Hamburg. Vergessen und Verdrängen sind keine Option – warum Auseinandersetzung mit schwierigen Figuren der Historie mehr als Haltung verlangt.
Der Kampf gegen Rechtsextremismus ist eine gute wie wichtige Sache. Politisch aber birgt er die Gefahr, dass er zum zentralen Lebensinhalt der Linken wird. Kümmert sie sich nur noch darum, die AfD klein zu halten, macht sie sich am Ende selber klein: Wähler verlangen Ideen, Konzepte und Gestaltungswillen. Es ist zu wenig, gegen etwas zu sein, man sollte auch für etwas stehen.
Ein Beispiel für den überschießenden Kampf gegen rechts ist die Umbenennung der Hindenburgstraße im Stadtpark, die SPD, Grüne und Linke im Bezirk Nord durchgesetzt haben. Nun ist es immer begrüßenswert, sich mit der eigenen Geschichte auseinanderzusetzen – gerade, wenn die Linkspartei auch mal dabei ist. Allerdings ist Historie mehr als das Verteilen von Haltungsnoten.
Straßenumbennung: Der Maßstab des Zeitgeistes ist wenig geeignet, historische Figuren zu vermessen
„Wer den Nazis den Weg bereitet hat, kann nicht als Vorbild dienen“, erklären die drei Parteien. Das ist zweifellos richtig – aber wer eine Vorbildfunktion verlangt, sollte besser fortan Straßen durchnummerieren. Heilige gibt es nur wenige, Menschen sind fehlbar. Vor allem aber sind sie Kinder ihrer Zeit. Was uns heute empörend erscheint, war früher erstrebenswert.
Der Maßstab des Zeitgeistes kann nur irren, denn er ist permanent in Bewegung. Der große Soziologe Norbert Elias hat es einmal klug formuliert: „Nichts ist gewöhnlicher als Historiker, die über wehrlose Menschen früherer Zeiten zu Gericht sitzen und dabei Werte ihrer eigenen Gegenwart als Maßstab gebrauchen.“
Paul von Hindenburg war ein Monarchist und Antidemokrat, aber kein Nazi
Nun war, da haben die Geschichtsreiniger aus Nord recht, Paul von Hindenburg kein lupenreiner Demokrat. Der Monarchist hat mit dem Verbreiten der Dolchstoßlegende die junge Demokratie von Weimar beschädigt. Er war aber kein Nationalsozialist. In den ersten Jahren seiner Präsidentschaft blieb er verfassungstreu, bei seiner Wiederwahl in der taumelnden Republik trat er als Kandidat eines breiten demokratischen Blocks gegen Adolf Hitler an. Sein Ruhm stützte sich ohnehin auf sein militärisches Wirken, nicht sein politisches. Hindenburg war im Ersten Weltkrieg die Verteidigung Ostpreußens gegen eine russische Übermacht gelungen.
Als der greise Präsident den Gefreiten aus Braunau 1933 dann doch zum Reichskanzler kürte, wurde er zum Wegbereiter des deutschen Desasters. Der 1934 verstorbene Hindenburg konnte damals ahnen, dass er das Reich in den Untergang führt. Wissen konnte er es nicht.
Der kluge Kompromiss von 2013 wird weggewischt
Eine Straßenumbenennung macht das heraufbeschworene Unheil nicht ungeschehen. Ganz im Gegenteil sind diese alten umstrittenen Benennungen Widerhaken im Alltag, die Geschichte erzählen und ihre vielen Dimensionen beleuchten. Vergessen ist keine Option!
All diese Argumente waren es wohl, die die Sozialdemokraten 2013 eine weise Entscheidung treffen ließen. Ein Teil der Straße behielt den Namen des Generalfeldmarschalls, der andere heißt seither Otto-Wels-Straße. Der SPD-Vorsitzende Wels kämpfte 1933 im Reichstag gegen das Ermächtigungsgesetz. In der letzten freien Debatte sagte er: „Freiheit und Leben kann man uns nehmen, die Ehre nicht.“ Mit dem wohl gewählten Kontrapunkt zu Hindenburg wurde sein Denkmal zu einem wirklichen Denk-mal!
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2013 sagte der heutige Finanzsenator Andreas Dressel (SPD), das Eliminieren von Geschichte sei „ahistorisch“. Heute sind seine Parteifreunde genau das. Die gesamte Debatte wirkt übrigens nicht nur intellektuell, sondern auch politisch verkürzt: Genau der Paul von Hindenburg, dem wir keine der rund 8000 Hamburger Straßen mehr zugestehen wollen, bleibt einer der 37 Ehrenbürger der Stadt.