Bergedorf. „Guter Start für Hamburgs Kinder“ – so heißt das Programm, mit dem sozial belastete Familien und Alleinerziehende unterstützt werden.
Fünf Millionen Kinder starben jährlich weltweit, bevor die UN-Kinderrechtskonvention im Jahr 1990 unter dem Titel „Frühe Hilfen“ mehr Aufklärung forderte. „Bis heute hat sich die Zahl immerhin halbiert. Es geht vor allem um vermeidbare Todesursachen wie das Schütteltrauma und den plötzlichen Kindstod“, erklärte Bergedorfs Jugendamtsleiterin Gisela Schulze nun im Jugendhilfe-Ausschuss des Bezirks. Der profitiere vom 2012 eingeführten Bundesprogramm und aus Landesmitteln: „Für unsere drei multiprofessionellen Familienteams erhält Bergedorf rund eine halbe Million Euro im Jahr.“
In dem Programm „Guter Start für Hamburgs Kinder“ kümmern sich jeweils eine Familienhebamme und eine Sozialpädagogin um belastete Familien: Während der Verein Sprungbrett die Teams in Neuallermöhe und dem Landgebiet leitet, sind es die „Nestlotsen“ der Pestalozzi-Stiftung für Bergedorf-Kern und Bergedorf-West. Sie sorgen sich vor allem um Familien aus armen Verhältnissen, um Alleinerziehende und Migrationsfamilien (Dolmetscher und Kulturmittler stehen zur Verfügung). Dazu kommen junge Mütter unter 18 Jahren und natürlich jene Kinder, deren Eltern eine psychische oder körperliche Behinderung haben.
„Es geht darum, die Lebensbedingungen zu stabilisieren“
„Allein im vergangenen Jahr haben die drei Teams 223 intensive Einzelfallhilfen geleistet, zum Teil auch mit Hausbesuchen und mehreren Beratungskontakten unterstützt“, sagt Bergedorfs Netzwerk-Koordinatorin Bettina Waffek. Insgesamt konnten 465 Familien in den Hebammen-Sprechstunden in den Wohnunterkünften erreicht werden. „Dazu kamen in den Gruppenangeboten 2058 angeleitete Erwachsene mit noch einmal so vielen Kindern“, so Waffek.
Die Hausbesuche beginnen schon in der Schwangerschaft und währen bis zum dritten Geburtstag. „Es geht darum, die Lebensbedingungen zu stabilisieren“, sagt Sozialpädagogin Carola Miehe und betont, dass die Zahlen in 2022 „explodiert“ seien. Den großen Hilfebedarf bestätigt auch Familienhebamme Natascha Neben: Man unterstütze bei Behördenkontakten ebenso wie mit Gruppen, in denen Unfallverhütung, Erste Hilfe und Baby-Massagen (hilft bei Schrei-Kindern) im Vordergrund stehen, „auch bieten wir Akupunktur zur Stressentlastung oder Traumabewältigung an“.
Jedes Baby bekommt einen Mini-Schlafsack geschenkt
Baby-Lotsen in Geburtskliniken werben ebenso für das von den Krankenkassen bezahlte Angebot wie die Bergedorfer Elternschule. Und auch in der Schwangerschaftsberatung und in öffentlichen Unterkünften sind die „Frühen Hilfen“ bekannt. Ebenso bei der Mütterberatung des Gesundheitsamtes, das Sprechstunden anbietet, um etwa über Ernährung und Säuglingspflege zu informieren. Leiter Dr. Jürgen Duwe freut sich, zur Begrüßung eines jeden Babys einen Mini-Schlafsack verschenken zu können, der einer Gefahr durch Erstickung durch Decken vorbeugen soll: „Unsere Hausbesuche werden sehr gut angenommen, zuletzt haben wir die Hälfte aller Kinder erreicht.“
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Bergedorfs Politiker zeigen sich beeindruckt und loben den „niedrigschwelligen Türöffner, um das staatliche Hilfesystem in Anspruch zu nehmen“ (Grüne), und dass „die Hilfe im Vordergrund steht, nicht Strafe oder Stigmatisierung“ (SPD).
Teams sind stark belastet: Der Bedarf an Hilfe ist enorm gestiegen
Ob der Fachkräftemangel denn auch hier zu schaffen mache? Bergedorfs Netzwerk-Koordinatorin Bettina Waffek antwortet: „Unsere Teams gehen auf dem Zahnfleisch, denn der Bedarf ist enorm gestiegen. Aber hoffentlich können wir unser Personal auch halten, wenn die Sondermittel für Corona oder die Ukraine-Hilfen wegfallen.“ Denn: „Wenn diese Gelder nicht mehr fließen, sind die Probleme noch lange nicht weg.“
Auch Dr. Duwe hofft auf eine weiterhin stetige Finanzierung, denn zwar lasse sich mit Blick auf die Kindeswohlgefährdungen kein direkter, statistischer Zusammenhang belegen, aber er ist sicher: „Jeder Euro in der Prävention macht sich laut Studien hundertfach bezahlt.“