Hamburg. Experte warnt: Psychische Störungen können durch vermeintlich „weiche Droge“ ausgelöst werden. Außerdem leidet die Intelligenz.

Ein Mann tötet zwei Menschen aus seinem nächsten Umfeld. Erst bringt er seine Lebensgefährtin um, anschließend seine Mutter. In beiden Fällen ist er mit besonderer Brutalität beziehungsweise vermeintlich außergewöhnlicher Kaltblütigkeit vorgegangen. So hat der Hamburger seine Mutter mit mindestens 63 Messerstichen traktiert. Und beim Leichnam seiner Freundin hat er versucht, diesen mit Kernseife aufzulösen. Später kam es zu einem Prozess vor dem Landgericht, wo dem 29-Jährigen Mord vorgeworfen wurde.

Bei der Tatbegehung spielte die psychische Verfassung des 29-Jährigen eine entscheidende Rolle. Frank S. (Name geändert) ist an Schizophrenie erkrankt. „Bei der Erkrankung von relativ jungen Menschen an Schizophrenie ist häufig ein Zusammenhang mit dem Konsum von Cannabis zu erkennen“, sagt Dr. Christoph Lenk, Facharzt für Psychiatrie und Sachverständiger in Strafprozessen, in „Dem Tod auf der Spur“, dem Abendblatt-Crime-Podcast mit Rechtsmediziner Klaus Püschel und Gerichtsreporterin Bettina Mittelacher. „Das ist wirklich frappierend. Wenn man solche Fälle genauer betrachtet, kommt man zu dem Schluss, dass der Konsum dieser angeblich weichen Droge hochgefährlich ist“, warnt Lenk.

True Crime Hamburg: Mann entwickelt Wahnvorstellungen und Verfolgungsängste

Frank S. entwickelte zu Beginn des Jahres 2021 Wahnvorstellungen und Verfolgungsängste. Und schließlich brachte er seine Lebensgefährtin um. Vorausgegangen war, dass sich in den Tagen zuvor sein psychotischer Zustand noch mal gesteigert hatte. Er glaubte, seine Freundin wolle ihn umbringen. „Und aus Angst davor, getötet zu werden, kam er auf den Gedanken, dass er ihr zuvorkommen muss“, erklärt Rechtsmediziner Püschel. „Das tat er dann auch. Er hat seine Freundin, während diese ein Bad nahm, umgebracht. Sehr wahrscheinlich hat er ihr mehrere Minuten lang Mund und Nase zugehalten. Sie ist erstickt. Außerdem hat Frank S. der jungen Frau mehrere Stiche und Schnitte zugefügt.“

In dem Prozess, der später folgte, wurde auch bekannt, dass Frank S. sich bemüht hat, den Leichnam in der Badewanne mit geschmolzener Kernseife aufzulösen. „Das fand ich besonders gruselig“, sagt Mittelacher. „Der Mann hat einiges versucht, um den Körper vollständig zu beseitigen.“ Später hat Frank S. auch noch den Hund der getöteten 24-Jährigen erschlagen.

Erst tötete er seine Lebensgefährtin, dann seine Mutter

Und vor allem meinte er jetzt, seine Mutter wolle ihm nunmehr Böses. Infolge seines Wahns ging Frank S. davon aus, dass die 53-Jährige nun zu ihm kommt, um ihn zu erschießen. Er glaubte, dass er seinen Tod nur verhindern könne, wenn er seiner Mutter zuvorkommt. Deshalb hatte der Hamburger sich mit einem Küchenmesser bewaffnet, bevor er am Mittag des 7. Februar 2021 seiner Mutter die Tür öffnete. Sobald sie in der Wohnung war, fing er an, von hinten auf sie einzustechen. Die 53-Jährige verblutete. Bei seiner Festnahme rief der Täter laut Zeugen immer wieder: „Mama, es tut mir so leid. Mama, ich liebe dich.“ Und: „Ich werde dich vermissen.“ Später im Untersuchungsgefängnis hat Frank S. auch noch Polizisten beziehungsweise Justizvollzugsbedienstete sowie einen Psychologen angegriffen, diese aber glücklicherweise nicht schwer verletzt.

Der Podcast „Dem Tod auf der Spur“ mit Rechtsmediziner Klaus Püschel und Gerichtsreporterin Bettina  Mittelacher
Der Podcast „Dem Tod auf der Spur“ mit Rechtsmediziner Klaus Püschel und Gerichtsreporterin Bettina Mittelacher © Hamburg | Hamburger Abendblatt

Hintergrund all dieser Straftaten ist die Schizophrenie, an der Frank S. erkrankt ist. Und diese Störung wird nach Überzeugung einiger Experten durch den Konsum von Cannabis begünstigt. Dies lege eine niederländische Studie aus dem Jahr 2005 nahe, erklärt Psychiater Lenk. „In früheren Studien habe sich schon gezeigt, dass die Droge es zweimal so wahrscheinlich macht, an einer ausgeprägten psychotischen Störung zu erkranken. Gerade Jugendliche seien gefährdet, was häufig auf ihr empfindliches Gehirn zurückgeführt wird. Denn im Gegensatz zu dem eines Erwachsenen befindet sich das Gehirn eines Jugendlichen noch in der Entwicklung.“ Im Ergebnis, so Lenk, gehe man heute davon aus, „dass sich die Wahrscheinlichkeit, an einer Psychose zu erkranken, durch den Konsum von Cannabinoiden deutlich erhöht“. Bei jungen Männern etwa dürften bis zu 30 Prozent aller Schizophreniefälle auf einen problematischen Konsum von Cannabis zurückgehen.

