Hamburg. Vom Schuljahr 2025/26 an sollen alle Hamburger Schüler Unterricht bekommen. Linke kritisiert auch fehlende Ausstattung. Die Details.

Einige Bundesländer haben es schon, jetzt zieht Hamburg nach: Vom Schuljahr 2025/26 an soll Informatik Pflichtfach an allen weiterführenden Schulen werden. Bereits vom kommenden Schuljahr an wird der neue Pflichtunterricht an sechs Gymnasien und zwei Stadtteilschulen in einer Pilotphase erprobt. Informatik wird bislang als Wahlpflichtfach zumeist in der Mittel- und Oberstufe angeboten. Statistiken zufolge entscheidet sich nur etwa ein Drittel der Schülerinnen und Schüler für dieses Fach.

In seiner Antwort auf eine Kleine Anfrage der Linken-Bürgerschafts-Fraktionschefin Sabine Boeddinghaus, die dem Abendblatt vorliegt, hat der Senat die Details der Planung vorgestellt. Demnach soll Informatik für alle künftig in den Jahrgangsstufen 7 bis 10 mit insgesamt mindestens vier Wochenstunden unterrichtet werden. „Die Zahl der Grundstunden der beiden Schulformen (Gymnasium und Stadtteilschule, die Red.) wird dafür nicht erhöht. Vielmehr werden in beiden Schulformen aus dem Gestaltungsraum und dem Wahlpflichtbereich jeweils zwei Wochenstunden entnommen“, heißt es etwas allgemein. Das bedeutet konkret: Die Schulen sollen selbst entscheiden, an welcher Stelle in den genannten Bereichen sie Unterricht streichen, damit die Gesamtzahl der Unterrichtsstunden (zwischen 31 und 34 Stunden pro Woche) nicht erhöht wird.

Schule Hamburg: Die Gesamtzahl an Unterrichtsstunden soll nicht erhöht werden

Denkbar sind jeweils zwei Unterrichtsstunden Informatik pro Woche in zwei Klassenstufen der Mittelstufe, also etwa in den Klassen 8 und 9 oder 9 und 10. Die genaue Umsetzung überlässt die Schulbehörde auch hier den einzelnen Gymnasien und Stadtteilschulen. „Eine erfolgreiche Implementierung hängt davon ab, den Schulen den bewährten Freiraum zu lassen, um individuelle Lösungen zu finden, die die lokalen Rahmenbedingungen berücksichtigen“, heißt es in der Senatsantwort.

Der damalige Schulsenator Ties Rabe (SPD) hatte den Start des neuen Pflichtfachs im Oktober 2023 angekündigt. „Wir führen Informatik als Pflichtfach ein, weil es sich um eine Zukunftstechnologie handelt, die jetzt schon beinahe den Stellenwert hat wie die elementaren Kulturtechniken Lesen, Schreiben und Rechnen“, sagte Rabe damals. Es genüge nicht, dass junge Menschen wie selbstverständlich mit Handy und Laptop umgingen, neueste Nachrichten googelten oder Waren im Internet bestellten. Wichtig sei auch zu wissen, wie zum Beispiel die mathematischen Rechenanweisungen für Computer funktionieren. Und Rabe bemängelte, dass Informatik als Wahlpflichtfach zu einer männlichen Domäne geführt habe. „Wir wollen durch das Pflichtfach insbesondere auch Schülerinnen werben und fördern“, sagte der Sozialdemokrat.

In Qualifizierungskursen werden Pädagogen zu Informatiklehrern fortgebildet

An der Bedeutung des Fachs Informatik dürfte es grundsätzlich kaum Zweifel geben; Kritik gibt es allerdings an der geplanten Umsetzung und den Rahmenbedingungen. Aktuell unterrichten laut Linken-Anfrage 340 Lehrkräfte an den staatlichen weiterführenden Schulen das Fach Informatik. Das entspricht nach Berechnungen der Schulbehörde in etwa 102 Vollzeitstellen, da viele Pädagogen nur wenige Stunden in dem Wahlpflichtfach geben. Nach Berechnungen eines Expertenteams der Schulbehörde führt die Einführung des Pflichtfachs „zu einem dauerhaften Bedarf an Informatiklehrkräften im Umfang von ca. 187 Vollzeitäquivalenten (Vollzeitstellen, die Red.)“, wie es in der Senatsantwort heißt.

Um die Lücke zu schließen und den Bedarf an Informatiklehrkräften zu decken, werden Pädagogen in 120-stündigen „Qualifizierungskursen“ am Landesinstitut für Lehrerbildung und Schulentwicklung (LI) auf freiwilliger Basis geschult. Bewerben kann sich jeder Lehrer und jede Lehrerin, unabhängig von ihrer Fächerkombination. Im Laufe der Pilotphase von August 2024 bis August 2025 werden nach Angaben des Senats voraussichtlich 154 Lehrkräfte die Zusatzausbildung abgeschlossen haben. Der Gesamtbedarf von 187 Vollzeitstellen im Fach Informatik werde „voraussichtlich erstmals zum Schuljahr 2028/29 vollständig erreicht werden, wenn alle weiterführenden Schulen das Pflichtfach Informatik vollständig eingeführt haben“.

