Hamburg. Droht ein neuer PISA-Schock? Experten befürchten, dass Legalisierung zu mehr Konsum führt und die schulischen Leistungen abnehmen.
Experten schlagen Alarm: Vor der anstehenden Cannabis-Legalisierung warnen Hamburger Ärzte, Pädagogen und Suchtfachleute eindringlich vor den fatalen Folgen einer Freigabe für Kinder und Jugendliche. „Deutschland steuert auf einen erneuten PISA-Schock zu“, sagt Professor Rainer Thomasius, Ärztlicher Leiter des Deutschen Zentrums für Suchtfragen des Kindes- und Jugendalters Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf. „Jugendliche, die Cannabis regelmäßig konsumieren, haben massive Konzentrationsprobleme, Leistungsstörungen und Intelligenz-Einbußen. Daher müssen wir uns darauf einstellen, dass ihre schulischen Leistungen zurückgehen“, sagt der Sucht-Experte.
Seine große Sorge gilt dem Jugendschutz: „Die Legalisierung führt zu einer reduzierten Risikowahrnehmung und damit zu Konsumsteigerungen“, ist der Suchtexperte überzeugt, der seit Jahrzehnten mit drogensüchtigen Jugendlichen arbeitet und ein prominenter Gegner einer Cannabis-Legalisierung ist.
Drogen Hamburg: Cannabis-Legalisierung hat fatale Folgen
Laut Thomasius belegen Studien aus den USA, dass die Legalisierung von Cannabis selbst dann, wenn sie nur für Erwachsene vorgesehen ist, auch bei Jugendlichen zu einem höheren Konsum sowie der Entwicklung einer Cannabisabhängigkeit führt.
Ebenso sieht das Hamburger Suchtpräventionszentrum (SPZ) der Gesetzesänderung mit Blick auf die Prävention von Kindern und Jugendlichen eher skeptisch entgegen. Die Befürchtung der Fachleute: Jugendliche, so sei zu vermuten, missverstehen die Gesetzesregelung eher in die Richtung, dass Cannabis nicht so schädlich ist und damit auch nicht mehr „verboten“, ähnlich wie Alkohol.
Laut DAK-Präventionsradar schätzt die Mehrheit der Jugendlichen das Gesundheitsrisiko von Cannabis zwar als hoch ein. Allerdings nehmen 15 Prozent dagegen gar kein Gesundheitsrisiko wahr. DAK-Vorstandschef Andreas Storm forderte daher ein umfassendes begleitendes Aufklärungs- und Präventionsprogramm zur Teillegalisierung von Cannabis. „Wir müssen die vorhandenen Wissenslücken so schnell wie möglich füllen. Es muss umfassend darüber aufgeklärt werden, dass Cannabiskonsum gerade bei Heranwachsenden das Risiko für psychische Erkrankungen erhöhen und schwere Entwicklungsschäden hervorrufen kann, weil das Gehirn bis etwa zum 25. Lebensjahr noch nicht ausgereift ist“, so Storm.
Konsum führt zu Konzentrationsproblemen und Intelligenz-Einbußen
Auch Professor Thomasius warnt vor den fatalen Folgen von Cannabis-Konsum bei Jugendlichen: Depressiven Störungen, Angststörungen, Hirnreifungsstörungen, Intelligenzminderung, Leistungsstörung, Motivationsstörung.
Schon jetzt ist Cannabis bei den illegalen Drogen die beliebteste Droge bei Heranwachsenden. Das geht aus der Schulbus-Studie hervor, für die alle drei Jahre Hamburgs Schüler und Lehrkräfte zum Umgang mit Suchtmitteln der 14- bis 17-Jährigen befragt werden.
Das Ergebnis: Ein Fünftel, 20 Prozent der Jugendlichen gaben zuletzt an, dass sie schon einmal gekifft haben. Zehn Prozent der 14- bis 17-Jährigen gelten als aktuelle Cannabiskonsumenten, weil sie in den letzten 30 Tagen mindestens einmal Cannabis konsumiert hatten. Bereits jeder zehnte Minderjährige (11 Prozent) im Alter von 14 bis 15 Jahren blickt auf einschlägige Konsumerfahrungen zurück.
Cannabis ist bei den illegalen Drogen die beliebteste bei Heranwachsenden
Ende der Woche will der Bundestag über die Legalisierung von Cannabis abstimmen, danach muss der Bundesrat folgen. Durch die geplante Gesetzgebung fällt der Umgang mit Genuss-Cannabis für Erwachsene nicht mehr unter das Betäubungsmittelgesetz, Erwachsene können über nicht kommerzielle Vereine Cannabis erwerben und straffrei konsumieren.
Falls das Gesetz verabschiedet wird, dürfen Menschen über 18 Jahren ab voraussichtlich 1. April bis zu 25 Gramm straffrei bei sich tragen. Zu Hause dürfen es sogar 50 Gramm Cannabis sein. Außerdem dürfen sie zu Hause bis zu drei Cannabis-Pflanzen für den Eigenkonsum anbauen.
