Hamburg. Jetzt kommt auch Otfried Preußler auf den Index: Ein Gymnasium möchte nicht mehr nach ihm benannt sein.
Die kleine bayerische Gemeinde Pullach kannte man bislang eher als Heimat der Schlapphüte – schließlich residierte hier zwischen 1956 und 2019 der Bundesnachrichtendienst. Seit einigen Tagen kennt man Pullach auch als Heimat der Bilderstürmer und Geschichtsreiniger: Allen Ernstes wollen Eltern, Schüler, Lehrer und der grün dominierte Gemeinderat das örtliche Gymnasium, das erst seit zehn Jahren den Namen des 2013 verstorbenen Otfried Preußler trägt, wieder umbenennen.
Otfried Preußler auf Index: Unheilige Allianz der Woken und der Doofen
Die Schulleitung ist auf das jugendliche Frühwerk „Erntelager Geyer“ gestoßen, in dem der damals 17-jährige Preußler euphorisch vom Ernteeinsatz von Pimpfen des Jungvolkes im Sudetenland erzählt. Und die Empörung ist groß.
Offenbar haben viele weder „Die kleine Hexe“ noch „Der kleine Wassermann“ noch „Das kleine Gespenst“ gelesen, keinen „Räuber Hotzenplotz“ und auch nicht „Krabat“, aber offenbar alle das weltberühmte „Erntelager Geyer“. Interessanterweise ist dieser Bestseller weder bei Amazon noch bei Medimops oder in Antiquariaten erhältlich – wahrscheinlich, weil die gesamte braune Restauflage von Preußler-Hobbyforschern aufgekauft und kritisch durchleuchtet wurde.
Zwei Trends fließen zusammen: Woker Unsinn und Ahnungslosigkeit
In Pullach fließen zwei Trends der Zeit zusammen: Man hat von nichts eine Ahnung, aber zu allem eine Meinung. Und alles, was irgendwie im Entferntesten anstößig sein könnte oder unseren tagesaktuellen moralischen Ansprüchen nicht mehr genügt, muss verschwinden.
Da wird mit großem Rotstift in der Literatur herumgekritzelt. Karl May hat doch tatsächlich von Indianern geschrieben! Wie unsensibel! Hinfort damit. Michael Ende, Autor wunderschöner Kinderbücher, lässt Herrn Ärmel, den kleingeistigen Untertanen auf Lummerland, beim Anblick des kleines Jim Knopf das N-Wort sagen. Empörend! Astrid Lindgren hat in den 40er-Jahren das böse Wort ebenfalls benutzt. Das genügt eifrigen Antirassismus-Aktivisten, die Bücher auf den Index zu setzen. „Jim Knopf wird leider noch oft gelesen“, klagte vor einigen Jahren eine Kita-Leiterin aus Groß Flottbek. Gut, dieses Problem bekommen wir mit der Digitalisierung bald in den Griff. Wenn wir gar nicht mehr lesen.
Karl May, Michael Ende, Astrid Lindgren - alle verdächtig
Was man lange für eine Posse halten konnte, ist längst mehr – es ist ein Kulturkampf der Woken und der Dummen. „FAZ“-Herausgeber Jürgen Kaube schrieb in seinem wütenden Kommentar: „Es ist wie bei anderen Beispielen für das Canceln. Sie sind von einer solchen Dummheit, dass es wehtut. Der Name des größten deutschsprachigen Kinderbuchautors, er soll nicht mehr zu einer Schule passen.“
Otfried Preußlers Gegner aus Pullach bringen übrigens noch andere Anklagepunkte vor: Er benutze fragwürdige Konfliktlösungsstrategien etwa durch Gewalt oder Hexerei. Potzblitz und sapperlot! Mit diesen neuen Maßstäben ist in den Büchereien und Buchläden bald Regalkilometer viel Platz.
Krabat ist eine wunderbare Warnung vor ideologischer Verführung
Das Bittere: Es gibt kaum einen besseren antifaschistischen Roman als „Krabat“. Preußler erzählt in der Bearbeitung einer sorbischen Volkssage von einem Zauberlehrling, der sich von finsteren Mächten verführen lässt, von denen er zunächst fasziniert ist und deren wahres Gesicht er viel zu spät erkennt.
„Es ist zugleich meine Geschichte, die Geschichte meiner Generation“, schrieb Preußler dazu. Wenn die neuen Volksverführer von rechts das Buch ablehnten, man könnte es verstehen. Aber nun sind es oftmals woke Linke, die bei allem, was vor dem Jahr 2000 verfasst oder verfilmt wurde, zu Beruhigungsmitteln greifen müssen. Selbst Pumuckl bekommt bei Amazon schon eine Triggerwarnung. Leider kein Witz.
Preußler: „Es ist zugleich meine Geschichte, die Geschichte meiner Generation“
Komisch nur, dass in einer Zeit, die immer sensibler und empfindsamer fühlt, ausgerechnet die dickfelligsten und rücksichtslosesten Populisten von Erfolg zu Erfolg eilen.
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Ich hätte da eine Idee: Jeder, der heute Autoren in Misskredit bringen möchte, indem er seine modernen moralischen Maßstäbe auf das Leben von vorgestern überträgt, sollte vorher ein Buch des betreffenden Schriftstellers und ein Geschichtsbuch zur fraglichen Zeit gelesen haben. Ich bin mir sicher, danach ist Ruhe. Und wir lassen fortan die Kirche und das Otfried-Preußler-Gymnasium im Dorf.