer eine Rolle spielt. So wie in unserem heutigen Fall. Man darf darüber spekulieren, ob es zu diesem Unfall vom 14. April 2020 auch gekommen wäre, wenn der Fahrer nicht betrunken gewesen wäre.“

Prozess Hamburg: Autounfall – die schlimmen Folgen von Alkohol am Steuer

„Es spricht viel dafür, dass es diesen Unfall mit seinen schlimmen Folgen dann nicht gegeben hätte“, meint Püschel. „Immerhin hatte der 44-Jährige, als er sich an jenem verhängnisvollen Tag ans Steuer seines Mercedes gesetzt hat, mehr als 1,5 Promille – also dreimal so viel, wie er maximal hätte haben dürfen. Und deutlicher Alkoholgenuss, das wissen hoffentlich alle, führt dazu, dass die Risikobereitschaft erhöht ist. Gleichzeitig nimmt die Reaktionsfähigkeit ab, die Konzentration lässt nach.“

„Dem Tod auf der Spur“, der True-Crime-Podcast mit Rechtsmediziner Klaus Püschel und Gerichtsreporterin Bettina  Mittelacher.
„Dem Tod auf der Spur“, der True-Crime-Podcast mit Rechtsmediziner Klaus Püschel und Gerichtsreporterin Bettina Mittelacher. © Hamburg | Hamburger Abendblatt

Bei dem Unfall an jenem 14. April 2020 rast ein Mercedes E350d über die Kieler Straße, schert dann urplötzlich nach rechts aus. Ein Zeuge, der das beobachtet, fühlt sich bei dem Manöver an eine „abprallende Billardkugel“ erinnert. Mit einem Tempo von etwa 80 km/h rammt der Mercedes einen Ampelmast und erfasst zwei Menschen – mit schwersten, sogar tödlichen Folgen. Eine 26-Jährige erliegt wenige Tage nach dem Ereignis ihren massiven Verletzungen. Und ein 32-Jähriger muss nach der Kollision viele Operationen über sich ergehen lassen.

Mercedes-Fahrer sagt bei Prozess in Hamburg: „Ich habe kein Mitleid verdient“

Vor Gericht muss sich der Mercedes-Fahrer unter anderem wegen fahrlässiger Tötung verantworten. Ihm wird vorgeworfen, alkoholisiert und deutlich zu schnell unterwegs gewesen zu sein. Der Angeklagte Mehmet P. (Name geändert) lässt über seinen Anwalt erklären: „Ich bin der Täter, ich habe kein Mitleid verdient.“ Danach wendet er sich persönlich an die Eltern der Getöteten und den überlebenden 32-Jährigen. „Ich schäme mich“, sagt der Angeklagte.

Damals hatte sich der Hamburger ans Steuer gesetzt, nachdem er – nach einem Streit mit seiner Frau – viel zu viel Alkohol getrunken hatte. Eine Frau hat als Zeugin geschildert, er sei immer wieder ganz dicht auf ihren Wagen aufgefahren, als wolle er sie rammen. „Und nach dem folgenschweren Unfall gab es offenbar Autofahrer, die sich vom Schicksal der Schwerverletzungen überhaupt nicht haben berühren lassen“, erzählt Mittelacher.

Unfallopfer in Hamburg wäre beinahe ein zweites Mal überfahren worden

So hat es zumindest ein Zeuge im Prozess geschildert. Viele Autofahrer hätten nicht angehalten, sondern seien um die lebensgefährlich Verletzte herumgefahren. „Ich musste mich in den Verkehr stellen und dafür sorgen, dass sie nicht ein zweites Mal überfahren wird“, sagt der Zeuge. „Es war grotesk.“

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„Das hört sich wirklich so an, als hätten etliche Menschen null Mitgefühl gehabt“, findet Püschel. „Aber andere haben sich um die Verletzten gekümmert.“ Unterdessen betreuen weitere Helfer den geschockten Unfallfahrer. Einer Beamtin gegenüber behauptet er: „Ich bin ganz normal gefahren.“ Eine andere Polizeizeugin berichtetet, dass der Beschuldigte die Tragweite des Unfalls nicht erfasst habe. Er habe nur wissen wollen, wie stark sein Auto beschädigt war.

Schwerer Unfall in Hamburg: Eine Frau stirbt, einem Mann droht Amputation seines Beins

Der Unfallfahrer hat bei dem Unglück nur Prellungen erlitten. Ganz anders die Fußgänger, die von seinem Wagen erfasst wurden. Nicht nur die 26-Jährige hat lebensgefährliche Verletzungen davongetragen, auch ein 32-Jähriger wurde so schwer verletzt, dass eine Beinamputation nur knapp vermieden werden kann. Zwölfmal musste der Mann operiert werden. Als Zeuge erzählt er zwei Jahre nach dem Unfall im Prozess vor dem Amtsgericht, er sei zwar nicht mehr auf einen Rollstuhl angewiesen, aber weiter beeinträchtigt. „Mein Traum: wieder schmerzfrei leben“, sagt er.

Das Amtsgericht verhängt schließlich eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren gegen den Unfallfahrer. Diese seien wegen der Dimension des Unfalls erforderlich, meint der Richter. Allerdings setzt er die Strafe zur Bewährung aus, unter anderem, weil sich der Angeklagte vor diesem Unfall nichts habe zuschulden kommen lassen. „Hier steht kein typischer Verkehrsrowdy“, sagt der Richter. Zudem bereue Mehmet P. das Geschehen zutiefst.

Richter: „Hier steht kein typischer Verkehrsrowdy“

Gegen das Urteil geht die Staatsanwaltschaft, die eine Freiheitsstrafe ohne Bewährung gefordert hatte, in Berufung. Deshalb kommt es zu einem weiteren Verfahren vor dem Landgericht. Der Verteidiger des Angeklagten sagt in diesem Prozess Ende 2023, Mehmet P. bereue die Tat „zutiefst“. „Er schläft schlecht, träumt schlecht.“

Der schwer verletzte 32-Jährige, der vor dem Landgericht unter anderem über die Unfallfolgen berichtet, betont, dass der Angeklagte nicht ins Gefängnis soll. „Ich glaube, wir sind alle genug bestraft mit dem, was wir hier haben“, sagt der Hamburger. Wenn der Unfallfahrer ins Gefängnis müsse, würden auch dessen kleine Kinder mitbestraft. Das will der ehemalige Krankenpfleger nicht.

Nach Unfall in Hamburg: Eltern der getöteten 26-Jährigen haben Fahrer verziehen

So sehen das ebenfalls die Eltern der bei dem Unfall getöteten 26-Jährigen. Sie teilen über ihren Anwalt mit, dass ein Urteil, bei dem der Angeklagte hinter Gitter komme, „unangemessen“ sei. Der Angeklagte habe Reue gezeigt und ihnen gegenüber sein Bedauern ausgedrückt, sagt der Anwalt der Eheleute. „Die Nebenkläger haben ihm verziehen.“ Das Landgericht verhängt schließlich eine Freiheitsstrafe von 18 Monaten, die zur Bewährung ausgesetzt werden. Das Urteil ist inzwischen rechtskräftig.

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