Die Kritik von Suchtexperten wie Rainer Thomasius: „Die Polizei wird nicht mehr zwischen Konsumierenden und Dealern unterscheiden können, da 25 Gramm für etwa 75 Joints reichen.“
Cannabis-Legalisierung: Herausforderungen für Schulen und Lehrer
An bestimmten Orten soll Cannabis dennoch verboten bleiben – um Kinder und Jugendliche zu schützen. Konkret geplant ist ein sogenannter Bannkreis von 100 Metern rund um Schulen, Kinderspielplätze, Kinder- und Jugendeinrichtungen und auf öffentlich zugänglichen Sportstätten. Ob und wie sich dieses Verbot kontrollieren lasse, zweifeln Experten jedoch an.
„Mit Blick auf die bevorstehende Gesetzesänderung haben das Suchtpräventionszentrum und das Landesinstitut für Lehrerbildung und Schulentwicklung bereits im letzten Jahr eine Fachtagung ,High in der Schule – mögliche Herausforderungen für die pädagogische Praxis in der Schule‘ durchgeführt“, sagt Peter Albrecht, Sprecher der Schulbehörde.
Zudem prüfe die Behörde im Zusammenhang mit der geplanten Gesetzesänderung bundesweite neue Angebote zur Cannabisprävention für Hamburger Schulen.
Experten schreiben Brandbrief: Gesundheit der jungen Generation ist gefährdet
Angesichts der zu erwartenden Auswirkungen auf Kinder- und Jugendliche haben führende Experten von Ärzteverbänden, Lehrerverband, Gewerkschaft der Polizei, Bund Deutscher Kriminalbeamter und Apothekerverbänden in einem Brief an die Abgeordneten appelliert, die Legalisierung zu stoppen. „Eine Cannabis-Legalisierung steht im Widerspruch zur internationalen Erkenntnislage und gefährdet die Gesundheit der jungen Generation“, heißt es in dem Brandbrief.
Schon jetzt sei die Gesundheitsversorgung, gerade auch im Bereich der Kinder- und Jugendpsychiatrie, mehr als überlastet. Es sei unverantwortlich, in dieser Lage weitere Gesundheitsschäden und Entwicklungsstörungen in Kauf zu nehmen, die gerade sozial benachteiligte junge Menschen betreffen werden.
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Jugendschutz: Legalisierung von Cannabis führt zu einer reduzierten Risikowahrnehmung
Auch aus Sicht von anderen Medizinern gibt es deutliche Bedenken. So weist Dr. Christoph Lenk, Facharzt für Psychiatrie in Hamburg, darauf hin, dass er immer wieder mit relativ jungen Menschen zu tun habe, die an Schizophrenie erkrankt sind. „Und hier ist häufig ein Zusammenhang mit dem Konsum von Cannabis zu erkennen. Wenn man solche Fälle genauer betrachtet, kommt man zu dem Schluss, dass der Konsum dieser angeblich weichen Droge hochgefährlich ist“, sagt der Fachmann, der seit 24 Jahren als psychiatrischer Gutachter und seit gut elf Jahren in Gerichtsverhandlungen als psychiatrischer Sachverständiger tätig ist.
Lenk untersuchte unter anderem einen an Schizophrenie erkrankten 29-Jährigen, der zwei Menschen aus seinem nächsten Umfeld ermordet hat. In seinem Wahn hatte dieser junge Mann geglaubt, seine Lebensgefährtin und wenig später seine Mutter wollten ihn töten – und er müsse ihnen zuvorkommen. Aus der Vita des 29-Jährigen ergab sich ein wahrscheinlicher Zusammenhang zwischen seiner psychischen Erkrankung und dem jahrelangen Konsum von Cannabis als Jugendlicher und junger Erwachsener.
Experten: Cannabis kann Psychosen mit verursachen
Lenk zitiert eine niederländische Studie aus dem Jahr 2005, die nahelege, dass Cannabinoide eine Psychose mitverursachen können. In früheren Studien habe sich schon gezeigt, dass die Droge es zweimal so wahrscheinlich macht, an einer ausgeprägten, psychotischen Störung zu erkranken. Gerade Jugendliche seien gefährdet, was häufig auf ihr empfindliches Gehirn zurückgeführt wird – denn im Gegensatz zu dem eines Erwachsenen befinde sich das Gehirn eines Jugendlichen noch in der Entwicklung.
„Man geht heute davon aus, dass sich die Wahrscheinlichkeit, an einer Psychose zu erkranken, durch den Konsum von Cannabinoiden deutlich erhöht“, betont Lenk. Bei jungen Männern dürften bis zu 30 Prozent aller Schizophreniefälle auf einen problematischen Konsum von Cannabis zurückgehen.
Drogen Hamburg: Cannabis senkt Intelligenz um bis zu 17 Punkte
Eine Gefahr, die in der öffentlichen Diskussion überhaupt nicht thematisiert wird, sei diejenige der Auswirkungen eines regelmäßigen Konsums von Cannabis auf die Intelligenzentwicklung, warnt Lenk. Der Experte verweist auf eine Studie aus Neuseeland, die ergeben habe, dass der Intelligenzquotient der Konsumenten im Extremfall um bis zu 17 Punkte abnahm. „Diese Entwicklung wirkt sich naturgemäß besonders nachteilig auf Konsumenten aus, die mit einem ohnehin niedrigen Intelligenzquotienten ausgestattet sind“, sagt Lenk.
Deutlich werden müsse, fordert der Experte, „dass die Vorstellung, Cannabis sei eine weiche und harmlose Droge, jedenfalls für Jugendliche und junge Erwachsene ein Irrweg ist.“