Experte: Gehirn junger Menschen ist besonders anfällig für Cannabis

„Wenn ich daraus also jetzt einen Schluss ziehen soll, dann heißt das, dass Cannabis jedenfalls keine harmlose Droge ist, wie manche das glauben?“, will Mittelacher wissen. „Dann wäre der dringende Rat an alle jungen Menschen, auf keinen Fall Cannabis zu konsumieren?“ „Genau so ist es“, bestätigt der Experte. „Weil das Gehirn vor Abschluss seiner Reifung, die nach aktuellem Wissensstand erst mit 27 Jahren abgeschlossen ist, besonders anfällig für die Auswirkungen psychotroper Substanzen, vor allem von Cannabis, ist.“

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Der Mann, der seine Freundin und seine Mutter getötet hat, kam schließlich vor Gericht. Dort äußerte er sich nicht, wobei er sich gegenüber dem Sachverständigen umfassend eingelassen hatte. Diese Angaben konnten dann im Prozess verwendet werden. Sie belegten ganz eindrücklich die massive psychotische Symptomatik, an der Frank S. auch zum Zeitpunkt der Taten gelitten hat. Zudem sagten mehrere Zeugen aus dem Umfeld von Frank S. aus, dass dieser sich schon etwa ein Jahr, bevor es zu den Tötungen gab, verfolgt gefühlt hatte. Weitere Zeugen gaben an, dass weder die später getötete 24-Jährige noch die Mutter des Verdächtigen geahnt hatten, dass sie in Gefahr sein könnten.

Prozess: War Frank S. überhaupt schuldfähig?

Im Prozess spielte später vor allem die Frage eine Rolle, ob Andreas S. überhaupt schuldfähig ist oder ob er aufgrund seiner Erkrankung nicht schuldig gesprochen werden kann. Hierbei war von Bedeutung, wie der Gutachter die Verfassung des 29-Jährigen einschätzte. Und demnach war die Schizophrenie ursächlich für die Taten. Zudem ging Frank S. aufgrund seiner krankhaften seelischen Störung davon aus, die Tötungen begehen zu dürfen, weil er sich bedroht gefühlt hat.

„Dann hat Frank S. also im Ergebnis unter anderem zwei Morde – jeweils im Zustand der Schuldunfähigkeit – begangen“, fasst Mittelacher zusammen. „Das bedeutet für die Gerichte, dass er dafür freizusprechen ist. Das ist eine juristisch bedingte Konsequenz.“

„Aber der Freispruch vom Vorwurf des Mordes oder Totschlags wegen Schuldunfähigkeit bedeutet ja nicht, dass derjenige künftig als freier Mensch auf der Straße herumläuft“, gibt Püschel zu bedenken. Für die Frage, ob ein Mensch, der nach einer schweren Straftat wegen Schuldfähigkeit nicht ins Gefängnis geschickt werden kann, statt dessen nun in die geschlossene Psychiatrie kommen muss, spielt eine entscheidende Rolle, ob derjenige weiterhin als gefährlich eingeschätzt wird. Dies war bei Frank S. der Fall.

True Crime Hamburg: Landgerichte würden durch solche Fälle „geradezu überschwemmt“

In der Urteilsbegründung sprach die Vorsitzende Richterin von „wahrlich grauenvollen Taten“. Die Richterin sagte weiter, dass die paranoide Schizophrenie, also eine massive psychische Störung, den Mann zum Mörder werden ließ. Die Verbrechen des Frank S. seien kein Einzelfall, betonte die Richterin weiter. Sie sagte zudem, es müsse „ganz deutlich und unmissverständlich gesagt werden, welche Gefahr tatsächlich von einem regelmäßigen Cannabiskonsum durch Jugendliche und Heranwachsende ausgehen kann“. Sie sagte, die Fälle nähmen zu, die Landgerichte würden davon „geradezu überschwemmt“.

Deutlich werden müsse, betont Psychiater Lenk, „dass die Vorstellung, Cannabis sei eine weiche und harmlose Droge, jedenfalls für Jugendliche und junge Erwachsene ein Irrweg ist“. Es gebe auch weitere mögliche Folgen eines regelmäßigen Konsums, nämlich die Herabsetzung des Intelligenzquotienten um fast 20 Punkte. „Dies gibt dem Leben eines Menschen eine unschöne Richtung, genau wie eine Schizophrenie, die – einmal ausgebrochen – zwar idealerweise durch starke Medikamente im Zaum gehalten werden kann, aber mindestens latent vorhanden bleibt.“

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