Aus Sicht der Linken-Opposition ist die Personaldecke für Informatik „viel zu dünn“

Linken-Schulpolitikerin Boeddinghaus ist skeptisch. „Die Personaldecke für Informatik ist viel zu dünn. Sie mag für die Pilotphase ausreichen, aber erst drei Jahre nach der flächendeckenden Einführung geht die Schulbehörde davon aus, ausreichend Lehrkräfte zu haben“, sagt Boeddinghaus. Außerdem seien die Fortbildungen für Lehrkräfte am LI „eher gut gemeint, aber keineswegs vergleichbar mit einem Fachstudium“. Boeddinghaus: „Wir müssen also mit viel gutem Willen und ebenso viel mangelnder Ausbildung rechnen.“

Die Linken-Politikerin hat sich in ihrer Kleinen Anfrage auch nach der digitalen Ausstattung der Schulen erkundigt. „Alle staatlichen Hamburger Schulen sind mit leistungsfähigem Internet sowie WLAN in den Klassen- und Unterrichtsräumen ausgestattet. Außerdem stehen den allgemeinbildenden staatlichen Schulen 114.000 digitale Endgeräte zur Verfügung, um den Unterricht und die Zusammenarbeit digital und kooperativ zu gestalten“, antwortet der Senat. Es sei möglich, den Informatikunterricht in den Klassen 7 und 8 mit Tablets zu bestreiten. „Notebooks und Desktops würden ab Jahrgangsstufe 9 für einzelne Inhalte erforderlich werden“, heißt es weiter.

Linken-Fraktionschefin hält digitale Ausstattung der Schulen für nicht ausreichend

Aus Sicht von Boeddinghaus reicht die technische Ausstattung der Schulen nicht aus. „Es fehlen Laptops und Standrechner. Mit Tablets braucht die Behörde gar nicht erst ankommen – ein effektiver Informatikunterricht ist mit ihnen nicht möglich, weil sie den nötigen Anforderungen nicht entsprechen“, sagt die Linken-Politikerin. Außerdem genüge es nicht, auf die Gesamtzahl der Geräte zu verweisen. „Sind die Geräte vorhanden, nutzbar, einsatzbereit?“, fragt Boeddinghaus.

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Die Linken-Fraktionschefin bemängelt außerdem, dass unter den Pilotschulen keine Standorte in sozioökonomisch benachteiligten Stadtteilen seien. Laut Senatsantwort soll das neue Pflichtfach an den Stadtteilschulen Bergstedt und Kirchwerder sowie den Gymnasien Altona, Finkenwerder, Lerchenfeld, Ohmoor, Osterbek und Rissen vom kommenden Schuljahr an erprobt werden. Diese Schulen haben den Sozialindex 4 oder 5 auf der sechsstufigen Skala. „Blind für die Wirklichkeit an unseren Schulen zeigt sich die Schulbehörde, wenn sie unterstellt, Schulen mit dem Sozialindex 4 und 5 seien geeignet, als Blaupause für Hamburger Schulen gelten zu können“, sagt Boeddinghaus.

Schule Hamburg: Schulleiter-Vereinigung kritisiert, dass Schulen selbst über Kürzungen entscheiden sollen

Kritik kommt auch von den Schulleitern. Bereits im Herbst 2023 hatte die Vereinigung der Leitungen Hamburger Gymnasien und Studienseminare (VLHGS) gefordert, die Behörde dürfe es nicht den Schulen überlassen, an welcher Stelle sie Unterricht zugunsten des Pflichtfachs Informatik kürzen. Stattdessen müsse es eine „zentral gesteuerte Aufgabenkritik im Hinblick auf die Art und den Gesamtumfang schulischer Bildungsangebote“ geben. „Die Einführung eines Pflichtfachs Informatik darf nicht auf Kosten der Bildungsvielfalt der Gymnasien und damit auch von neigungsgeleiteten Schwerpunktsetzungen von Schülerinnen und Schülern gehen“, heißt es in einer VLHGS-Stellungnahme, in der außerdem eine „realistische Personalplanung“ angemahnt wurde.

„Wir bedauern, dass es bisher keinen Dialog mit der Schulbehörde zu unseren Kritikpunkten gab, die offenbar auch nicht konstruktiv in die aktuellen behördlichen Planungsprozesse einbezogen wurden“, sagt Christian Gefert, Schulleiter des Marion Dönhoff Gymnasiums und Erster Vorsitzender der VLHGS. „Anders ist nicht zu erklären, dass die Behörde aktuell beispielsweise noch immer plant, in den Gestaltungs- und Wahlpflichtbereich der Schulen einzugreifen, und den Schulen bisher keine realistische Personalplanungsperspektive im Hinblick auf den hohen Bedarf an Fachlehrkräften vermitteln konnte“, so Gefert. Die Schulleiter hoffen nun, dass die neue Schulsenatorin Ksenija Bekeris (SPD) verstärkt auf einen Dialog mit den Schulen setzt.

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